In den Bereich des ldealschönen gehören diese
Leiber freilich nicht. Es ist der Erdenkioß Mensch
und oft ein Bündel aus Fleisch und Angst. das die
Teilnahme der Künstler erregt, eine unförmige
Leiblichkeit und eine auch in dem Animalischen,
Dumpfen, aus dem sie sich nicht befreien kann,
rührende i letzlich noch bei den Weibern, die
Liebe gegen Geld zu spenden bereil sind. l-lrdlicka
richtet nicht über sie.
Staunenswertistdie Sicherheit. mitderderZeichen-
stift Hrdlickas seine Geschöpfe umreißt, sensibel,
wo es ihm darauf ankommt und mit aller Kraft
und Härte dort. wo er will. Er schattiert und
schraffiert. er vermag feinste Nuancen und stärkste
Wirkungen hervorzurufen, ungemein plastische,
dichte, filzig gewebehafte und hauchdünne; auch
stößt er und greift er in räumliche Tiefen hinein.
Er bedeckt das Blatt nicht mit Figur bis zu den
Rändern hin. Das Räumliche hat bei ihm eine
merkwürdige Rätselhaftigkeit. die den Blättern.
die dem Geschehen etwas Mythisches verleiht.
Auch dort. wo es sich um gar kein zusammen-
hängendes Geschehen handelt - es sind ia zu
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allererst Studienblütter, Einfälle, Beobachtungen,
zu sehr verschiedenen Themen -, kommt eine
Einheit zustande. Stürmisches Pathos und feine
Lyrismen können nebeneinander bestehen, dus
Alltüglichste und das Allgemeinste kann Bedeutung
gewinnen - des gewöhnlichen Menschen in
seiner Nichtigkeit, seinem Leiden, seiner Größe
Konterfei. Das erste dieser großformatigen Blätter
ist im Jahre 1960 entstanden. Seit 1964 folgen sie
rascher aufeinander. Es versteht sich. ddß kleinere
Zeichnungen Hrdlickas in weit frühere Zeiten
zurückreichen. Auch der Kunst der Radierung und
der Lithographie hat der Künstler sich damals
schon gewidmet.
Die erste der großen zusammenhängenden Folgen
von Radierungen, „1001 Nacht", ist 1959 datiert.
Sie gilt den Animierdamen in den Nachtcafes.
den lnsassinnen von Bordellen und jenen, die auf
den Straßen noch der Kundschaft Fischen. Wieder
ist der graphische Reiz der Blätter groß. Vor der
Nüchtigkeit und Eigenartigkeit dieser Szenen. die
auch nicht ohne Humor sind, füllt sogar manches
Blatt eines so bedeutenden Künstlers wie Alfred
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Kubin ins vergleichsweise Harmlose ab. Eine Reihe
von Radierungen zur Bibel (..Samsan" und
..Arnnon") entstand 1961. Ihr Ernst, ihre Vitalität,
ihr Humor, ihre packende Kraft sind staunens-
wert.
1962163 ist die Zeitspanne. in der das Schicksal
der Giftmischerin Martha Beck den Graphiker
Alfred Hrdlicka beschäftigte. Der Künstler hat
ihre Geschichte einer Bilderzühtung, auf die er
in einer Zeitung stieß, entnommen. Martha Beck,
eine Krankenschwester, war dem Heiratsschwindler
und Witwentröster Raman verfallen. Aus Eifer-
sucht brachte sie ihre Rivalinnen mit vergiftetem
Kaffee ums Leben. Sie endete auf dem elektrischen
Stuhl, getröstet dadurch, daß Ramon ihr vor
seiner Hinrichtung versicherte, seine Liebe habe
nur ihr allein gehört. Was Hrdlicka an dieser Drei-
groschengeschichte. dieser Kriminalstory packte,
war das Malilose einer Leidenschaft, der Konflikt
zwischen einem sehr starken Gefühl und der
Unzulänglichkeit derjenigen, die es empfand.
Der Stil der Darstellung und die ironischen Titel
versetzen das Ganze in eine Sphäre der tragischenKein Volltext zu diesem Bild verfügbar.
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