In vollkommener Harmonie von Bewegung
und Empfindung erleben Roß und Reiter
die Himmelserscheinung. Der Wille, „in
Stein zu malen", drückt sich auch in der
einansichtigen bildmäßigen Konzeption der
ganzen Nische mit dem rauschenden Vor-
hang als Hintergrund deutlich aus. Wie
unnachahmlich Berninis Gestaltung ist,
erweist der Vergleich mit Cornacchinis
Statue Kaiser Karls des Großen, die das
Gegenstück zum Konstantin werden sollte.
Bei Cornacchini blieb alles jedoch nur
gezierte repräsentative Pose (Abb. 14).
Diese malerische Gelöstheit der Gestaltung
rief bei den zeitgenössischen Kritikern
jedoch keineswegs Bewunderung hervor.
Gleich nach der Weihe erhob sich von allen
Seiten erbitterte Entrüstung. Die vatika-
nische Bibliothek bewahrt ein Pamphlet auf,
aus welchem in drastischer Weise diese
heftige Empörung über die „unwürdige"
Gestaltung des Konstantin hervorgeht37.
Der viel zu klein geratene Kaiser sitze wie
ein Alle auf einem Kamel, das Denkmal sei
einerseits unnatürlich phantastisch, ander-
seits vulgär naturalistisch. Es atme eher den
Geist eines „barone di Campodifiore" 1x als
den eines „Imperadore di Campidoglio".
Schließlich erinnert der Autor an die ähnlich
unwürdige Gestaltung der hl. Thercsia
Berninis in der Kirche Santa Maria della
Vittoria. wodurch eine der reinsten heiligen
Jungfrauen entweiht und geschändet worden
sei.
Diese zeitgenössischen Stimmen machen uns
das Neue und Bedeutende der Gestaltungs-
weisc Berninis völlig klar. Das Unverständ-
nis der Zeitgenossen sollte schließlich dem
alternden Meister einen schweren und
demütigenden Schicksalsschlag zufügen:
die Ablehnung und teilweise Zerstörung
seiner zweiten Reiterligur, des Standbildes
des Sonnenkönigs. In diesem Werk wollte
Bernini seine beim Konstantin gewonnenen
Erkenntnisse und Leistungen in einer großen
freistehenden Reiterligur krönen. Schon vor
der Vollendung des Konstantin hatte Ber-
nini anläßlich seines Pariser Aufenthaltes
1665 den Plan für die Reiterstarue Lud-
wigs XIV. erörtert. Die Arbeit an der
Porttätbüste Ludwigs war nur eine Vorstufe
dieser größeren Idee. Fasziniert von der
Gestalt des absoluten Herrschers und
beseelt von seinem Wunsche, dessen Reiter-
standbild zu gestalten, nahm er mit Ingrimm
alle demütigenden Intrigen des Pariser
Hofes in Kauf. Ein unveröffentlichtes
Skizzenblatt dieser Zeit 39 zeigt die leicht
mit der Feder hingelegten Pensieri eines
Reiters, umwuchert von Karikaturen und
Fratzen der verhaßten Cavalieri Francesi
(Abb. 15).
Der in der Villa Borghese aufbewahrte
Tcrrakottaentwurf zeigt die Rcitcrfigur des
Sonnenkönigs in einer großen, majestätisch
vorwärtssprengenden Bewegung (Abb. 16).
Es mag uns heute unverständlich erschei-
nen, daß die fertige Figur in Frankreich
vollkommen abgelehnt worden ist, ja sogar
als Majestätsbeleidigung gewertet wurde.
jahrelang lag sie unabgeholt in Berninis
Atelier, bis sie schließlich doch noch nach
Frankreich gebracht wurde. Dort hat man
sie durch häßliche Änderungen und alberne
Zutaten in ein Standbild des Marcus
Curtius travestiert und im Versailler Park
verschwinden lassen 40.
So ist der Konstantin Bcrninis einzige
Reiterstatue, die unversehrt erhalten ge-
blieben ist. Das Himmelszeichen „In hoc
signo vinces", das dem Kaiser erschienen
ist, hat auch den Künstler geleitet. Auch wir
stehen noch geblendet in seinem Banne,
wenn wir vor seiner gewaltigen Schöpfung
stehen, am Fuße der Herrschertreppe, die
hinaufführt zum Palazzo Angelico der
Päpste.