neben der gesteigerten Vergeistigungsform der
letzten Gemälde bestehen? Sollte es die kunstvolle
Komposition und die auch hier schon in allen Teilen
glanzvolle barock-impressionistische Vortragsweise
sein, welche die Intensität des „Kunstgehaltes"
dieser Bilder, diesen „Kunstgehalt" überhaupt, ver-
bürgt? Wohl kaum. Bewundern wir aber die zauber-
hafte Natürlichkeit bestimmter Gesten, des Blicks
über die Schulter, des Zulächelns - daneben wirkt
alles Vergleichbare in der vorangehenden Malerei
modisch rnanieriert -, so genießen wir eben mehr
die Natur als die Kunst. Es sind hier, wie allgemein
im Fall des Naturalismus, dort wo er große Kunst
schafft, verborgenere, rätselhafte Elemente der Per-
sönlichkeit, die es vermögen, allen bedrohlichen
Materialismus und Illusionismus in sich aufzu-
nehmen und aufzusaugen. Der Fall liegt im Wesen
nicht anders bei Rembrandts „Staalmeesters", sie
allein stehen auf der gleichen Höhe über allen anderen
Werken dieser Gattung wie die frühen Schützen-
stücke von Hals. Und zurück zu der eingangs be-
haupteten Gleichstellung dieser früheren Werke und
der letzten Gemälde des Meisters: fast ungläubig
und wider Willen stellen wir hier wie dort die gleiche
Kraft und Intensität fest, die das eine Mal die Macht
des von Leben vibrierenden Augenblicks, das andere
Mal die Macht seiner Vergänglichkeit zu fassen ver-
mochte. Das ist eine besondere Lehre dieser Aus-
stellung, eine der wichtigsten. Der Weg von den
frühen Schützenstücken zu den zwei Regenten-
bildern im letzten Saal war eines der großen Er-
lebnisse für den Besucher - aber der Weg zurück
zu den frühen „Ofüziersmahlzeiten" war es nicht
minder. Von diesem besonderen Erlebnis aus, das
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die Ausstellung geboten hat, war der beste Über-
blick über das Werk, soweit es dort vertreten war,
zu gewinnen.
Es wären nun kritische Bemerkungen anzuschließen,
doch ist das hier nicht beabsichtigt; sie wären übrigens
nicht zahlreich. Über die großen und kleinen Pro-
bleme, die eine Ausstellung wie diese deutlicher
macht, gibt der Katalog genaue Auskunft. Zwei
Beiträge von H. P. Baard, dem Direktor des Städti-
schen (Frans Hals-)Museums, und zwar ein skiz-
zierender Rückblick auf die Geschichte des Museums
und ein bemerkenswerter Essay über Frans Hals,
gehen dem Katalogteil von Seymour Slive voraus.
In diesem gründlichen Katalog, der auf die seit
längerem vorbereitete Hals-Monographie des Ver-
fassers gespannt macht, sind mehrere Fragen zur
Diskussion gestellt, und zu dieser Diskussion wird
es gewiß auch noch kommen (zum Beispiel über
die beiden Bildnisse eines Ehepaares Kat.-Nr. 65, 66,
das zum ersten Male publizierte Herrenporträt Kan-
Nr. 48). Die Frühzeit der Kunst des Meisters, vor
dem ersten Schützenstück, „das Rätsel der uns
fehlenden jugendwerke" (S. 25 des Katalogs) bleibt
undurchsichtig, für manche Detailfragen der Da-
tierung hat die Gesamtheit der Ausstellung wenig-
stens zu einer etwas klareren Sicht verholfen. Über-
flüssig zu sagen, daß die unvergleichliche Umgebung,
das Bauwerk, die Proportionierung seiner Räume
mit dem dazugehörigen „hulländischen" Licht --
dessen „Unterstützung" durch indirekte Beleuch-
tung in einigen Sälen, auch am hellen Tag, wäre
wohl besser unterblieben - das ihrige zum Glanz
dieser Ausstellung, einer der schönsten und wich-
tigsten in den letzten Jahren, beigetragen hat.