DER AUSSTELLER:
In den Jahren 1964-1966 hat das Wirtschafts-
förderungsinstitut der Kammer der gewerblichen
Wirtschaft für Wien jeweils zur Festwachenzeit
eine Ausstellung unter dem Titel ,.Wiener Form"
veranstaltet. Gezeigt wurden kunstgewerbliche
Eisen-undMetallarbeiten.Gold-undSilberschmuck.
Bijouterie- und Spielwaren, Holz-, Drechsler- und
Flechtarbeiten. Bastwaren, Bücher, Lederwuren,
Glaswaren. Porzellan und Keramik, Bekleidung.
Modeaccessoires, Sauvenirartikel, Sport- und Jagd-
geröte, Musikinstrumente und dndere Geräte des
täglichen Bedarfes.
Die mit diesen Ausstellungen verfolgten Bestre-
bungen waren stets dieselben: jene begabten
Erzeuger, die noch Wert darauf legen. daß jeder
von ihnen produzierte Gegenstand aus gutem
Material hergestellt und meisterhaft gearbeitet ist.
darüber hinaus aber einer guten Form möglichst
nahekommt und auch einen vernünftigen Zweck
erfüllt. sollten durch den repräsentativen Rahmen
einer Ausstellung gefördert, einem interessierten
Publikum ndhegebracht und in ihrer weiteren
Arbeit ermutigt werden. Alle jene, die um die
Forrngebung im gewerblichen Sektor und um die
humane Gestaltung der Dinge und Geräte des
täglichen Bedarfes, die uns umgeben. bemüht sind.
sollten neue Impulse erhalten. Die Veranstalter
strebten ferner an, daß viele Erzeuger, Handwer-
ker und lndustriellesich in der Schau für ihreeigene
Arbeit neue Anregungen holen, vielleicht durch
einen Vergleich ihrer Erzeugnisse mit den in der
Ausstellung gezeigten und preisgekrönten Gegen-
stünden zu einer Verbesserung ihrer eigenen Pro-
dukte verdnldßt würden. Der Geschmack des
Konsumenten schließlich sollte beeinflußt, seine
Kritik geschärft werden.
Sicher ist. daß mit den bisher durchgeführten Aus-
stellungen die erwähnten Ziele noch nicht erreicht
wurden. Man kann bestenfalls sagen, daß erste
Schritte in Richtung auf diese Ziele hin getan
wurden, Wie soll es nun weitergehen? Auf Grund
der bisherigen Erfahrungen wird wohl das Schwer-
gewicht nicht mehr bei so großen Ausstellungen
liegen, dafür aber der Förderung von Neuent-
wicklungen, etwa schöner Souvenirs, zeitgemäßer
guter Schmuckgegenstände oder anderen Be-
reichen der gewerblichen Erzeugung größeres
Augenmerk zugewendet werden. Das Ergebnis
derartiger Bemühungen, die das Wirtschafts-
förderungsinstitut in den kommenden Jahren unter-
nehmen will. soll der Öffentlichkeit wieder zur
Kritik präsentiert werden.
In diesem Jahr zeigen die Wiener Goldschmiede
eigene Arbeiten und Schmuckentwürfe, die im
Wege eines Wettbewerbes zustandekamen, im
Museum für angewandte Kunst am Stubenring.
Ein Wettbewerb über die Gestaltung von Ofen-
kacheln und keramischen Wandverkleidungen
wird gleichfalls 1967 durchgeführt. Schließlich
beabsichtigt das Institut, die im Vorjahr begonnenen
Entwicklungsarbeiten neuer Souvenirs aus Wien
fortzusetzen.
Komm-Rat Herbert Fritzsche
Vorsitzender des Kuratoriums
des Wirtschaftsförderungsinstitutes Wien
DER KUNSTHISTORIKER:
Für die drei Ausstellungen ,.Wiener Forrn 7 eine
Leistungsschau des guten Geschmacks" waren
jeweils 80 bis 100 Aussteller, Firmen und Kunst-
handwerker aufgeboten worden. Diese Zahl. die
nicht ohne Schwierigkeiten erreicht werden konnte,
ist füreine Stadt, deren Rufgerade aufden Gebieten
des Kunstgewerbes einen guten Klang hat, nicht
allzugroß. Man sollte meinen. daß sich selbst unter
den strengsten Auswahlbedingungen mehr Aus-
steller hätten finden müssen, wenn dieser Rufgegen-
wörtig noch zu Recht besteht.
