zentration auf das Wesentliche, die Bibel,
und Kampf für die gute Sache, die neue
Lehre, führen hin zu Christus. Die streng
reformatorische Gesinnung aber, die aus
diesen Bildern spricht, dürfte letztlich auf
das Vorbild des großen Bekenntniswerkes
Dürers zur Reformation, seinen „Vier
Aposteln" von 1526 zurückzuführen sein.
Sind zwar von Albrecht Dürer zwei Ent-
würfe zu Bueheinband-Plattenstempeln
nachgcwiesen19, die aber in keinerlei direk-
tem Zusammenhang mit der eigentlichen
Reformationskunst zu bringen sind, so
schuf er mit den Vier Aposteln ein der Ge-
sinnung nach so tief und eigentlich refor-
matorisches Werk, daß sein Inhalt und seine
Aussage selbst für das Kunstgewerbe, für
den Bucheinband, der, wie sich immer mehr
zeigt, rein propagandistischen Zwecken
dienen sollte, von maßgeblicher Bedeu-
tung wurde. Dürer ging es in seinem
Tafelbild um die Formung idealer
Typen von geistigen Kämpfern und nicht
um die Charakteristik bestimmter religions-
geschichtlicher Personen, wobei er Johannes
und Paulus die führende Stellung zuerkennt.
Eine weitere Rollengruppe verbindet mit
dem Salvator mundi (Abb. 9), oder dem Auf-
erstandenen (Abb. 10), Paulus und David.
Paulus, dem die Attribute Buch und Schwert
beigegeben sind, vereint hier in einer Person
die vita contemplativa und activa und steht
als Nachfahre und Kämpfer für Christus,
den Überwinder von Tod und Sünde, gegen
dessen Vorfahren David. David gewinnt
aber nicht nur als Vorläufer für die Refor-
mationskunst an Bedeutung, sondern auch
als Patron der Musiklo, die Luther selbst
über alle anderen Künste stellte Z1.
Die bisher genannten Rollen und Platten
deutscher Bucheinbände des 16. jhdts.
standen in unmittelbarem Zusammenhang
mit der Reformationskunst überhaupt, sie
waren in ihrer künstlerischen Gestaltung
deutlich von der Lehre Luthers und seinen
programmatischen Anweisungen für Kunst-
werke abhängig, mehr von dogmatischem
als künstlerischem Interesse. Sie vertraten
den Reformationsstil, der seine inhaltliche
Prägung vor allem durch Dürer und Cra-
nach erfahren hatte, im Kunsthandwerk.
Daneben aber gibt es eine Reihe sächsischer
Potträtplatten und Allegorien, die stilistisch
in engste Verbindung mit der Formen-
sprache Cranachs gebracht werden können.
Dennoch, Originalplattenentwürfe Cranachs
dürfen wohl kaum angenommen werden, je-
doch meist getreue Übertragung von gelie-
ferten Vorbildern durch Stempelschneider
sowie ein Mitwirken Lukas Cranachs d. j.
bei der wittenbergischen Einbandkunst 21.
In etwa erstaunlich an diesen der Werkstatt
Cranachs nahestehenden Einbandgruppen
ist, daß gerade hier nicht heilsgcschichtlich-
reformatorische Allegorien dominieren,
sondern vielmehr ein Hinwenden zur
Weiblichen allegorischen Figur im Sinne dcr
Renaissance zu beobachten ist. Lukretia und
Justitia werden vor allem auf V0rder- und
Rückseiten der Einbände (Abb. 11, 12, 13)
dargestellt, daneben kommt eine Fortuna-
Platte häufig vor (Abb. 14). Die eigentlich
reformatorische Gesinnung wird bei diesen
Bildern vor allem in den Unterschriften
ausgedrückt.
Die wesentliche Bestimmung dieser Ein-
bandgruppe aber dürfte im Erhalten und
Tradieren des Bildes des Reformators und
aller jener, die sich zu seiner Lehre bekann-
ten, die mit ihm kämpften, gelegen haben.
Denn diese Einbände, zumindest in ihren
Grundtypen, wurden in Wittenberg selbst
hergestellt, ihre Tradition setzt erst mit dem
Todesjahr Luthers ein, und Cranach, Lu-
thers engster Freund, war für sie in stärkster
Weise maßgebend, jener Künstler, dem und
dessen Werkstatt die wertvollsten Porträts
von Luther, Melanchthon und dem übrigen
Kreis der Reforrnatoren zu danken sind.
Für sämtliche der kursächsischen Luther-
platten können Holzschnittbildnisse des
jüngeren Cranach oder des Cranach-Um-
kreises nachgewiesen werden Z3.
Das in Halhfigut nach rechts gewendete
Porträt Luthers in seiner l-laustracht, einem
ärmellosen Rock mit Pelzverbrämung, in
den Händen die geschlossene Bibel, auf der
Rückseite eines Einbandes aus der Werk-
statt des Wittenberger Buchbinders Gregor
Bernutz (Abb. 15) geht wohl auf einen
Holzschnitt Cranachs d. ]., Luther in Halb-
iigur im Talar14, 1546 datiert, zurück.
