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Volltext: Alte und Moderne Kunst XII (1967 / Heft 92)

Vojtech Til kovsky 
ZUR TRIENNALE DER NAIVEN 
KUNST 
Seit der Zeit, da Apollinaire in dem Zöllner 
Rousseau uncl Wilhelm Uhde in seiner Köchin 
Seraphine malerische Talente entdeckten. ist rund 
ein halbes Jahrhundert vergangen, in welchem 
das Schaffen der .,naiven" oder ,.primitiven" 
Künstler. der ,.Maler des heiligen Herzens" 7 
oder wie sie auch immer genannt werden 7 
nach und nach in das Blickfeld des öffentlichen 
Kunstinteresses geriet und stetig in seinem Wert 
gestiegen ist. Die Pariser Ausstellung der .,grol'len 
Fünf" (Rousseau. Seraphine Louis, Bauchant, 
Bombois und Vivin) im Jahre 1928 legalisierte 
dann auch diese vormals so heiß umstrittene 
Kunstart. Zehn Jahre später, 1938, wurde die 
Zahl der „salonfähigen" naiven Künstler auf acht 
erhöht. und diese erhielten die Benennung ,.Mailres 
populaires de la Realite". 
Die Aufwärtsentwicklung dieser Kunstgatlung 
nahm jedoch fortwährend zu, das Schaffen der 
Einzelgänger wurde zur Bewegung und auch zum 
Objekt der Spekulation. Das Museum of Modern 
Art in New York hat im Jahre 1938 schon mehr 
als 150 Werke von 23 Laienkunstlern ausgestellt, 
und gelegentlich der EXPO 1958 fand in Brüssel 
bereits die erste internationale Ausstellung naiver 
Kunst statt. Darauf folgte eine Ausstellung in 
Baden-Baden, die auch in Frankfurt und l-lan7 
nover gezeigt wurde, sowie später dann in Basel, 
Rom, Rotterdam. Salzburg. Linz, München 7 und 
abermals in Paris, wo übrigens schon seit l94B 
ein Sondersaal des Museums fur moderne Kunst 
dieser Kunstart geweiht ist. Nun wurde vor kurzem 
in Bratislava (Preßburg) die erste institutionelle 
Triennole naiver Kunst veranstaltet, die sich alle 
drei Jahre wiederholen soll, um die besten Werke 
dieses Kunstschaffens vorzuführen, Gleichzeitig soll 
sie dazu berufen sein, die Hauptfragen der aus 
innerer Notwendigkeit ausgeübten, von ieder 
Kunsttradition freien schöpferischen Betätigung 7 
die eine Art von lnsel in einer zivilisierten und 
technisierten Umwelt bedeutet 7 auf internationa- 
len Symposien abzuklären. 
Am ersten Symposien 7 im vergangenen Herbst 7 
nahmen die besten Kenner der naiven Kunst 
Europas teil und diskutierten drei Tage lang 
über Wesen, Bedeutung, ästhetische Erscheinungs 
form und gesellschaftliche Bedingtheit der Kunst 
der modernen Primitiven. Trotzdem konnte die 
Aufgabe dieses großangelegten Zusammentreffens 
nicht restlos erfüllt werden, Die Kunst der Naiven 
unserer Zeit ist scheinbar nicht eindeutig erfaßbar: 
sie reicht nicht nur bis in das Gebiet der mystischen 
Phantastik und der schizophrenen Bildnerei, sie 
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nährt sich auch mit den Früchten einer oft archaisch 
irrationalen Umwelt. wobei sie sich vielfach einer 
utopistischen Symbolsprache der Volkskunst be- 
dient und nicht zuletzt auch manchmal bereits 
die Gefahrenzone des Kitschs überschreitet. Die 
Ansichten einiger Symposionteilnehmer trugen iee 
doch entscheidend zur Klärung des Phänomens bei. 
Oto Bihalji-Merin, der hervorragende Theoretiker 
der Naiven, Entdecker und Protektor der heute 
weltbekannten iugoslawischen Bauernmalerei. dee 
finierte diese Art des Schaffens als die einzige 
wirklich außerhalb alles Geschichtlichen existie- 
rende Kunst. die keine biologische Stufe 7 wie die 
Kindermalerei 7 und keine psychische Belastung 
7 wie die Kunst der Geisteskronken 7 darstelle, 
Seiner Meinung nach suche der naive Künstler 7 
zum Unterschied von den akademischen. ge- 
schulten keine Auseinandersetzung mit den 
Formen der Dinge, sondern die Dinge selbst. 
Zwischen Vorstellung und Realisation bestehe für 
ihn weniger ein ästhetisches als vielmehr ein 
Problem des technischen Verfahrens. Der naive 
Künstler wolle das mit den Augen oder dem Geist 
Geschaute neu erschaffen: Mensch und Landschaft. 
Dinge und Träume. Begebenheiten und Visionen 
seien für ihn keine fragen von Hell und Dunkel, 
von Rhythmus und Raum 7 wenn auch diese 
Elemente unbewußl aus der Begabung selbst 
empfunden und gelöst werden können, Mit der 
Intensität des Gefuhls folge der naive Künstler 
dem lriebhaflen Willen, Mensch. Dinge und Vor7 
stellungen auf die Fläche von Holz, Glas, Leth- 
wand zu proiizieren, Holz. Stein oder Metall zu 
formen, um den schöpferischen Akt der Neue 
erschaffung zu erfüllen. 
Wenn auch die Thesen Bihalii-Merins das Rück- 
grat des Symposions bildeten, der Kern der Trien- 
nale war die Ausstellung selbst. Sie brachte aus 
der Schaffensfülle der Naiven in allen Teilen der 
Erde ein ziemlich umfassendes und gültiges Panv 
orama: mehr als 300 Werke von zirka 200 Künst- 
lern aus der Zeitspanne der vergangenen fünfzig 
Jahre So bot sich denn nicht nur eine ungeheuer 
reiche und interessante Schau, sondern auch eine 
hervorragende Gelegenheit zur Erforschung und 
Analyse des „naiven Kunstphänomens". Diese 
Forschungen sollen nach drei Jahren, bei der 
nächsten Triennale, fortgesetzt werden. Was aber 
diese nächste Ausstellung an Material noch Neues 
bringen kann, ist vorläufig eine unbeantwortete 
Frage. Denn Entwicklung und Fortschritt kann es 
ja in dieser Kunst nicht geben 7 das widerspräche 
ihrem Wesen, 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

	        
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