Allem Anschein nach ist dies aber nicht mehr der
Fall. Dieses besondere „lmage" ist ein Erbe der
Vergangenheit. das vielleicht noch bis vor dem
zweiten Weltkrieg einigermaßen verdient gewesen
ist. Es war von den Generationen der Künstler und
Handwerker seit 1900 erarbeitet worden. deren
Produktionskraft selbst durch die katastrophalen
Folgen des ersten Weltkrieges nicht gemindert
werden ist. In den zwanziger Jahren gab es in Wien
neben der Wiener Werkstätte noch 4000 Kunst-
gewerbetreibende mit rund 10000 Gehilfen. Ihre
Erzeugnisse waren ein wichtiger Faktor der öster-
reichischen Wirtschaft.
ln der gegenwärtigen Situation einer sogenannten
Wohlstandsgesellschaft. deren Lebensstandard weit-
aus höher als vor dem zweiten Weltkrieg liegt.
scheint aber nur mehr das Bedürfnis nach der
Serien-. das heißt uniformierten Produktion vor-
zuherrschen. Das Kunsthandwerk und das Kunst-
gewerbe hat an dem allgemeinen wirtschaftlichen
Aufschwung keinen Anteil. Wie die Ausstellungen
„Wiener Form" zeigen, fristet es sein Dasein mehr
oder minder als fünftes. das heißt unnützes Rad am
allzuschnellen Geführt der industriellen und tech-
nischen Entwicklung. Aber das liegt nur zum Teil
an den Produzenten und Konsumenten, den grö-
ßeren Teil der Verantwortung hierfür tragen alle
jene Stellen und Institutionen, die tatenlos zusehen
und zusehen, wie hier der gute Ruf einer Berufs-
gruppe nach und nach verspielt wurde. Obwohl es
- zumindest in der Vergangenheit - Zentral-
stellen gegeben hat. die in vorbildlicher Weise
diese Sparte gefördert und damit zu dem Image der
Stadt Wien wesentlich beigetragen haben, so
fanden diese Maßnahmen nach 1945 keine Fort-
setzung. Die Versuche des Wirtschaftsförderungs-
institutes sind daher nicht hoch genug einzuschätzen.
Um so bedauerlicher ist es aber zu hören, daß die
Reihe der Ausstellungen nicht mehr fortgesetzt
werden soll.
Ohne den Gründen nachzugehen, die zu diesem
Schritt veronlaßt haben, muß gesagt werden. daß
gerade dieser Sektor der einheimischen Wirtschaft
mehr als jeder andere Zweig der Förderung
bedarf. Und dies nicht nur, um einen guten Ruf
gerade noch zu wahren, sondern aus den Evo-
lutionsbedingungen der modernen Wohlstands-
gesellschaft selbst heraus. Denn wie wir selbst
schon vor längerer Zeit ausgeführt haben und wie
Walter Heinrich. der Vorstand des Institutes für
politische Ökonomie an der Hochschule für Welt-
handel inWien.erst vor kurzem in einer fundierten
Analyse der wirtschaftlichen Verhältnisse festge-
stellt hat (Sonderbeilage des Mitteilungsblattes der
Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Salz-
burg, "Die Salzburger Wirtschaft". 1966). wird
auch in Österreich dem sogenannten "tertiären
Wirtschaftsbereich". den Leistungen für den per-
sönlichen Bedarf, den Gewerben, dem Handwerk,
den mittelständischen Betrieben. zusammen mit
einer .,Requalifizierung der Arbeit" eine immer
größere Bedeutung zukommen. Nun ist gutes
Kunstgewerbe zu allen Zeiten und auch heute in
Wien. wie die Ausstellungen zeigten, in erster
Linie qualitütvolle Leistung. Diese gilt es also mit
allen Mitteln zu fördern und über die augenblick-
liche Durststrecke zu halten, um für die sich heute
schon in den westlichen Wohlstandsgesellschaften
ankündigende Umorientierung der Konsumenten
gerüstet und konkurrenzfähig zu sein. Eine voraus-
schauende Wirtschaftspolitik wird darauf Bedacht
nehmen. Denn das Kunsthandwerk ist nicht passe,
wie einige Zeitgenossen in Überschätzung der
modernen Produktionsmethoden meinen, sondern
entspringt dem allgemeinen menschlichen Be-
dürfnis nicht nur nach einem gesteigerten Lebens-
standard, sondern nach der Ergänzung der unifor-
mierten Produktion durch individuelle Erzeugnisse
fiir den persönlichen Bedarf, das heißt für eine
sinnvolle Gestaltung der Umwelt und des persön-
lichen Lebens. Die Zeiten und der Nachwuchs, der
jedesJahrdie Kunstgewerbeschulen undAkademien
verlüßt, haben also an der augenblicklichen Situa-
tion keine Schuld. Wer aber dann - wenn nicht
die hierfür zuständigen wissenschaftlichen und
wirtschaftlichen Institutionen?!
