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Volltext: Alte und Moderne Kunst XII (1967 / Heft 90)

DER AUSSTELLER: 
In den Jahren 1964-1966 hat das Wirtschafts- 
förderungsinstitut der Kammer der gewerblichen 
Wirtschaft für Wien jeweils zur Festwachenzeit 
eine Ausstellung unter dem Titel ,.Wiener Form" 
veranstaltet. Gezeigt wurden kunstgewerbliche 
Eisen-undMetallarbeiten.Gold-undSilberschmuck. 
Bijouterie- und Spielwaren, Holz-, Drechsler- und 
Flechtarbeiten. Bastwaren, Bücher, Lederwuren, 
Glaswaren. Porzellan und Keramik, Bekleidung. 
Modeaccessoires, Sauvenirartikel, Sport- und Jagd- 
geröte, Musikinstrumente und dndere Geräte des 
täglichen Bedarfes. 
Die mit diesen Ausstellungen verfolgten Bestre- 
bungen waren stets dieselben: jene begabten 
Erzeuger, die noch Wert darauf legen. daß jeder 
von ihnen produzierte Gegenstand aus gutem 
Material hergestellt und meisterhaft gearbeitet ist. 
darüber hinaus aber einer guten Form möglichst 
nahekommt und auch einen vernünftigen Zweck 
erfüllt. sollten durch den repräsentativen Rahmen 
einer Ausstellung gefördert, einem interessierten 
Publikum ndhegebracht und in ihrer weiteren 
Arbeit ermutigt werden. Alle jene, die um die 
Forrngebung im gewerblichen Sektor und um die 
humane Gestaltung der Dinge und Geräte des 
täglichen Bedarfes, die uns umgeben. bemüht sind. 
sollten neue Impulse erhalten. Die Veranstalter 
strebten ferner an, daß viele Erzeuger, Handwer- 
ker und lndustriellesich in der Schau für ihreeigene 
Arbeit neue Anregungen holen, vielleicht durch 
einen Vergleich ihrer Erzeugnisse mit den in der 
Ausstellung gezeigten und preisgekrönten Gegen- 
stünden zu einer Verbesserung ihrer eigenen Pro- 
dukte verdnldßt würden. Der Geschmack des 
Konsumenten schließlich sollte beeinflußt, seine 
Kritik geschärft werden. 
Sicher ist. daß mit den bisher durchgeführten Aus- 
stellungen die erwähnten Ziele noch nicht erreicht 
wurden. Man kann bestenfalls sagen, daß erste 
Schritte in Richtung auf diese Ziele hin getan 
wurden, Wie soll es nun weitergehen? Auf Grund 
der bisherigen Erfahrungen wird wohl das Schwer- 
gewicht nicht mehr bei so großen Ausstellungen 
liegen, dafür aber der Förderung von Neuent- 
wicklungen, etwa schöner Souvenirs, zeitgemäßer 
guter Schmuckgegenstände oder anderen Be- 
reichen der gewerblichen Erzeugung größeres 
Augenmerk zugewendet werden. Das Ergebnis 
derartiger Bemühungen, die das Wirtschafts- 
förderungsinstitut in den kommenden Jahren unter- 
nehmen will. soll der Öffentlichkeit wieder zur 
Kritik präsentiert werden. 
In diesem Jahr zeigen die Wiener Goldschmiede 
eigene Arbeiten und Schmuckentwürfe, die im 
Wege eines Wettbewerbes zustandekamen, im 
Museum für angewandte Kunst am Stubenring. 
Ein Wettbewerb über die Gestaltung von Ofen- 
kacheln und keramischen Wandverkleidungen 
wird gleichfalls 1967 durchgeführt. Schließlich 
beabsichtigt das Institut, die im Vorjahr begonnenen 
Entwicklungsarbeiten neuer Souvenirs aus Wien 
fortzusetzen. 
Komm-Rat Herbert Fritzsche 
Vorsitzender des Kuratoriums 
des Wirtschaftsförderungsinstitutes Wien 
DER KUNSTHISTORIKER: 
Für die drei Ausstellungen ,.Wiener Forrn 7 eine 
Leistungsschau des guten Geschmacks" waren 
jeweils 80 bis 100 Aussteller, Firmen und Kunst- 
handwerker aufgeboten worden. Diese Zahl. die 
nicht ohne Schwierigkeiten erreicht werden konnte, 
ist füreine Stadt, deren Rufgerade aufden Gebieten 
des Kunstgewerbes einen guten Klang hat, nicht 
allzugroß. Man sollte meinen. daß sich selbst unter 
den strengsten Auswahlbedingungen mehr Aus- 
steller hätten finden müssen, wenn dieser Rufgegen- 
wörtig noch zu Recht besteht. 
