R. H. Wackcrnagel
BEMERKUNGEN ZU DEN
VORBILDERN UND DER
VERWENDUNG
DER KRÖNUNGSXVAGEN
DEUTSCHER HERRSCHERÜ
Unter allen Siaaß- und Pararieiuugen, die
vom späten 17. bis in die erste Hälfte des
19. Jahrhunderts an den Königshöfen
Europas anläßlich grqßer Xnlennitälen ver-
wendet wurden, kam den sogenannten
Kränungrulqgen der höchste Rang zu. Sie
waren für die zeremoniellen Auf- und
Eingiige innerhalb der Krönungsfeierliclw-
keiten von Kaisern und Königen bestimmt
und wurden für diese Anlässe bisweilen
eigens angeschafft.
Den ersten Zeremonienwagen, der mit
Sicherheit als Krönungrulngeßz bezeichnet und
wohl als solcher verwendet worden ist,
hatte das schwedische Königshaus in Auf-
trag gegeben. In Hofstallpapieren der
zweiten Hälfte des 17. jahrhunderts wird
er der Borrlerazle Krälzirigrrqgnen genannt.
Außer einigen technischen Details sind für
ihn unter anderem 6 Kristallfenstergläser
und Vorhänge mit Goldquasten erwähnt.
Wie zwei weitere Prunkwagen und 14 wohl
einfachere Fahrzeuge des königlichen Wa-
genparks wurde er 1696 durch jenen ver-
heerenden Brand vernichtet, dem auch die
Marstallbauten zum Opfer Helen.
Bemerkenswert, daß der schwedische König
Karl XI. (regierte 1660-1697) diese Ver-
luste nicht etwa durch fähige einheimische
Wagenbauer ersetzen ließ. Er bestellte
vielmehr außer einer neuen Galakarosse
noch einige weitere Fahrzeuge in Paris,
wozu ihn f abgesehen von der engen
politischen Verbindung seines Staates mit
Frankreich - vor allem auch die über-
ragende Bedeutung der damaligen Pariser
Wagenateliers bewogen haben muß. Ohne
Zweifel hat ihn dazu sein Hofarchitekt
Nicodemus Tessin d. J. gedrängt, der, wie
er selbst, ein glühender Verehrer Ludwigs
XIV. und außerdem mit einigen der be-
deutendsten Künstler des französischen
Hofes befreundet warl.
Auf königliche Order hin beauftragte der
damalige schwedische Geschäftsträger in
Paris, Daniel Cronström, mit dem Rohbau
für den Galawagenkasten „den besten
carrossier (1 Wagenbauschreiner) von
Paris", einen Mann, der sonst auch für
den französischen Hof arbeitete. Gleich-
zeitig wandte sich Cronström auch an
Jean I. Berain, den Ersten Kammer- und
Kabinettzeichner Ludwigs XIV. Dieser
sollte mit Entwürfen neuartiger Dekora-
tionen von ganz außergewöhnlicher Kost-
barkeit alle damaligen bekannten Prunk-
wagen - das heißt auch solche der könig-
liehen Familie - übertreffen. Sehr spricht
nun für die Bedeutung dieses neuen Krä-
ningmugneu, daß jedes kleinste technische
und künstlerische Detail in vielen Briefen
zwischen Tessin und Cronström besprochen
14
wurde. Man diskutierte außer einer beson-
ders modernen Wagenkastenform auch die
Verzierung der Radspeichen - was den
Rädern später die Bezeichnung „a la
Cronström" cintrug - und bestimmte
eine repräsentative Auswahl der für das
schwedische Königreich charakteristischen
Insignien. Gewissermaßen als Garantie für
echte französische Wagenbauerkunst wur-
den Fahrgestell und Kastenrohbau sowie
angeschnitztc und vergoldete Dekorations-
proben und Modelle noch in Paris gefertigt.
Darnach verschiffte man die Einzelteile
nach Stockholm, wo sie von französischen
Kunsthandwerkern - die mit Ausstattungs-
arbeiten im neuen Schloß beschäftigt waren
- zusammengebaut und vollendet wurden.
Der heute in der königlichen Linruxl-
karwuaren zu Stockholm aufbewahrte Km"-
nilzggxzßagrlen ist eine typische grzulri carroue,
die damalige Fachleute genauer als eine
rarroxre moderne bezeichnet haben würden.
Denn der Typus dieses Hofwagens war
von namhaften französischen Hofkünstlern
erst nach 1660 entwickelt worden - und
zwar für festliche und auf höchste Re-
präsentation ausgerichtete Auffahrten des
jungen Sonnenkönigs, der damals eben
Frankreichs Staatsgeschicke selbst in die
Hand genommen hatte und dies mit ent-
sprechender Prunkentfaltung der staunen-
den Welt auch sichtbar kundtun wollte.
Mit zwei prachtvollen, für Ludwig XIV.
gebauten Xfanrrkarurren, deren erste Auf-
fahrten zu politisch Wichtigen Ereignissen
des jahres 1667 Adam-Frangnis van der
Meulen als Erster königlicher Historien-
maler für die Nachwelt festgehalten hat,
begann der Aufstieg dieser neuen Wagen-
gattung.
