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Volltext: Alte und Moderne Kunst XI (1966 / Heft 89)

Ernsi Köller 
DIE ZURÜCKGESCHRAUBTE 
ZEIT-ZU BILDERN VON 
E. J. DOGARTH 
Von Zeit zu Zeit figuriert in den Auktionskatalagen 
des Dorotheums ein Künstler in der Abteilung 
..Alte Meister", der dort rein altersmäßig nichts 
zu suchen hat, gehört er doch durchaus zu den 
Lebendigen: er weilt mitten unter uns. er arbeitet 
unter uns und für uns, und dennoch verrät sein 
Schaffen nur höchst indirekt Symptome dessen. 
was man als ,.zeitgenössische Kunst" zu bezeich- 
nen pflegt. 
Wir sprechen von Erich Josef Dogarth. der am 
11. Dezember 1927 in Wien geboren wurde, 
Schüler der Wiener Akademie bei Josef Dobrawsky 
und Sergius Pauser war und noch dazu einer alten 
Malerfamilie entstammt: sein Vater, Oskar Josef 
Dogarth (1898 71961) kann als unmittelbarer 
Vorläufer der Kunst Erich Josefs angesehen wer- 
den. Auch der Großvater malte. und schließlich 
besitzt Dogarih auch noch einen Bruder. der 
ähnliche Wege geht. 
Alle Mitglieder dieser Künstierfamilie haben eines 
gemein. das sie grundsätzlich von sämtlichen ernst- 
zunehmenden Strömungen der Gegenwartsmalerei 
unterscheidet: sie malen Blumenarrangements. 
und das in einer Art. die spätestens vor genau 
hundert Jahren in Wien ausgestorben war. Und 
mit Erich Josef Dogarth im besonderen scheint 
eine unglaubliche. ja eine fast ungiaubwürdige 
"Renaissance der Alt-Wiener Blumenmalerei" ein- 
geleitet zu sein. deren Ursachen es nachzugehen 
gilt, 
Die Alt-Wiener Blumenmalkunst hat eine Tradi- 
tion, die bis ins letzte Viertel des 18. Jahrhunderts 
zurückreicht. ihr eigentlicher Begründer ist Johann 
Baptist Drechsler (1756-1811), der erste nament- 
lich bekannte Lehrer an der seit 1773 mit der 
Wiener Akademie zusammengelegten sogenannten 
.,Manufakturschule", die, 1850 aufgelöst. zur Aus- 
bildung van Porzelianmalern für die Wiener 
Manufaktur diente. Drechsler entwickelte auch 
das Kompositionsschema, das für die Alt-Wiener 
Blumenmalerei verbindlich und von Dagarth 
wiederbelebt wurde. Auf Steinkonsolen oder in 
Nischen stehen Vasen aus Glas oder Fayence, die 
mit kunstvollen Arrangements heimischer Blumen 
ausgefüllt sind. Schmetterlinge und andere In- 
sekten werden in diese bunte Blumenwelt als 
Zeugen animalischen Lebens einbezogen. Rein 
kompositorisch dienen sie dazu, die sehr stark 
dem Symmetrieprinzip unterworfenen Schöpfun- 
gen aufzulockern und die Quelipunkte für be- 
lebende Biiddiagonaien zu markieren. Die Wieder- 
gabe der Gegenstände im Bilde ist von beinahe 
trompe-Vceil-haftem Naturalismus. Die Betonung 
bei all jenen Schöpfungen liegt im Seelischen und 
Kompositorischen beim Statischen, Undramati- 
schen, idyllischen. Problemfreien; Fragen der 
Durchdringung des Tiefraumes werden kaum an- 
geschnitten, die Kompositionen nähern sich weit- 
gehend einem leicht faßbaren Klischee an. ohne 
jedoch starr. langweilig und schematisch zu wer- 
den. Mit viel Raftinement werden malerische 
Kontrapunkte geschaffen. die Leben in diese 
ebenso schöne wie unbewegte, stille Welt eines 
rein vegetativen Existierens bringen. 
Die Alt-Wiener Biumenmalerei mündet in der 
Mitte des 19. Jahrhunderts aus: Franz Xaver 
Gruber (1801-1862) war letzter Direktor der 
"Manufakturschuie". 1866 starb F. X. Fetter 
(geb. 1791), Amtsvorgönger Grubers und höchster 
Voilender der obbeschriebenen. mit der Kunst 
des Porzellans so enge verbundenen Kunst der 
Blumenmalerei. 
Selbstverständlich ist auch die Alt-Wiener Blumen- 
malerei nichts Originüres im unmittelbaren Sinne 
des Wortes; ihre Grundlagen sind in der hollän- 
dischen Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts zu 
suchen. die Kompositions- und Motivschemen 
gehen auf Künstler wie Gerard Dou. Jan van 
Huysurn und Rachel Ruysch zurück. 
Aber nun zu Dogorih und einer ..Blumenrenais- 
sance"; die Frage wirft sich auf. ob Dogarth 
überhaupt mehr sei als ein geschickter Plagiator. 