Allem Anschein nach ist dies aber nicht mehr der 
Fall. Dieses besondere „lmage" ist ein Erbe der 
Vergangenheit. das vielleicht noch bis vor dem 
zweiten Weltkrieg einigermaßen verdient gewesen 
ist. Es war von den Generationen der Künstler und 
Handwerker seit 1900 erarbeitet worden. deren 
Produktionskraft selbst durch die katastrophalen 
Folgen des ersten Weltkrieges nicht gemindert 
werden ist. In den zwanziger Jahren gab es in Wien 
neben der Wiener Werkstätte noch 4000 Kunst- 
gewerbetreibende mit rund 10000 Gehilfen. Ihre 
Erzeugnisse waren ein wichtiger Faktor der öster- 
reichischen Wirtschaft. 
ln der gegenwärtigen Situation einer sogenannten 
Wohlstandsgesellschaft. deren Lebensstandard weit- 
aus höher als vor dem zweiten Weltkrieg liegt. 
scheint aber nur mehr das Bedürfnis nach der 
Serien-. das heißt uniformierten Produktion vor- 
zuherrschen. Das Kunsthandwerk und das Kunst- 
gewerbe hat an dem allgemeinen wirtschaftlichen 
Aufschwung keinen Anteil. Wie die Ausstellungen 
„Wiener Form" zeigen, fristet es sein Dasein mehr 
oder minder als fünftes. das heißt unnützes Rad am 
allzuschnellen Geführt der industriellen und tech- 
nischen Entwicklung. Aber das liegt nur zum Teil 
an den Produzenten und Konsumenten, den grö- 
ßeren Teil der Verantwortung hierfür tragen alle 
jene Stellen und Institutionen, die tatenlos zusehen 
und zusehen, wie hier der gute Ruf einer Berufs- 
gruppe nach und nach verspielt wurde. Obwohl es 
- zumindest in der Vergangenheit - Zentral- 
stellen gegeben hat. die in vorbildlicher Weise 
diese Sparte gefördert und damit zu dem Image der 
Stadt Wien wesentlich beigetragen haben, so 
fanden diese Maßnahmen nach 1945 keine Fort- 
setzung. Die Versuche des Wirtschaftsförderungs- 
institutes sind daher nicht hoch genug einzuschätzen. 
Um so bedauerlicher ist es aber zu hören, daß die 
Reihe der Ausstellungen nicht mehr fortgesetzt 
werden soll. 
Ohne den Gründen nachzugehen, die zu diesem 
Schritt veronlaßt haben, muß gesagt werden. daß 
gerade dieser Sektor der einheimischen Wirtschaft 
mehr als jeder andere Zweig der Förderung 
bedarf. Und dies nicht nur, um einen guten Ruf 
gerade noch zu wahren, sondern aus den Evo- 
lutionsbedingungen der modernen Wohlstands- 
gesellschaft selbst heraus. Denn wie wir selbst 
schon vor längerer Zeit ausgeführt haben und wie 
Walter Heinrich. der Vorstand des Institutes für 
politische Ökonomie an der Hochschule für Welt- 
handel inWien.erst vor kurzem in einer fundierten 
Analyse der wirtschaftlichen Verhältnisse festge- 
stellt hat (Sonderbeilage des Mitteilungsblattes der 
Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Salz- 
burg, "Die Salzburger Wirtschaft". 1966). wird 
auch in Österreich dem sogenannten "tertiären 
Wirtschaftsbereich". den Leistungen für den per- 
sönlichen Bedarf, den Gewerben, dem Handwerk, 
den mittelständischen Betrieben. zusammen mit 
einer .,Requalifizierung der Arbeit" eine immer 
größere Bedeutung zukommen. Nun ist gutes 
Kunstgewerbe zu allen Zeiten und auch heute in 
Wien. wie die Ausstellungen zeigten, in erster 
Linie qualitütvolle Leistung. Diese gilt es also mit 
allen Mitteln zu fördern und über die augenblick- 
liche Durststrecke zu halten, um für die sich heute 
schon in den westlichen Wohlstandsgesellschaften 
ankündigende Umorientierung der Konsumenten 
gerüstet und konkurrenzfähig zu sein. Eine voraus- 
schauende Wirtschaftspolitik wird darauf Bedacht 
nehmen. Denn das Kunsthandwerk ist nicht passe, 
wie einige Zeitgenossen in Überschätzung der 
modernen Produktionsmethoden meinen, sondern 
entspringt dem allgemeinen menschlichen Be- 
dürfnis nicht nur nach einem gesteigerten Lebens- 
standard, sondern nach der Ergänzung der unifor- 
mierten Produktion durch individuelle Erzeugnisse 
fiir den persönlichen Bedarf, das heißt für eine 
sinnvolle Gestaltung der Umwelt und des persön- 
lichen Lebens. Die Zeiten und der Nachwuchs, der 
jedesJahrdie Kunstgewerbeschulen undAkademien 
verlüßt, haben also an der augenblicklichen Situa- 
tion keine Schuld. Wer aber dann - wenn nicht 
die hierfür zuständigen wissenschaftlichen und 
wirtschaftlichen Institutionen?! 
