Rudolf Kuhn
DIE UNIO MYSTICA DER
HL. THERESE VON AVILA
VON LORENZO BERNINI
IN DER CORNAROKAPELLE
IN ROM
1 Rum. Saum Maria dclla Vinoria, Cornarokapclle. Altar
mit der Unio myszicz du hl. Therese von Avila von
Lorenzo Demini
ANMERKUNGEN 1i3
Äjncob Burckhardl, Ciceronl: (Werke, Darmstadt 1959,
v0]. X. . 105)
1 Rudnlf iltkoÄler, Bcmini, Th: sculplorÄ Lenden 1966.
. 3.
ß Eu dem Elementaren und mythischen "m1 des "Welt-
stufcnhaucs" sich: dcsscn Erklärung bei Norbert Huse.
Bcrninis Vicrslrömebnxnncn, Dia. phil. München 196a,
im Druck. In dieser Arb:it ist unter anderem hervor!
ragend gezeigt, wie das Ideal dieses ,.Wclrsrufcnbaues"
verbunden mit der Rücksicht auf das Dckorum Bernini
sogzr veranlaßr, ein: neue mythische Gestalt zu cründen.
2
„Hier vergißt man freilich alle bloßen Stil-
fragen", sagte Jacob Burckhardt vor diesem
Werke: dieser Satz ist gültig; doch auf
Grund des Fortschreitens in der allgemeinen
Kenntnis des Menschen brauchen wir nicht
mehr, Burckhardt folgend, dem Werk
unser Verständnis versagen und fortfahren:
hier vergesse man freilich alle bloßen Stil-
fragen „über der empörenden Degradation
des Übernatürlichen" l. Allerdings steht
das Werk so vor uns, daß eine Art negativer
Objektivität des bloßen Geltenlassens un-
angebracht erscheint und wir eher auf-
gefordert sind, Jacob Burckhardt in seiner
positiven Objektivität nachzustreben und
unsererseits das Kunstwerk neu zu werten.
Eine neue Wertung möchte nun aber gerade
über eine neue Beurteilung des Gestaltungs-,
Kompositions- und Auffassungsstiles, eine
neue Beurteilung der Entwicklung Berninis
im Fortgang seines langen Lebens (1598 bis
1680, Therese 16445.) gelingen; wobei die
richtige Einschätzung der Werke der
Borghesezeit (1621 ff), besonders durch
Rudolf Wittkower, der schrieb: „with these
works Bernini inaugurated a new era in
the history of European sculpture"2, vor
allem wichtig ist. Die Bedeutung dieser
Figuren nämlich, die zumindest eine Epoche
für die Ätlälqlirhkeilen der europäischen
Skulptur in der neueren Geschichte sind,
kann nicht entschieden genug betont wer-
den. Trotzdem aber hat nach wie vor zu
gelten, daß in Berninis Frühwerken die
Bedeutung des Künstlers, auch nicht der
zureichenden Möglichkeit nach - sofern
solcher Rede auf dem Gebiete der Kunst
überhaupt ein Sinn innewohnt -, be-
schlossen liegt; schon gar nicht liegt in
„Bibiana" und „Longinus" etwas von seiner
wahren Bedeutung als religiöser Künstler.
Vielleicht könnte man sich die Werke der
Borghesezeit als Fundament, die Werke
von der „Therese" bis zur „Engelsbrücke"
als Hoch-Zeit seiner Kunst und die Werke
jenseits der „Engelsbrücke" als Krönung
seines Werkes, gruppiert, bei einander vor-
stellen. In der „Therese" und den ihr
folgenden Werken wird das vorher ge-
wonnene Niveau, die vorher eingeschlagene
Fragerichtung beibehalten, aber wesentlich
gewendet. Diese Wende bleibt, wie wichtig
die letzte, die Krönung herbeiführende
Änderung auch sei, wesentlich bis zum
Ende. So muß für Berninis religiöse
Skulptur, wie schon zur Zeit Burckhardts
und auch vorher, in der „Therese", in
welcher die mystische Vereinigung der
entrückten Heiligen mit Gott in der Liebe,
welche durch den goldenen, brennenden,
himmlischen Wurfpfeil des zu ihrer Seite
weilenden Engels entzündet wird, dargestellt
wurde, das entscheidende Werk gesehen wer-
den; und, soweit seine Kunst religiös ist (und
sie ist es von der „Therese" an fast aus-
schließlich), liegt für jeden Ausleger seiner
Kunst Rhodos hier und nirgend sonst.
