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Jetzt bin ich, glaube ich, so weit. daß ich auch
Träume malen kann. Alles Figürliche. abgesehen
vom Porträt, ist für mich eine Geschichte. Die
Darstellungen des Mittelalters und Max Beckmann
kommen mir dabei zu Hilfe."
Aus diesen Worten lassen sich Stil und Ethos in
Marie Lauise von Motesiczkys Werk erkennen.
Das Abenteuer und die Mühe. gefühlsmäßig und
gedanklich in die sichtbare Welt einzudringen,
ist heute fast vergessen. Aber für Marie Louise
von Motesiczky war die Einstellung zum Malen
von Anfang an dieses Beteiligtsein, diese Wechsel-
wirkung zwischen sichtbarer Welt und dem. was
sich im Geist des beobachtenden Künstlers ab-
spielt,
Für sie bedeutet Kunst nicht die Realität zu ko-
pieren. sondern die Erfahrungen. Empfindungen
darzustellen: zu fühlen. zu träumen und Bilder
zu schaffen. an denen die Wett und der Künstler.
die Schöpfung und der Mensch gleichen Anteil
haben. Die Natur mußte gewissenhaft studiert
werden. denn selbst in einem verinnerlichten Bild
mußten Licht und Formen, Raum und Massen
gestaltet werden. Das Bild, die Poesie. der Traum
mußten überzeugend wirken, so daß andere
dazu gebracht werden konnten, es mit den Augen
des Malers zu sehen, seine Vision mitzuerleben,
Als die höchste Erfüllung von Marie Louise von
Motesiczkvs künstlerischem Ziel könnte man an-
sehen. was die Geschichte jener mittelalterlichen
Nonne berichtet, die, eingächlassen in ihrer
Zelle, das Leben nur wie durch einen Spiegel
betrachten kann und die alles, was sie sieht, in
einen großartigen Wandbehang einwebt; oder
wiederum wie die Legende von dem chinesischen
Maler, der so eins wurde mit seinem Bild, daß er
darin vollkommen verschwand.
Die Analyse nur eines einzigen ihrer Bilder
(„Das alte Lied") möge hier genügen. um uns
eine Vorstellung von der Einheit der objektiven
und subjektiven Realität zu geben. in der sie die
Grundlage ihrer Kunst erkennt. Eine alte Dame 7
die Mutter der Künstlerin i liegt zu Bett. Eine
Freundin ist zu Besuch gekommen, die immer
erscheint, um von sich selbst und ihren Sorgen zu
erzählen. Aus der Position. wie die Mutter im
Bett liegt und aus dem Ausdruck ihres Gesichts
können wir herauslesen. wie ängstlich besorgt
sie ist, daß ihre Freundin sie nicht zu früh wieder
ihrer Einsamkeit überlasse - die Furcht, daß
etwas Aufregendes, etwas Lebendiges. Wichtiges
damit verschwinden könnte, Die alte Dame lauscht
einer Erzählung. die für sie ein Versprechen von
neuem Leben bedeutet. Die Freundin trägt einen
roten. mit Hermelin verbrämten Mantel; ihre
Erzählung wird durch das Harfenspiel versinn-
bildlicht. Ein Kakadu. der der Freundin das
Leben schwermacht (der wohl für einen Menschen
steht). sitzt auf der Harfe und verdirbt das Lied,
Die alte Dame scheint um so belebter, je unglück-
licher ihre Freundin wird. die wiederum hofft.
durch ihr Klagen innere Beruhigung zu finden.
Obwohl die Freundin in einem Mantel von vollem
tiefem Rot erscheint. ist es die alte Dame. von
der das Licht eines intensiven inneren Erlebens
ausgeht. Marie Louise von Motesiczky hat ihre
Mutter so gemalt. wie sie sie immer schon gesehen
hat. Für sie ist die Mutter eine so herkömmliche
Person wie Homer oder Äsop. Sie hat nicht
einfach das Gesicht der Mutter abgemalt. sondern
das Gesicht dargestellt das sich niemals ver-
ändert: eine Situation. die immer da war. vertraut
wie ein altes Lied aus den Kindheitstagen 7
„Das alte Lied".
Die Künstlerin fühlte einen inneren Zwang. dieses
Bild so zu malen, wie es ist: den Ausdruck auf
dem Gesicht. das sie so sehr liebt. die Gesten,
die der Szene eine tiefere Bedeutung geben. Sie
fühlte den Zwang. es aus der Realität und Ver-
gönglichkeit auf eine höhere Ebene zu heben.
Romantik? Nein. Es ist das .,ewig Menschliche"
in der Kunst. der Sinn der Wirklichkeit. geformt
im Feuer einer poetischen Konzeption. Und es
sind alles Porträts: die Mutter. die Freundin.
der Vogel. der Hund unter dem Bett - dünn
gemalt. als wären sie mit durchsichtigen Tinten
aufgetragen. Und das war in der Tat das künst-
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