Ernsi Köller
DIE ZURÜCKGESCHRAUBTE
ZEIT-ZU BILDERN VON
E. J. DOGARTH
Von Zeit zu Zeit figuriert in den Auktionskatalagen
des Dorotheums ein Künstler in der Abteilung
..Alte Meister", der dort rein altersmäßig nichts
zu suchen hat, gehört er doch durchaus zu den
Lebendigen: er weilt mitten unter uns. er arbeitet
unter uns und für uns, und dennoch verrät sein
Schaffen nur höchst indirekt Symptome dessen.
was man als ,.zeitgenössische Kunst" zu bezeich-
nen pflegt.
Wir sprechen von Erich Josef Dogarth. der am
11. Dezember 1927 in Wien geboren wurde,
Schüler der Wiener Akademie bei Josef Dobrawsky
und Sergius Pauser war und noch dazu einer alten
Malerfamilie entstammt: sein Vater, Oskar Josef
Dogarth (1898 71961) kann als unmittelbarer
Vorläufer der Kunst Erich Josefs angesehen wer-
den. Auch der Großvater malte. und schließlich
besitzt Dogarih auch noch einen Bruder. der
ähnliche Wege geht.
Alle Mitglieder dieser Künstierfamilie haben eines
gemein. das sie grundsätzlich von sämtlichen ernst-
zunehmenden Strömungen der Gegenwartsmalerei
unterscheidet: sie malen Blumenarrangements.
und das in einer Art. die spätestens vor genau
hundert Jahren in Wien ausgestorben war. Und
mit Erich Josef Dogarth im besonderen scheint
eine unglaubliche. ja eine fast ungiaubwürdige
"Renaissance der Alt-Wiener Blumenmalerei" ein-
geleitet zu sein. deren Ursachen es nachzugehen
gilt,
Die Alt-Wiener Blumenmalkunst hat eine Tradi-
tion, die bis ins letzte Viertel des 18. Jahrhunderts
zurückreicht. ihr eigentlicher Begründer ist Johann
Baptist Drechsler (1756-1811), der erste nament-
lich bekannte Lehrer an der seit 1773 mit der
Wiener Akademie zusammengelegten sogenannten
.,Manufakturschule", die, 1850 aufgelöst. zur Aus-
bildung van Porzelianmalern für die Wiener
Manufaktur diente. Drechsler entwickelte auch
das Kompositionsschema, das für die Alt-Wiener
Blumenmalerei verbindlich und von Dagarth
wiederbelebt wurde. Auf Steinkonsolen oder in
Nischen stehen Vasen aus Glas oder Fayence, die
mit kunstvollen Arrangements heimischer Blumen
ausgefüllt sind. Schmetterlinge und andere In-
sekten werden in diese bunte Blumenwelt als
Zeugen animalischen Lebens einbezogen. Rein
kompositorisch dienen sie dazu, die sehr stark
dem Symmetrieprinzip unterworfenen Schöpfun-
gen aufzulockern und die Quelipunkte für be-
lebende Biiddiagonaien zu markieren. Die Wieder-
gabe der Gegenstände im Bilde ist von beinahe
trompe-Vceil-haftem Naturalismus. Die Betonung
bei all jenen Schöpfungen liegt im Seelischen und
Kompositorischen beim Statischen, Undramati-
schen, idyllischen. Problemfreien; Fragen der
Durchdringung des Tiefraumes werden kaum an-
geschnitten, die Kompositionen nähern sich weit-
gehend einem leicht faßbaren Klischee an. ohne
jedoch starr. langweilig und schematisch zu wer-
den. Mit viel Raftinement werden malerische
Kontrapunkte geschaffen. die Leben in diese
ebenso schöne wie unbewegte, stille Welt eines
rein vegetativen Existierens bringen.
Die Alt-Wiener Biumenmalerei mündet in der
Mitte des 19. Jahrhunderts aus: Franz Xaver
Gruber (1801-1862) war letzter Direktor der
"Manufakturschuie". 1866 starb F. X. Fetter
(geb. 1791), Amtsvorgönger Grubers und höchster
Voilender der obbeschriebenen. mit der Kunst
des Porzellans so enge verbundenen Kunst der
Blumenmalerei.
Selbstverständlich ist auch die Alt-Wiener Blumen-
malerei nichts Originüres im unmittelbaren Sinne
des Wortes; ihre Grundlagen sind in der hollän-
dischen Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts zu
suchen. die Kompositions- und Motivschemen
gehen auf Künstler wie Gerard Dou. Jan van
Huysurn und Rachel Ruysch zurück.
Aber nun zu Dogorih und einer ..Blumenrenais-
sance"; die Frage wirft sich auf. ob Dogarth
überhaupt mehr sei als ein geschickter Plagiator.