In den Borghesei-iguren, so muß das Ergeb-
nis einer Untersuchung hier wenigstens
umschrieben Werden, hatte Bernini eine
vorher ungesehene Sicht auf die Lebens-
mächtigkeit und -einheit der Menschen
gestaltet, die nämlich mit allem ihrem
Schreiten und Greifen sich selbst und ihre
Möglichkeiten ohne jede Abschweifung in
einem erfüllen und sich ganz in diese
Erfüllung ihrer Möglichkeiten hineinge-
nommen haben, so daß sie aus dem Ganzen
ihrer Existenz handeln. Sie bleiben nicht
etwa, wie es Michelangelo gestaltete, mit
der Wendung ihres Hauptes und der Rich-
tung ihres Blickes Leib und Aktionen gegen-
über doch auch wieder souverän und von
ihnen abgewandt, sondern nehmen ihren
ganzen Leib in ihr Tun und Wollen mit
hinein und gehen im Vollbringen auf. Sie
vollbringen nichts Kleines oder Geringes,
sondern etwas Hohes und Großes und
ergreifen und erschreiten sich ein Ganzes
und in sich Abgeschlossenes, das für ihre
Welt zu gelten hat, die sie erfüllen. In der
„Therese" weicht nun die Mächtigkeit der
Gestalten ihrer Ohn-Mächtigkeit, Schwäche,
Hingegebenheit. So unbeschränkt und ein-
heitlich die Gestalten aber bisher ihre Macht
auslebten, so unbeschränkt und einheitlich
lebt Therese ihre hinfällige Hingegeben-
heit. Damit ist ein ebenso neuer, ebenso
ungesehener Begriff vom christlichen Heili-
gen, dessen Erfüllung die Hingegebenheit
an Gott ist, gestaltet worden; die ganze und
grenzenlose Hingegebenheit ohne jede aus-
nehmende Abschweifung: in dieser Hin-
gegebenheit bleibt nichts als souverän (etwa
der Kopf), nichts als unwürdig (etwa der
Leib) außerhalb.
„Therese", die im Gang seines Lebens das
Initialwerk des Künstlers für diese Wende
ist, stellt ebenfalls den Gipfel und Höhe-
punkt eines gedachten Weges der Heiligung
dar, auf dessen Stufen die anderen Ge-
stalten (von der ersten Ergriffenheit durch
Gott in „Konstantin", der gläubigen
Folgsamkeit in „Habakuk", des hoffenden
Betens in „Danie1" über das liebende Sehnen
der Magdalena und die liebende, betrach-
tende Geneigtheit über das Leiden Jesu
des Hieronymus bis zu ihr hin) stehen.
Dieser Stufenbau der Heiligkeit ist das
Herzstück eines „Weltstufenbauf, der von
den Elementen, den Pflanzen und Tieren
über den „Mor0", die Flußgötter, Neptun 3,
die tugendhaften, die heiligen Menschen
bis zu den Engeln emporsteigt und von
der Verhaftetheit an die Elemente zu immer
höherem, immer freierem Sichaufrichtcn
führt und endlich beim der Erde ent-
hobenen Schweben auf Wolken endet:
Heilige der höchsten Stufe, auf Wolken
liegend (Therese), die Engel, gar auf
Wolken stehend (Engelsbrücke).
Diese Hierarchie auszugestalten, war lange
Jahre Berninis eigene Aufgabe. Die krönen-
den Werke nach der „Engelsbrücke" (1671 f.)
zeigen Berninj zwar, wie er an der hin-
fälligen Hingegebenheit festhält, ja sie noch
tiefer ergreift, noch radikaler sieht; neben
ihr aber dem dreiundsiebzig jährigen Künst-
ler die Hierarchie ohne Belang und von ihm
beiseite gelassen wird. Verschwindet so aus
seinem Werk des Barocks liebstes Kind,
so bleibt das Religiöse seines Gcstaltens
und erreicht seine religiöse Erschütterung
noch tieferen Grund.