Dr. Wilhelm Mrazek
Österreichisches Museum
für angewandte Kunst. Wien
DER ARCHITEKT:
Die Darbietung von Ausstellungsobjekten reflek-
tiert die Gestaltungskraft und die Ausdrucksweise
eines Architekten deshalb besonders deutlich. weil
er im allgemeinen freier zwischen jenen Grenzen.
die die Thematik der Ausstellung und die Renta-
bilität der Gestaltung setzen, schaffen kann als
etwa bei einem Hochbau.
Einmal in dieser Situation ündet er ein anreizendes
Spannungsfeld vor, das in der Erreichung einer
bewußten Wechselwirkung zwischen Ausstellungs-
gvt und Ausstellungsgestaltung und in der Steige-
rung zu einer Synthese bei gleichzeitiger best-
möglicher Darbietung der Exponate gelöst werden
muß. Denn ob das Thema für eine informative
Spezial- oder eine reine Kaufausstellung ader für
die Darbietung von Bildungsgut gestellt ist, es zielt
immer auf die Aufnahme durch ein Publikum.
Diese Forderungen mit den verfügbaren Mitteln zu
erfüllen. ist die Aufgabe des Architekten.
Im internationalen wie im regionalen Bereich sind
zwei prinzipielle Möglichkeiten der Darbietung
bekannt:
Die Überraschung hervorrufende, nur einmalige
Improvisation, die mit allen brauchbaren Mitteln
und Materialien arbeitet, setzt „gags" als Akzente
und lößt demzufolge Verzerrungen zu. Sie ist eine
Form aggressiver und subjektiver Gestaltung mit
allen Vor- und Nachteilen. In ihrem negativen
Extrem wird sie zur Exponierung des gestaltenden
Architekten und verfehlt damit ihren eigentlichen
Zweck.
Das zweite Prinzip wird repräsentiert durch ein
in einem bestimmten Modul entwickeltes. wieder-
holt verwendbares und variabel zusammensetz-
bares System, mit dessen Hilfe das Ausstellungsgut
dargeboten wird. Es setzt gute Materialkenntnis und
handwerkliche Genauigkeit voraus und ein
Charakteristikum ist Gediegenheit. Hier wird eine
objektive Darbietung angestrebt, die vom Be-
schauer aktives Interesse verlangt. Die Gestaltung
der Ausstellung dient in erster Linie dem Aus-
stellungsgut. Das negative Extrem krankt an ideen-
losigkeh des Gestalters und erschwert oder ver-
hindert durch Gleichförmigkeit die Aufnahme
durch den Beschauer.
Wien hat - neben Mischformen H beide Arten
seit 1945 in ausgeprägter Form kennengelernt,
z. B. in "Ausstellung koreanischer Kunst" 1962
(Architekt O. Uhl) und „Selektion" (Architekt
H. Hollein).
Die durch einen Wettbewerb im Jahre 1963 ein-
geleitete Reihe der "Wiener F0rm"-Ausstellungen
sollte lnformations- und Bildungsqualität vereinigen
und bei breitem Exponatrücken - Mode. Sport-
und Spielgerüte. Möbel. Geschirr und Besteck,
Schmuck, Souvenir usw. - mittleren Kostenauf-
wand verursachen.
Als erschwerende Forderung kam noch hinzu. daß
die Ausstellung beliebig verkleiner- und vergrößer-
bar und an verschiedenen Orten möglichst rasch
und mit immer neuem Erscheinungsbild sowie für
differente Teilgebiete des Ausstellungsrahmens auf-
zustellen sei.
Auf Grund einer System- und Materialanalyse
wurde das 4 später ausgewählte - Projekt bereits
im Wettbewerb detailliert ausgearbeitet und mit
verbindlichem Kostenvoranschlag der Jury vor-
gelegt: ein eigenes Korpus. bestehend aus fürdiesen
Zweck entwickelten Konstruktions-Elementen aus
vergütetem Holz, das gleichfalls dafür entwickelte
Plexiglas-Vitrinen trügt und die Schaffung er-
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