Zeichnungen tragen expressive Züge. sind pro-
blematischer im Inhalt und zeigen den impetuosen
Strich des Künstlers. Eine dritte Gruppe klingt in
zwei Zeichnungen an (Abbfll). abstrakten Ge-
staltungen. die nicht nur Hanaks Bedeutung für
die moderne Plastik ahnen lassen. sondern viel
mehr noch von seiner hohen Musikalität künden.
interessant und typisch für l-ianak sind die Kom-
mentare. die auf einigen der Zeichnungen zu
finden sind (Abb. 7. 9); sie sind kritisch oder er-
läuternd. manche andere gewähren einen er-
schütternden Einblick in die materielle Notlage
des Künstlers. immer sind diese Anmerkungen in
Hanaks charakteristischer. ornamental wirkender
Schrift gemacht (Abb. S). die einer näheren Unter-
suchung würdig wäre.
Die Tintenstiftzeichnungen zeigen weibliche Akte.
tanzende Figuren. solche, die in gelöster Ruhe
gelagert sind. die Freude an der Schönheit kün-
den. Schwerelosigkeit ausdrücken. die dem Licht
geöffnet sind. Schwingende Rhythmen durchziehen
diese Bilder (Abb. 1. 2).
Die Technik des Tintenstiftes erlaubt malerische
Effekte. Oft sind die Figuren in mystisches Dunkel
gehüllt. oft sind sie in sonnige Helligkeit getaucht.
oft glost es in ihnen oder es lodern Flammen
(Abb. 1. 4). Es sind von innen durchglühte Körper.
Bisweilen aber haben sie die Oberfläche des
kalten. glatten Steins (AbbÄS). Manchmal sind die
Konturen mit dem Tintenstift dicht zusammen-
geschlossen, auf ihre Silhouette zusammengefaßt
(Abb. 4): diese nach innen blickenden Figuren
sind geballte Kraft. massive Körperlichkeit. Die
Gesichter sind ins Dunkel getaucht. in den Beinen
sind aufhellende Lichter. Die starken Tintenstift-
striche wirken in der violetten Lavierung grün
opalisierend. Die Körper sind wie von innen
durchglüht. das Licht dringt an die Oberfläche
und macht sie lebendig. Es ist also überflüssig. den
Körper zu modellieren. die Impulse kommen van
innen. es ist ein Modulieren, nicht ein Modellieren.
Bei Hanak ist es die schwellende Kraft des Lichtes.
die aus dem Material hervorbricht und es ent-
materialisiert.
Andere Figuren bekommen das Licht von außen
(Abb. 2). die Konturen sind bisweilen aufgelöst.
Dort. wo das Licht vom Material wegnimmt,
wird dem Körper von seiner Schwere. von seiner
materiellen Substanz genommen. Hanaks Figuren
sind aus Feuer und Licht geboren.
Die Tusche- und Tintenfederzeichnungen haben
phantastische Inhalte. Die Blätter mit den viel-
armigen und vielbeinigen Figuren sind Beispiele
reiner Graphik. Es sind keine Bewegungsstudien.
die nach dem richtigen Bewegungsmoment
suchen. sondern es sind Visionen des Künstlers
(Abb. 6). Solch eine Figur hat sieben Arme. die
wie die Greifer eines Polypen ins Freie ringen
und vom Körper nicht loskommen: das Gesicht
ist das eines Fauns. die Augen sind nach oben ge-
richtet. sein Mund ist leicht geöffnet, als härte er
Musik. der er im Tanzschritt folgt.
Der Strich ist vielgestaltig. In Kurven und Bögen.
Zähnen und Häkchen. Knoten und Kerben ist er
. voll innerer Unruhe. Das sind Beispiele wahrer
Griffelkunst. Es ist die harte. unsinnliche (im
Gegensatz zur mehr sensualistischen Tintenstift-
Zeichnung). unerbittliche Schwarzweißkunst. die
am stärksten das Temperament des Künstlers
offenbart. Zu diesen Themen bevorzugt Hanak
den männlichen Akt, der die Tektonik des mensch-
lichen Körpers besser zeigt und der den schroffen.
ruckartigen Stößen herberer Takte folgt. Schwarz-
weißkunst ist die am wenigsten verbindliche Kunst.
die am wenigsten unsere Sinne anspricht. aber
am meisten Ausdruckskraft besitzt. Die Gestalten
sind mit einer Unmittelbarkeit vorgetragen. die
uns mitreißt. Figuren brausen wie im Sturm über
uns hinweg. Dämonen gleich. Diese Zeichnungen
sind eine flammende Hingabe an die Technik
der Graphik; auf kleinen. manchmal quadrati-
schen Blättern eines anspruchslosen. weichtiießen-
den Papieres vorgetragen, sind sie höchste künst-
lerische Aussage.
