MAK

Volltext: Alte und Moderne Kunst XII (1967 / Heft 94)

künstlerische Mittel der Marmorbehandlung 
das rechte Maß hervorbringen. 
Im ursprünglichen Zustand gesehen, wird 
der Betrachter erstaunt sein über das 
Dunkel; das Dunkel, aus dem das von oben 
gleichmäßig und milde einfallende himm- 
lische Licht Therese, auf Wolken liegend, 
ihm enthebt, in mildem Licht sie sehen 
läßt, selbst milde auf ihr scheint und sie 
sanft leuchten macht. Therese, die wie jede 
Figur Berninis nicht als einzelne und ab- 
gesondert gesehen werden darf, sondern in 
ihrer Situation begrilfen werden muß: ist 
der Erde enthoben und lagert auf Wlolken 
dem himmlischen Licht ausgesetzt. Es ist 
dabei nicht das Geschehen einer Entrük- 
kung, ein Aufsteigen gezeigt, sondern in 
Anwesenheit des Seraph ein Weilen in 
dieser Iinthobenhcit, ein Ruhiges; wie auch 
die empfängliche Hingebreitetheit Ruhen 
ist. Das Licht (und darin möchte dem nach- 
3 
sinnenden und nachdenkenden Betrachten 
tiefer Sinn anschaulich sein), das Licht, 
welches Therese empfängt, das himmlisches 
Licht ist und den unsichtbaren Gott, der 
sie in unione mystica sich eint, vertritt, ist 
es zugleich überhaupt erst, was sie leuchten 
macht und was sichtbar sie sein läßt. 
Von ihrem Körper ist außer Händen, Füßen 
und Gesicht nichts zu sehen, zum Unter- 
schied von anderen gleichzeitigen Gestalten 
des Bernini (vgl. die Tugenden am Grab 
Urbans VIII. und die Vcrita): für Therese 
ist hier anders als beim Seraph, wesentlich, 
daß der Leib nicht zählt, ja, daß der Leib, 
um Bernini beim Wort zu nehmen, nirlzlzlg 
ist: Therese lebt wesentlich im Gewande. 
Wohl ist, nach Bernini, wenn Gott Therese 
sich eint, Therese ihm galt; geeint: Gott 
ist hier nicht ein Gott des bloßen Geistes, 
sondern der Gott des ganzen Menschen: 
dieser Mensch aber, um sich der Sprache 
der Zeit zu erinnern, ist der Sinnlichkeit 
des Körpers entkleidet und mit einem neuen 
Gewande, dem Gewand seines Ordens und 
seiner Demut, angetan, einem Gewande, 
das seinen Leib nicht verhüllt, sondern sein 
neuer Leib ist. 
Am Denken der heutigen Zeit und immer 
noch am Anschauen der Kunst der Re- 
naissance geschult, sind uns beide eine 
Verbindung eingegangen, die nur mit 
größter Mühe den Gedanken zu denken 
erlaubt, daß Kleider nicht als Verhüllungen 
(um anzudeuten oder übersehen zu lassen) 
gemeint sein müssen, sondern als Positives, 
als Leib gemeint sein können; eine Vor- 
stellung, die uns als Anschauung am ehesten 
in den Zeremonien zugänglich ist, in denen 
Könige und Bischöfe, was sie sind, erst in 
ihren Gewändern sind und wo das Küssen 
des Gewandsaumes den Träger nicht 
insofern er Mensch ist meint, sondern den 
Menschen insofern er Papst oder Kaiser 
ist. Der Heilige nun, wie Therese, um 
Berninis Anschauung noch einmal in die 
Sprache seiner Zeit zu setzen, befindet sich 
in derartiger Entkleidung seines Fleisches 
und ist mit seinem Gewand so angetan, daß 
dieses sein Leib ist. Uns muß ihr Gewand 
gelten, wie uns die Nacktheit des Apoll 
gilt: antikisch gesagt, ist das Kleid der 
Therese ihr Leib; christlich gesagt der 
Körper des Apoll sein Gewand. Historisch 
heißt uns hier das Kleid als Leib: das 
Gewand. Ist der Leib der Therese aber ihr 
Gewand, so wäre jeder Begriff von fleisch- 
licher Sinnlichkeit oder Lüsternheit von 
vorneherein verfehlt. 
Bei der Bedeutung des Gewandes als Leib 
der Therese verwundert es nicht, daß 
Bernini es mit besonderer Sorgfalt gestaltet 
hat: so hat der Künstler hier, dem Ausdruck 
einer radikalen und ganzen Hingegebenheit 
an das himmlische Licht entsprechend, und 
zum Unterschied von dem Seraph, der in 
Flammen lebt und dessen Leib mit einem 
Gewand aus sich schlängelnden Graten, die 
flammengleich um seine Glieder züngeln 
und an seinem Leib ernporschlagen, ge- 
wandet ist, zum erstenrnal in seinem Leben 
ein Gewand gebildet, in dem es neben den 
Graten und Furchen, die eine zitternde 
Unruhe erzeugen, keine einzige kanvexe 
Wölbung gibt, sondern nur konkave Ein- 
Ziehungen und Mulden, deren Sinn an- 
schaulich ist: denn sie sind es, die das 
himmlische Licht - empfangen. Diese 
zitternd-unruhige Empfänglichkeit ist aber 
von allgemeiner Ruhe umschlossen; um 
sich dessen nochmals zu versichern, ist ein 
Bozzetto der Hauptgruppe in der Eremitage 
in Leningrad4 hilfreich: vergleicht man ihn 
mit dem ausgeführten Werk, so ist vor 
allem eine Veränderung bemerkenswert: 
im Bozzetto eilt der Engel schnellen Laufes 
heran, ist mit dem rechten, ihr näheren Fuß 
schon neben die Therese getreten, während 
er mit dem linken noch zurück ist. In Rom 
ist das rechte Bein noch zurück und das 
linke, ihr fernere, neben sie und dadurch 
fest gestellt: der Engel steht. Erinnert man 
sich, daß die Figuren der Borghesezeit 
schreiten, eilen, überhaupt gehen können, 
5
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.