Da sie bald zu den unentbehrlichsten Re-
quisiten der öffentlichen Repräsentation
zählten, blieb denn auch ihre Verwendung
nicht mehr lange dem Hof allein vorbe-
halten. Um den stolzen Besitz kostbar
ausgestatteter Karossen wetteiferten eitle
Parvenus der Mittelklasse schon bald mit
den höchsten Vertretern des Adels- und
Beamtenstandes. Was man an einer mrrome
besonders schätzte, das waren die Kon-
struktion eines robusten und wendigen
Fahrgestelles und die etwas später einge-
führten Druckfedern. Noch beliebter war
eine hohe künstlerische Qualität bei der
Durchgestaltung der Wände des Wagen-
kastens mit geschnitzten und vergoldeten
Gesimsen, Fenster- und Türpfosten und
eingelassenen Paneclmalereicn - ein Dekor,
der selbst meisterhaft ausgeführten Palast-
intetieurs fortan in nichts nachstand. Damit
ist die von französischen Hofkünstlern
geschaffene rarmxxe jedoch in Bereiche
emporgehoben worden, die über jenen des
rein handwerksmäßigen liegen und -
nach der Überzeugung des deutschen
Wagenbautheoretikers und -Fabrikanten
F. A. Bickes von 1835 i in das Gebiet
der eigentlichen (wir würden sagen der
„wirklichen") Kunst übergehen. Als her-
vorragcnde Erzeugnisse der Pariser Wagen-
baukunst waren nicht nur die Krönungs-
wagen Kaiser Karls VII 3. - den Münche-
ner Inventare stets den Parirer-Wngeu
nennen - sondern auch die große Parixer
Gulrrhe Herzog Karls von Württemberg
geschätzt. Diese letztere wurde 1748 an-
läßlich seiner Hochzeit in Bayreuth auf-
gefahren und war rufßen von feiner Bildhauer-
ßmd verguldter Arhtyl in kuenxtlizher Mahlen},
inruendzg aber von rraumisi Jgehluznlem Saznmel.
Zwischen auf Bestellung in Paris ange-
fertigten Wagen und bloßen Occasions
wird in den lnventaren nicht immer klar
unterschieden. S0 auch nicht beim eben
erwähnten PariJer-Wqgen der Nymphen-
burger Sammlung, der als ein Gebraucht-
wagen sehr wohl schon unter dem Kur-
fürsten Carl-Albrecht um 1730 zusammen
mit prunkvollen Möbeln für die Münche-
ner Residenz in Paris erworben worden
ist 4. Wie uns ein Brief des großen fränki-
schen Barockbaumeistcrs Balthasar Neu-
rnann aus Paris bezeugt - im Frühjahr 1723
an den Würzburger Fiirstbischof gerich-
teti - war eben das französische Fabrikat
einer Parixer Gufrrhe das wichtigste:
„Wie sie gemacht wirdt, werdte mich schon
informiren undt guthe deßein suchen, zu
kaufen eine schon gemachte undt ge-
brauchte umb ein resonablen preis, . . . aber
ohne maßgebung von denen wohl ge-
machten stahlern federn zu großen undt
mittelmäßigen kutschen, wie auch die
bedeckhung, item dühr, beschlag, knöpf,
büchel und geschirr, davor habe schon
mich auch umbgesehen undt werdtc des-
se(i)n zu einer kutschen machen lassen,
welches alles vor modellen dienen solle."
Durch den Export, dem wir hervorragende
Beispiele der Pariser Wagenbauerkunst in
beinahe allen großen Wagensammlungen
Europas verdanken - so zum Beispiel in
Lissabon, Madrid, Moskau und Stockholm
- aber auch durch Modelle und in Kupfer
gestochene Musterblattserien wurde dieser
Wagentypus rasch überall bekannt.
Zu welchen Anlässen wurde nun aber eine
Karosse wie der Kräningmagrzen Karls XI.
aufgefahren?
Infolge des unerwarteten Todes des Mo-
narchen (1697) sind wir darüber nur so
weit orientiert, daß man am schwedischen
Hof erwog, die noch nicht vollendete
Karosse entweder für die Krönungsfeier-
lichkeiten des Nachfolgers, Karls XIL, oder
auch für die Auffahrt zu dessen eventueller
Hochzeit zu reservieren. Für diesen aber,
der Jelbrt van Natur van aller aeußierlirhen
Pracht und Cvmmodilaet einen Abscheu tragen,
waren solcherlei Überlegungen müßig, da
ein wohl heritlener und {um Kriege bequeme:
Pferd die Xlelle aller Carroxren und Jlinflen
vertratö.
Dennoch wurde der Wagen 1699 fertig-
gestellt, rechtzeitig genug, um das hol-
steinische Herzogspaar Friedrich IV. und
die Königsschwester Hedvig-Solia auf-
zunehmen, die damals dem Stockholmer
Hofe ihre erste Staatsvisite machten. Diese
Auffahrt zählt zur Gattung jener festlichen
Zeremonien, in deren Rahmen nicht nur
Xlnatr- und Paradeumguz, sondern - mit
Ausnahme von Frankreich - auch Km"-
nungrwagm verwendet wurden. Man pflegte