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Volltext: Alte und Moderne Kunst XII (1967 / Heft 93)

R. H. Wackcrnagel 
BEMERKUNGEN ZU DEN 
VORBILDERN UND DER 
VERWENDUNG 
DER KRÖNUNGSXVAGEN 
DEUTSCHER HERRSCHERÜ 
Unter allen Siaaß- und Pararieiuugen, die 
vom späten 17. bis in die erste Hälfte des 
19. Jahrhunderts an den Königshöfen 
Europas anläßlich grqßer Xnlennitälen ver- 
wendet wurden, kam den sogenannten 
Kränungrulqgen der höchste Rang zu. Sie 
waren für die zeremoniellen Auf- und 
Eingiige innerhalb der Krönungsfeierliclw- 
keiten von Kaisern und Königen bestimmt 
und wurden für diese Anlässe bisweilen 
eigens angeschafft. 
Den ersten Zeremonienwagen, der mit 
Sicherheit als Krönungrulngeßz bezeichnet und 
wohl als solcher verwendet worden ist, 
hatte das schwedische Königshaus in Auf- 
trag gegeben. In Hofstallpapieren der 
zweiten Hälfte des 17. jahrhunderts wird 
er der Borrlerazle Krälzirigrrqgnen genannt. 
Außer einigen technischen Details sind für 
ihn unter anderem 6 Kristallfenstergläser 
und Vorhänge mit Goldquasten erwähnt. 
Wie zwei weitere Prunkwagen und 14 wohl 
einfachere Fahrzeuge des königlichen Wa- 
genparks wurde er 1696 durch jenen ver- 
heerenden Brand vernichtet, dem auch die 
Marstallbauten zum Opfer Helen. 
Bemerkenswert, daß der schwedische König 
Karl XI. (regierte 1660-1697) diese Ver- 
luste nicht etwa durch fähige einheimische 
Wagenbauer ersetzen ließ. Er bestellte 
vielmehr außer einer neuen Galakarosse 
noch einige weitere Fahrzeuge in Paris, 
wozu ihn f abgesehen von der engen 
politischen Verbindung seines Staates mit 
Frankreich - vor allem auch die über- 
ragende Bedeutung der damaligen Pariser 
Wagenateliers bewogen haben muß. Ohne 
Zweifel hat ihn dazu sein Hofarchitekt 
Nicodemus Tessin d. J. gedrängt, der, wie 
er selbst, ein glühender Verehrer Ludwigs 
XIV. und außerdem mit einigen der be- 
deutendsten Künstler des französischen 
Hofes befreundet warl. 
Auf königliche Order hin beauftragte der 
damalige schwedische Geschäftsträger in 
Paris, Daniel Cronström, mit dem Rohbau 
für den Galawagenkasten „den besten 
carrossier (1 Wagenbauschreiner) von 
Paris", einen Mann, der sonst auch für 
den französischen Hof arbeitete. Gleich- 
zeitig wandte sich Cronström auch an 
Jean I. Berain, den Ersten Kammer- und 
Kabinettzeichner Ludwigs XIV. Dieser 
sollte mit Entwürfen neuartiger Dekora- 
tionen von ganz außergewöhnlicher Kost- 
barkeit alle damaligen bekannten Prunk- 
wagen - das heißt auch solche der könig- 
liehen Familie - übertreffen. Sehr spricht 
nun für die Bedeutung dieses neuen Krä- 
ningmugneu, daß jedes kleinste technische 
und künstlerische Detail in vielen Briefen 
zwischen Tessin und Cronström besprochen 
14 
wurde. Man diskutierte außer einer beson- 
ders modernen Wagenkastenform auch die 
Verzierung der Radspeichen - was den 
Rädern später die Bezeichnung „a la 
Cronström" cintrug - und bestimmte 
eine repräsentative Auswahl der für das 
schwedische Königreich charakteristischen 
Insignien. Gewissermaßen als Garantie für 
echte französische Wagenbauerkunst wur- 
den Fahrgestell und Kastenrohbau sowie 
angeschnitztc und vergoldete Dekorations- 
proben und Modelle noch in Paris gefertigt. 
Darnach verschiffte man die Einzelteile 
nach Stockholm, wo sie von französischen 
Kunsthandwerkern - die mit Ausstattungs- 
arbeiten im neuen Schloß beschäftigt waren 
- zusammengebaut und vollendet wurden. 
Der heute in der königlichen Linruxl- 
karwuaren zu Stockholm aufbewahrte Km"- 
nilzggxzßagrlen ist eine typische grzulri carroue, 
die damalige Fachleute genauer als eine 
rarroxre moderne bezeichnet haben würden. 
Denn der Typus dieses Hofwagens war 
von namhaften französischen Hofkünstlern 
erst nach 1660 entwickelt worden - und 
zwar für festliche und auf höchste Re- 
präsentation ausgerichtete Auffahrten des 
jungen Sonnenkönigs, der damals eben 
Frankreichs Staatsgeschicke selbst in die 
Hand genommen hatte und dies mit ent- 
sprechender Prunkentfaltung der staunen- 
den Welt auch sichtbar kundtun wollte. 
Mit zwei prachtvollen, für Ludwig XIV. 
gebauten Xfanrrkarurren, deren erste Auf- 
fahrten zu politisch Wichtigen Ereignissen 
des jahres 1667 Adam-Frangnis van der 
Meulen als Erster königlicher Historien- 
maler für die Nachwelt festgehalten hat, 
begann der Aufstieg dieser neuen Wagen- 
gattung. 
