Hans-Christoph Hoffmann
DIE WIENER HANDELS-
AKADEMIE - DAS ERSTE
ÖFFENTLICHE GEBÄUDE
DER RINGSTRASSE
UND SEIN ARCHITEKT
FERDINAND FELLNER D.
Nicht das im Auftrage des Kaisers und aus
Mitteln des Stadterweiterungsfonds erbaute
Opernhaus War das erste Öffentliche Gebäude
der Ringstraße, sondern die am 12. Oktober
1862 eingeweihte 1 Handelsakademie auf
der „Baugrube Nl am Glagis vor dem
Kärntnertor", heute begrenzt von Karls-
platz, Akademiestraße und Giselastraße 2.
Der Bauherr war der 1857 gegründete „Ver-
ein der Wiener Handelsakademie", dessen
eifrigster Förderer der Bankier Friedrich
Freiherr von Schey war 3, dessen Palais nicht
weit von dieser Universität der Kaufleute
am Opernring lag4; Architekt der Handels-
akademie aber war Ferdinand Fellner d. Ä.
Ferdinand Fellner5 stammte aus einer
Familie, die mit dem Baugewerbe der Stadt
Wien innig verbunden war. Das Zimmer-
geschäft an der Rossauerlände, später wurde
es in den Alsergrund verlegt, betrieb schon
der Großvater Fellner; der Vater Joseph
Fellner war bürgerlicher Stadtzirnmer- und
Baumeister und von ihm übernahm jacob
Fellner, gleichfalls Stadtzirnmermeister, die
Firma, von der er berichtete: „Dieser Werk-
platz ist durch die großartige Ausdehnung
des Betriebes merkwürdig, indem der-
gleichen außer den Werften zu Triest und
Pola in Österreich nicht zu finden ist"6.
Und er rühmt weiter, daß der maschinell
außergewöhnlich gut eingerichtete Betrieb
innerhalb von nur vier Wochen die Riegel-
wände für das provisorische Abgeordneten-
haus liefern konnte. Später treHen wir die
Firma Jacob Fellner auch am Bau des Opern-
hauses7.
Der jüngere Bruder Jacobs, Ferdinand,
wurde Architekt. Nachdem er die poly-
technische Schule absolviert hatte, besuchte
er von November 1834 bis Ostern 1837 die
Architekturschule der Akademie; er schloß
diese Ausbildung aber nicht mit einer
Prüfung ab H.
Die früheste datierte Arbeit haben wir crst
1848 in der Landes-Irrenheilanstalt vor
uns9. Die Pläne zu diesem ausgedehnten
Bau sollen einer anderen Quelle zufolgelv
vom kaiserlichen Rat Ignaz Ritter von
Nadherny stammen ll. Das kann sich jedoch
nur auf die Anordnung von Raumgruppen
nach psychiatrischen Grundsätzen handeln.
Die sehr strenge Architektur mit Rund-
bogenfenstern in allen Geschossen, den
Bogenleisten über den Fenstern des Haupt-
geschosses, die auf Konsolen aufliegen,
aber auch den breiten Risaliten mit Rah-
mung, weisen stark nach München in
Gärtners Umkreis. Die Anlage der Vor-
halle mit der in der Mitte anlaufenden
Haupttreppe wird typisch für Fellner.
Dieser Bau wurde 1852 bezogen, und von
nun an ist Fellner häufig für Staat und
Kommune tätig. 1851-1853 finden wir
ihn beschäftigt mit Umbauten im Alten
Rathaus in der Wipplingerstraße. Hier baute
er im zweiten Stock, über dem lWagistrats-
saal, den Sitzungssaal des Gemeinderates
i dem er selber 1868-1870 als Vertreter
des Bezirkes Rossau angehörtell 7 neu
einll. Der Saal war für seine Zeit be-
deutend eingerichtet: an den Wänden hatte
er künstliche Marmorverkleidung, die Decke
zeigte „reiche Plastik" in Stuck mit den
Emblemen der Irinungen, der Künste, der
Industrie und des Handels. Die Wand hinter
dem Präsidium war durch vier Karyatidcn
und Reliefs von Hanns Gasser geschmückt,
während Adam Rammelmayer als Um-
rahmung für die Zuschauerlogen zwei
Zinkplastikcn - „Austria" und „Vindo-
bona" - schuf.
Wenig später baute Fellner für die Stadt
eine Kommunal-Realschule im Bezirk Wie-
denl4, bei deren innerer Disposition schon
eine Reihe von Details erkennbar werden,
die Fellner bei der Handelsakadernie weiter-
führte. Die Schule wurde 1871 von Ober-
ingenieur G. Haussmann erweitert.
Der bedeutendste Kommunalbau Fellners
war jedoch das Bürgerversorgungshaus an
der Währinger Straßel5. Es wurde 1858
bis 1860 für 550 O00 fl. erbaut und bot
600 armen Bürgern Obdach 16; 1929 wurde
es demoliert.
Das Gebäude lag an der Straßenspitze der
Währinger und der Alserbachstraße (Spital-
gasse). Es war von der Spitze so weit zurück-
genommen, daß sich hier eine dreiteilige
Front entfalten konnte: dreiachsige Front-
abschnitte faßten ein fünfachsigcs Mittel-
stück mit 3fs-Risalit ein. Die Abschnitte
waren durch Pilaster über polygonaler
Grundform gegliedert, der mittlere Pavillon
außerdem hervorgehoben durch eine plastik-
geschmückte Attika". Die Fenster dieses
Baues hatten durchweg waagreehte Ver-
dachungen. Sie waren einfach gefaßt, wobei
Fenster und Brüstungen Felder bildeten,
die Fenster des 1. und 2. Geschosses aber
zusammengcfaßt waren. Die Seitentraktc
mit den Wohn- und Pflegeräumen waren
ein Geschoß niedriger als der Frontbau. -
In der Achse des Einganges lag die An-
staltskirche derart angeordnet, daß der
Blick vom Eingang auf den Hauptaltar
Fiel, die Vorhalle also zu einer Vorkirche,
einem Paradies wurde. Zugleich war diese
Vorhalle aber auch der Schnittpunkt aller
Verkehrswege des Hauses, eine Art Dreh-
scheibe, die sich in allen Geschossen wieder-
holte. Dieser Eindruck wird unterstützt
durch die Art der Treppenführung, bei
welcher die Treppe mit den seitlichen
Laufen beginnt und sich im Mittellauf
trifft. Es konnte jedoch nicht in Erfahrung
gebracht werden, ob sich die Vorhalle auch
in den oberen Geschossen zur Kirche
öffnet.
Die Abbildungen 1i9 mit freundlicher Genehmigung des
Historischen Muwums der Stadt Wien.
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Ein anderer in der Nähe des Bürgerver-
sorgungshauses gelegener Bau Fellncrs ist
heute schon fast gänzlich vergessen: vor
dem ehemaligen Schottentor, an der rechten
Seite der Währinger Straße, lag das
provisorische Abgeordnetenhaus, auch
„SchmerlingtheateW genannt. Das Haus
war durch die von Schmerling vcrfaßten
und am 26. Februar 1861 erlassenen Staats-
grundgesetzc für die Reichs- und Landes-
vertretungen notwendig geworden und
wurde am 1. Mai 1861 nach einer Bauzeit
von nur 6 Wochen eröffnet 18.