Sie ist aufAnhieb nicht leicht zu beantworten, denn
gerade in der Schwarzweißreproduktion ist es,
wie unsere Bildpraben beweisen, kaum möglich,
seine Arbeiten von Arbeiten der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts zu unterscheiden. Diese Tat-
sache und vor allem das völlige Fehlen moder-
nistischer Züge mag dafür verantwortlich zu
machen sein. daß Dogarth. der Lebende. in den
Katalogen des Dorotheums gewissermaßen den
"Alten" zugerechnet wird. -
Selbstverständlich gibt es bei direkter Besichtigung
der Bilder Dogarths keinen Zweifel über ihr
Entstehungsdatum; sie bekennen sich hinsichtlich
der Signierung. der Wahl der 7 relativ kleinen -
Formate und der Malgründe durchaus zur Gegen-
wart. sie sind weder "Pasticci" noch Fälschungen.
wollen es nicht sein und können es auch gar nicht.
Vor allem besteht der entscheidende Unterschied
der Dogarthschen Blumenbilder zu ihren Alt-
Wiener Vorbildern in der Farbgebung, die eine
Synthese zwischen biedermeierlichem, kühlem und
hartem Kolorit mit der weichen Tonigkeit der
niederländischen Urbilder anstrebt.
Wesentlich erscheint uns die Feststellung. daß
Dogarths Kunst beim Publikum vorzüglich „an-
kommt", seine Bilder gehören zu den gefragtesten
Schöpfungen auf dem Markt. Die Publicity, die für
ihn gemacht wird. ist minimal im Vergleich zu
dem. was über Kreationen "moderner" Kunst-
richtungen geschrieben wird. Dogarths Kunst ent-
spricht einem tiefen Bedürfnis der Liebhaber
..schöner" Kunst in unserer Zeit. die heute so
selten auf ihre Rechnung kommen, Dogarth ist
letzten Endes der gleiche bescheidene. aus rein
handwerklicher Gesinnung heraus arbeitende.
betont "altmeisterliche" Könner. wie es seine
unmittelbaren künstlerischen Vorfahren im frühen
19. Jahrhundert waren. Seine Kunst stellt keine
Ansprüche. sie beunruhigt nicht und weist auf
keine Probleme hin. sie ist. um an ein Wort von
Henri Matisse zu erinnern. wie ein bequemer
Lehnstuhl, in dem man sich nach des Tages Mühe
ausruhen kann.
Es besteht gar kein Zweifel darüber, daß E. J.
Dogarth in gewisser Hinsicht ein hochspeziali-
sierter Maler ist, der mit seinen Blumenstitleben
besonders dem Wiener Publikumsgeschmack ent-
gegenkommt.
Er gestaltet letztlich immer nur ein und dasselbe
Motiv, das nur relativ geringe Möglichkeiten für
Experimentelles und für das Weiterentwickeln
formaler Grundideen lüßt. Was Dogarth grund-
sützlich von anderen unterscheidet. ist die Seriosi-
tat, ist der sittliche Ernst. ist das qualitative Ver-
antwortungsbewußtsein, mit dem er zu Werke
geht. Es versteht sich von selbst. daß seine Bilder
nicht auf dem Fließband produziert werden kön-
nen. sondern sorgsam. mühevoll und unter größter
Selbstzucht erarbeitet werden müssen. Seine Kunst
kommt tatsächlich vom Können; sie ist insoferne
ein symptomatisch wichtiges Produkt unserer Zeit.
als sie einfach die andere Möglichkeit zu all
jenem darstellt. das expressiv-eruptiv-bekenner-
haft. oft aber auch mit bedenkenloser Behendig-
keit in der weitaus überwiegenden Mehrzahl
unserer kleineren und größeren Galerien dar-
geboten wird. Besonders bemerkenswert scheint
uns die innere Schlichtheit und Sauberkeit bei
Dogarth zu sein: hier gibt es keine großen. mit
Pathos vorgetragenen Ansprüche, hier versagt das
Rotwelsch der Kunstkritik. hier bleibt alles. was
auch nur im entferntesten an Sensation gemahnt.
a priori ausgeschlossen. Diese innere Anstöndigkeit
aber ist es vor allem. die Dogarths Bildern ihre
Würde verleiht.
Stellt seine Kunst somit eine Randmöglichkeit der
Schaffensspanne unserer Zeit dar. lößt sie sich
in gewisser Hinsicht gut mit dem Schaffen der
Maler der ..Wiener Schule des phantastischen
Realismus" vergleichen, denn beiden Richtungen
ist das handwerklich Saubere. Gediegene, Könne-
rische, aber auch der Wille zur restlosen Fixierung
des innerlich und äußerlich Gesehenen gemein.
Bringt man hinsichtlich der Kunst Dogarths das
Wort Hphantastisch" zum Fortfall, legt man die
Betonung auf den Begriff "Realismus", so hat
man ihre innere Struktur bestens umschrieben.
Dogarth ist unhintergründig: seine Kunst kennt
keinen doppelten Boden, nichts an ihr ist ver-
trackt. nichts ist verdächtig. skurril. abstrus, in
keinem Moment spielt er mit Wahnvorstellungen.
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