Dr. Wilhelm Mrazek 
Österreichisches Museum 
für angewandte Kunst. Wien 
DER ARCHITEKT: 
Die Darbietung von Ausstellungsobjekten reflek- 
tiert die Gestaltungskraft und die Ausdrucksweise 
eines Architekten deshalb besonders deutlich. weil 
er im allgemeinen freier zwischen jenen Grenzen. 
die die Thematik der Ausstellung und die Renta- 
bilität der Gestaltung setzen, schaffen kann als 
etwa bei einem Hochbau. 
Einmal in dieser Situation ündet er ein anreizendes 
Spannungsfeld vor, das in der Erreichung einer 
bewußten Wechselwirkung zwischen Ausstellungs- 
gvt und Ausstellungsgestaltung und in der Steige- 
rung zu einer Synthese bei gleichzeitiger best- 
möglicher Darbietung der Exponate gelöst werden 
muß. Denn ob das Thema für eine informative 
Spezial- oder eine reine Kaufausstellung ader für 
die Darbietung von Bildungsgut gestellt ist, es zielt 
immer auf die Aufnahme durch ein Publikum. 
Diese Forderungen mit den verfügbaren Mitteln zu 
erfüllen. ist die Aufgabe des Architekten. 
Im internationalen wie im regionalen Bereich sind 
zwei prinzipielle Möglichkeiten der Darbietung 
bekannt: 
Die Überraschung hervorrufende, nur einmalige 
Improvisation, die mit allen brauchbaren Mitteln 
und Materialien arbeitet, setzt „gags" als Akzente 
und lößt demzufolge Verzerrungen zu. Sie ist eine 
Form aggressiver und subjektiver Gestaltung mit 
allen Vor- und Nachteilen. In ihrem negativen 
Extrem wird sie zur Exponierung des gestaltenden 
Architekten und verfehlt damit ihren eigentlichen 
Zweck. 
Das zweite Prinzip wird repräsentiert durch ein 
in einem bestimmten Modul entwickeltes. wieder- 
holt verwendbares und variabel zusammensetz- 
bares System, mit dessen Hilfe das Ausstellungsgut 
dargeboten wird. Es setzt gute Materialkenntnis und 
handwerkliche Genauigkeit voraus und ein 
Charakteristikum ist Gediegenheit. Hier wird eine 
objektive Darbietung angestrebt, die vom Be- 
schauer aktives Interesse verlangt. Die Gestaltung 
der Ausstellung dient in erster Linie dem Aus- 
stellungsgut. Das negative Extrem krankt an ideen- 
losigkeh des Gestalters und erschwert oder ver- 
hindert durch Gleichförmigkeit die Aufnahme 
durch den Beschauer. 
Wien hat - neben Mischformen H beide Arten 
seit 1945 in ausgeprägter Form kennengelernt, 
z. B. in "Ausstellung koreanischer Kunst" 1962 
(Architekt O. Uhl) und „Selektion" (Architekt 
H. Hollein). 
Die durch einen Wettbewerb im Jahre 1963 ein- 
geleitete Reihe der "Wiener F0rm"-Ausstellungen 
sollte lnformations- und Bildungsqualität vereinigen 
und bei breitem Exponatrücken - Mode. Sport- 
und Spielgerüte. Möbel. Geschirr und Besteck, 
Schmuck, Souvenir usw. - mittleren Kostenauf- 
wand verursachen. 
Als erschwerende Forderung kam noch hinzu. daß 
die Ausstellung beliebig verkleiner- und vergrößer- 
bar und an verschiedenen Orten möglichst rasch 
und mit immer neuem Erscheinungsbild sowie für 
differente Teilgebiete des Ausstellungsrahmens auf- 
zustellen sei. 
Auf Grund einer System- und Materialanalyse 
wurde das 4 später ausgewählte - Projekt bereits 
im Wettbewerb detailliert ausgearbeitet und mit 
verbindlichem Kostenvoranschlag der Jury vor- 
gelegt: ein eigenes Korpus. bestehend aus fürdiesen 
Zweck entwickelten Konstruktions-Elementen aus 
vergütetem Holz, das gleichfalls dafür entwickelte 
Plexiglas-Vitrinen trügt und die Schaffung er- 
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