Da sie bald zu den unentbehrlichsten Re- 
quisiten der öffentlichen Repräsentation 
zählten, blieb denn auch ihre Verwendung 
nicht mehr lange dem Hof allein vorbe- 
halten. Um den stolzen Besitz kostbar 
ausgestatteter Karossen wetteiferten eitle 
Parvenus der Mittelklasse schon bald mit 
den höchsten Vertretern des Adels- und 
Beamtenstandes. Was man an einer mrrome 
besonders schätzte, das waren die Kon- 
struktion eines robusten und wendigen 
Fahrgestelles und die etwas später einge- 
führten Druckfedern. Noch beliebter war 
eine hohe künstlerische Qualität bei der 
Durchgestaltung der Wände des Wagen- 
kastens mit geschnitzten und vergoldeten 
Gesimsen, Fenster- und Türpfosten und 
eingelassenen Paneclmalereicn - ein Dekor, 
der selbst meisterhaft ausgeführten Palast- 
intetieurs fortan in nichts nachstand. Damit 
ist die von französischen Hofkünstlern 
geschaffene rarmxxe jedoch in Bereiche 
emporgehoben worden, die über jenen des 
rein handwerksmäßigen liegen und - 
nach der Überzeugung des deutschen 
Wagenbautheoretikers und -Fabrikanten 
F. A. Bickes von 1835 i in das Gebiet 
der eigentlichen (wir würden sagen der 
„wirklichen") Kunst übergehen. Als her- 
vorragcnde Erzeugnisse der Pariser Wagen- 
baukunst waren nicht nur die Krönungs- 
wagen Kaiser Karls VII 3. - den Münche- 
ner Inventare stets den Parirer-Wngeu 
nennen - sondern auch die große Parixer 
Gulrrhe Herzog Karls von Württemberg 
geschätzt. Diese letztere wurde 1748 an- 
läßlich seiner Hochzeit in Bayreuth auf- 
gefahren und war rufßen von feiner Bildhauer- 
ßmd verguldter Arhtyl in kuenxtlizher Mahlen}, 
inruendzg aber von rraumisi Jgehluznlem Saznmel. 
Zwischen auf Bestellung in Paris ange- 
fertigten Wagen und bloßen Occasions 
wird in den lnventaren nicht immer klar 
unterschieden. S0 auch nicht beim eben 
erwähnten PariJer-Wqgen der Nymphen- 
burger Sammlung, der als ein Gebraucht- 
wagen sehr wohl schon unter dem Kur- 
fürsten Carl-Albrecht um 1730 zusammen 
mit prunkvollen Möbeln für die Münche- 
ner Residenz in Paris erworben worden 
ist 4. Wie uns ein Brief des großen fränki- 
schen Barockbaumeistcrs Balthasar Neu- 
rnann aus Paris bezeugt - im Frühjahr 1723 
an den Würzburger Fiirstbischof gerich- 
teti - war eben das französische Fabrikat 
einer Parixer Gufrrhe das wichtigste: 
„Wie sie gemacht wirdt, werdte mich schon 
informiren undt guthe deßein suchen, zu 
kaufen eine schon gemachte undt ge- 
brauchte umb ein resonablen preis, . . . aber 
ohne maßgebung von denen wohl ge- 
machten stahlern federn zu großen undt 
mittelmäßigen kutschen, wie auch die 
bedeckhung, item dühr, beschlag, knöpf, 
büchel und geschirr, davor habe schon 
mich auch umbgesehen undt werdtc des- 
se(i)n zu einer kutschen machen lassen, 
welches alles vor modellen dienen solle." 
Durch den Export, dem wir hervorragende 
Beispiele der Pariser Wagenbauerkunst in 
beinahe allen großen Wagensammlungen 
Europas verdanken - so zum Beispiel in 
Lissabon, Madrid, Moskau und Stockholm 
- aber auch durch Modelle und in Kupfer 
gestochene Musterblattserien wurde dieser 
Wagentypus rasch überall bekannt. 
Zu welchen Anlässen wurde nun aber eine 
Karosse wie der Kräningmagrzen Karls XI. 
aufgefahren? 
Infolge des unerwarteten Todes des Mo- 
narchen (1697) sind wir darüber nur so 
weit orientiert, daß man am schwedischen 
Hof erwog, die noch nicht vollendete 
Karosse entweder für die Krönungsfeier- 
lichkeiten des Nachfolgers, Karls XIL, oder 
auch für die Auffahrt zu dessen eventueller 
Hochzeit zu reservieren. Für diesen aber, 
der Jelbrt van Natur van aller aeußierlirhen 
Pracht und Cvmmodilaet einen Abscheu tragen, 
waren solcherlei Überlegungen müßig, da 
ein wohl heritlener und {um Kriege bequeme: 
Pferd die Xlelle aller Carroxren und Jlinflen 
vertratö. 
Dennoch wurde der Wagen 1699 fertig- 
gestellt, rechtzeitig genug, um das hol- 
steinische Herzogspaar Friedrich IV. und 
die Königsschwester Hedvig-Solia auf- 
zunehmen, die damals dem Stockholmer 
Hofe ihre erste Staatsvisite machten. Diese 
Auffahrt zählt zur Gattung jener festlichen 
Zeremonien, in deren Rahmen nicht nur 
Xlnatr- und Paradeumguz, sondern - mit 
Ausnahme von Frankreich - auch Km"- 
nungrwagm verwendet wurden. Man pflegte
	        
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