Sie ist aufAnhieb nicht leicht zu beantworten, denn 
gerade in der Schwarzweißreproduktion ist es, 
wie unsere Bildpraben beweisen, kaum möglich, 
seine Arbeiten von Arbeiten der ersten Hälfte 
des 19. Jahrhunderts zu unterscheiden. Diese Tat- 
sache und vor allem das völlige Fehlen moder- 
nistischer Züge mag dafür verantwortlich zu 
machen sein. daß Dogarth. der Lebende. in den 
Katalogen des Dorotheums gewissermaßen den 
"Alten" zugerechnet wird. - 
Selbstverständlich gibt es bei direkter Besichtigung 
der Bilder Dogarths keinen Zweifel über ihr 
Entstehungsdatum; sie bekennen sich hinsichtlich 
der Signierung. der Wahl der 7 relativ kleinen - 
Formate und der Malgründe durchaus zur Gegen- 
wart. sie sind weder "Pasticci" noch Fälschungen. 
wollen es nicht sein und können es auch gar nicht. 
Vor allem besteht der entscheidende Unterschied 
der Dogarthschen Blumenbilder zu ihren Alt- 
Wiener Vorbildern in der Farbgebung, die eine 
Synthese zwischen biedermeierlichem, kühlem und 
hartem Kolorit mit der weichen Tonigkeit der 
niederländischen Urbilder anstrebt. 
Wesentlich erscheint uns die Feststellung. daß 
Dogarths Kunst beim Publikum vorzüglich „an- 
kommt", seine Bilder gehören zu den gefragtesten 
Schöpfungen auf dem Markt. Die Publicity, die für 
ihn gemacht wird. ist minimal im Vergleich zu 
dem. was über Kreationen "moderner" Kunst- 
richtungen geschrieben wird. Dogarths Kunst ent- 
spricht einem tiefen Bedürfnis der Liebhaber 
..schöner" Kunst in unserer Zeit. die heute so 
selten auf ihre Rechnung kommen, Dogarth ist 
letzten Endes der gleiche bescheidene. aus rein 
handwerklicher Gesinnung heraus arbeitende. 
betont "altmeisterliche" Könner. wie es seine 
unmittelbaren künstlerischen Vorfahren im frühen 
19. Jahrhundert waren. Seine Kunst stellt keine 
Ansprüche. sie beunruhigt nicht und weist auf 
keine Probleme hin. sie ist. um an ein Wort von 
Henri Matisse zu erinnern. wie ein bequemer 
Lehnstuhl, in dem man sich nach des Tages Mühe 
ausruhen kann. 
Es besteht gar kein Zweifel darüber, daß E. J. 
Dogarth in gewisser Hinsicht ein hochspeziali- 
sierter Maler ist, der mit seinen Blumenstitleben 
besonders dem Wiener Publikumsgeschmack ent- 
gegenkommt. 
Er gestaltet letztlich immer nur ein und dasselbe 
Motiv, das nur relativ geringe Möglichkeiten für 
Experimentelles und für das Weiterentwickeln 
formaler Grundideen lüßt. Was Dogarth grund- 
sützlich von anderen unterscheidet. ist die Seriosi- 
tat, ist der sittliche Ernst. ist das qualitative Ver- 
antwortungsbewußtsein, mit dem er zu Werke 
geht. Es versteht sich von selbst. daß seine Bilder 
nicht auf dem Fließband produziert werden kön- 
nen. sondern sorgsam. mühevoll und unter größter 
Selbstzucht erarbeitet werden müssen. Seine Kunst 
kommt tatsächlich vom Können; sie ist insoferne 
ein symptomatisch wichtiges Produkt unserer Zeit. 
als sie einfach die andere Möglichkeit zu all 
jenem darstellt. das expressiv-eruptiv-bekenner- 
haft. oft aber auch mit bedenkenloser Behendig- 
keit in der weitaus überwiegenden Mehrzahl 
unserer kleineren und größeren Galerien dar- 
geboten wird. Besonders bemerkenswert scheint 
uns die innere Schlichtheit und Sauberkeit bei 
Dogarth zu sein: hier gibt es keine großen. mit 
Pathos vorgetragenen Ansprüche, hier versagt das 
Rotwelsch der Kunstkritik. hier bleibt alles. was 
auch nur im entferntesten an Sensation gemahnt. 
a priori ausgeschlossen. Diese innere Anstöndigkeit 
aber ist es vor allem. die Dogarths Bildern ihre 
Würde verleiht. 
Stellt seine Kunst somit eine Randmöglichkeit der 
Schaffensspanne unserer Zeit dar. lößt sie sich 
in gewisser Hinsicht gut mit dem Schaffen der 
Maler der ..Wiener Schule des phantastischen 
Realismus" vergleichen, denn beiden Richtungen 
ist das handwerklich Saubere. Gediegene, Könne- 
rische, aber auch der Wille zur restlosen Fixierung 
des innerlich und äußerlich Gesehenen gemein. 
Bringt man hinsichtlich der Kunst Dogarths das 
Wort Hphantastisch" zum Fortfall, legt man die 
Betonung auf den Begriff "Realismus", so hat 
man ihre innere Struktur bestens umschrieben. 
Dogarth ist unhintergründig: seine Kunst kennt 
keinen doppelten Boden, nichts an ihr ist ver- 
trackt. nichts ist verdächtig. skurril. abstrus, in 
keinem Moment spielt er mit Wahnvorstellungen. 
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