Ein Mensch hängt verkehrt und pendelt im Raum
(Abb. 7), Die Arme suchen rnit rudernden Be-
wegungen nach einem festen Punkt. Die Schulter
berührt die Erdkugel. Wird er mit seinen tieri-
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schen Prankeri. dem massigen Oberkörper. wieder
ins rechte Lot kommen? Dieser Mensch ist seinem
Schicksal. seinem Promethidenlos ausgeliefert.
..Vielleicht erhebst du dich noch einmal."
Ein Mensch tastet sich nach vorne. Mit suchender
Hand und weit ausholenden Schritten, die blick-
Iosen Augen nach oben gerichtet. balanciert er
gleich einem Blinden zwischen Himmel und Erde.
Oder ist es ein Seher. der wie lauschend den Kopf
hebt und dessen Hand nach oben weist?
Andere Zeichnungen verraten Hanaks Humor.
zeigen Clowns. Grotesken (Abb. 9. 10).
Ein katzenbuckeliger. ausgemergelter Körper
kriecht über die Erde (Abb. 8). Ist es ein Mensch?
Dieser Körper hat die federnde Kraft eines Tieres.
Viel Animalisches liegt in der Figur. instmktiv
weist die rechte Hand den richtigen Weg. Weg-
sucher sind die Gestalten Hanaks. ob sie sich vor-
oder rückwärtstasten. sie alle suchen den richtigen
Weg (Abb. 9).
Diese Zeichnungen Hanaks sind Phantasiebilder.
Als Bildhauer verlangte er von seinen Schülern
das Schaffen aus der Phantasie. Dort, wo sich die
Imagination des Künstlers besonders verdichtet,
greift er zum Stift. da dieser die Unmittelbarkeit
eines Einfalls. das Werden einer Gestalt besonders
spontan wiedergibt. Die Grundidee. die die Bilder
beherrscht. ist die Bewegung im Raum. Seine
Körper. meist nur auf einen Punkt gestützt. be-
schreiben verschiedene Bewegungen, sie pendeln,
schweben. balancieren. schrauben sich nach oben,
drehen sich um die eigene Achse und schaffen in
sich gegenläufige Bewegungen. Sie alle stehen
auf der Spitze eines Berges. unter ihnen rotiert
die Welt. der Mensch ist gleichsam Fliehkraft.
Allen Zeichnungen ist ein Prinzip gemein: das
Tektonische. Architektonische. Dies zeigt sich be-
sonders schön in den abstrakten Zeichnungen
(Abb.'l1). die aus Steinquadern gefügte Gebilde
zeigen. den eigenen Kraftlinien folgend und nach
den Gesetzen des Tragens und Lastens gebaut.
Hier berührt Hanak. indem er architektonische
Gebilde setzt. den Bereich der Musik. setzt volle
Akkorde. Harmonien, die im Raume schwingen.
Diese Karyatiden sind tönende Instrumente, auf
dem vollkommenen Maß der Dreihett aufgebaut.
Der Kanon ist auch hier - wie überall im Werke
Hanaks 7 der menschliche Körper!
ä
Einer Mitteilung von Herrn Dipl-Ing. Erich Gusel
vom Anton-Hanak-Archiv im Museum Lang-
enzersdorf zufolge. wurden zu Lebzeiten des
Künstlers auf folgenden Ausstellungen Zeichnun-
gen und Skizzen gezeigt:
Bei der Ausstellung von Werken A. Hanaks im
Theseustempel des Volksgartens wurden im Früh-
jahri192ß im Rahmen der kurz zuvor gegründeten
Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst außer
verschiedenen Plastiken auch Federzeichnungen
ausgestellt.
Im Sommer 1926 veranstaltete die Kunsthandlung
Würthle in der Weihburggasse eine Ausstellung.
die 130 graphische Skizzen und nur 10 plastische
umfaßte. Es wurde berichtet. daß diese Ausstellung
nicht so sehr einen Blick in die Werkstatt
eines Schaffenden. als in die Seele eines Menschen
(in des Wortes schwerstem Sinne) vermittelt"
(Dr. E. H. Buschbeck).
Die Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst
veranstaltete im Herbst 1927 im Österreichischen
Museum am Stubenring über Anregung Hans
Tietzes die Ausstellung ..Das Werden eines Kunst-
werks". Am stärksten kam der Schaffensprozeß
mit all seinen Zwischenstadien in Hanaks Groß-
plcistik ..Der letzte Mensch" zur Geltung. Vier
Plastiken und 46 Federzeichnungen zeigten die
allmähliche Entwicklung der künstlerischen Idee
mit allen ihren Änderungen, die durch das Tem-
perament des Künstlers hervorgerufen wurden.
bis endlich das abgeschlossene Kunstwerk vor uns
steht, Die Zeichnungen waren vielfach mit An-
merkungen versehen; aus ihnen war zu ent-
nehmen. was Hanak in jedem Fall angestrebt und
inwieweit er das Angestrebte erreicht hat. Diese
Kommentare des Künstlers, die dieser natürlich
nicht fürs Publikum bestimmte. sondern verfaßt
hat. um sich selbst völlige Klarheit über sein Tun
zu verschaffen. sind besonders wertvoll.