jeden von uns. Zeichnungen dieser Ari sind
Kammerkunsl. sie bedürfen des immer wieder
erneuenen, verständnisvollen Umgangs mit Zeich-
nungen, einer inlimen Bekanntschaft mit den Ge-
setzmüßigkeiten guten Zeichnens. Publikum solcher
Ar1 isi bei uns nur sehr dünn gesöl. Und darin liegl
die Erklärung für die „Verspötung" der erslen
Ausstellung Annelises und auch die Erklärung für
die Diskrepanz zwischen der guten Aufnahme
durch die Krilik und dem geringen Verkaufserlös
der Ausstellung.
Zu sagen bleibt: Unser Zeiialier isl besessen von
Schablonen und Stereotypen. wie sie vor allem
durch die unendlich vielen Reproduktionsverfahren
und Massenmedien verbreilet und in unser aller
Bewußisein gehömmerl werden. Wer in solcher
Situaiion nichl versiehl. in sich die Ausgangslage
alles Zeichnens zu erhalten. nämlich das ewig-
gen an die Wirklichkeit ein gut trainiertes Auf-
fassungsvermögen. Der Betrachter braucht die
gleiche geschulte Sensibilität wie der Künstler
selbst. Und es ist seine Schuld. wenn er sie nicht
hat.
Wer nun gar den Kampf zwischen Chaos und
Ordnung, wie er sich in jeder spontan-sensitiven
Zeichnung im Ringen um Kontur, um Verdich-
tung, um Schwerpunkte abspielt. zum Gegenstand
des Kunstgenusses machen soll, der ist zur geisti-
gen Mitbeleiligung aufgerufen. Gerade das ist es
aber. was dem breiteren Publikum schwerfüllt. Es
ist festgebannt in Schablonenvorstellungen, die
ihm nichts zu denken übriglassen.
So bleibt nur zu hoffen. daß es kompromißlosen
Künstlern wie Annelise gelingt, wenigstens einige
aufnahmebereite einzelne aus der Masse los-
zureißen.
6 Annelise Karger, Passanten. 1966