Zumeist wird das Porträt Luthers auf der
Vorderseite, jenes Melanehthons auf der
Rückseite der Einbände angebracht. In
seltener Komposition vereint ein 1538 da-
tierter Einband die Reformatorenporträts
in Medaillonstempeln. Sinn und Zweck all
dieser Einbände aber war es wohl, in einer
Art Ergänzung zu jenen Platten und Stem-
peln, die die neue Lehre in propagandi-
stischer Form verbreiten halfen, nunmehr
auch das Bild des Reformators sowie der
Männer, die seinem Kreis angehörten, vor
allem nach Luthers Tod weithin bekanntzu-
machen und immer wieder in Erinnerung
zu rufen.
Da letztlich auch Einbände mit rein pole-
rnischem Programm bekannt sind 15 spiegelt
der Bucheinband tatsächlich sämtliche Mög-
lichkeiten reformatorischer und protestan-
tistischer Malerei und Graphik. Dürers tiefe
geistige Verwandtschaft zu Luther, die sich
in einer von neuem Geist beseelten Abstrak-
tion, in neuer Gestaltungsweise von alten
Bildvorwürfen äußerte, ist für die Ikono-
graphie von Rollen und Platten deutscher
Bücher des 16. jhdts. ebenso bestimmend
wie die Arbeiten Cranachs, seine Porträts
der Reformatoren, seine Zeichnungen und
Schnitte polemische! Art sowie der Typus
des Reformationsaltares, der von ihm ge-
schaffen wurde. In dieser so engen Verbin-
dung mit der gleichzeitigen Malerei einer-
seits sowie der propagandistischen Unter-
ordnung Z6 andererseits nimmt die Einband-
gestaltung deutscher Bücher der Renaissance
durchaus eine Sonderstellung innerhalb der
Geschichte der Einbandkunst ein.
Zwar Enden sich figurale Kompositionen
und einzelne Szenen der Heilsgeschichte
auch auf den Prunkeinbänden des Mittel-
alters, jedoch völlig anderen Voraus-
setzungen folgend. Galt es doch hier, kost-
barste Handschriften ebenso kostbar zu
binden, großartige Werke in Gold und
Elfenbein zu schaden, deren szenische
Folgen in unbedingtem Einklang mit der
Schrift selbst standen; kirchliche Über-
lieferung und künstlerische Gestaltung
bilden in jeder Weise eine Einheit. Mit Ein-
setzen und Aufblühen der Druckkunst
mußten Möglichkeiten gefunden werden,
den Bindcaufträgen rascher nachkommen
zu können, szenische Darstellungen wurden
durch ornamentale Gestaltungen ersetzt,
die mit Hilfe von Streicheisen und Stem-
peln, später Rollen und Platten ausgeführt
wurden. Die Geschichte der Einbandkunst
ist von der des Ornamentes nicht mehr zu
trennen.
Daß es aber zur Sonderstellung des deut-
schen Bucheinbandes der Renaissance kam,
daß hier mit dem Beginn der Reformation,
jener seit dem Frühchristenrum größten
religiösen Veränderung, figurale Szenen
und Programme abermals eingeführt
werden, diesmal unter gänzlicher-n Ver-
zicht sowohl auf die im Hochmittelalter
gewahrte Einheit von Einband und
Text H werden Reformationseinbände doch
nicht ausschließlich für reformatorische
Schriften verwendet - als auch aufKostbar-
keit und künstlerisch hervorragende Aus-
führung - handelt es sich doch zumeist um
bescheiden wirkende weiße Schweins oder
braune Kalbsledereinbände 17, deren Rollen
rasch, ohne Berücksichtigung etwa sorg-
fältiger Ecklösungen aufgesetzt sind f ist
letztlich ein großartiger Beweis, in welch
starkem Maße das Kunstgewerbe von der
Kultur seiner Zeit beherrscht wird.
ANMERKUNGEN 19-28
19 Husung Max] Zwei Blätter von Dürer als Buchcinband-
Plzltensrcmvpcl m: Zeitschrift für Büchcrfreunde, 20. ]g„
N. P. 1. Lmpzig1928, S. 101-103.
19 Als Gegcnstütk zu Paulus und als Patron der Musik erscheint
David auf du Baldungkchen Kopfleislc im Bucefschen
7G;sangbuch von 1541. Vgl. Buchholz, a. a. 0.. S. 47 und
v Luther Muxtin. Sämtliche Werke, hgg. von Konrad Irmi-
scher, Erlangen 1x40, 11a. ss, s. 291.
v Zimmermann Hildcgard, Holzschnitt: und Plattenstempel
mit dem Bilde Luthers und ihre Beziehungen zur Werkstatt
Cralixgcgs, in: Jb. der Einbandkumt. 1. ]g.. [Atipzig 1927,
s. 1 .
u Zimmermann, 1.:. 0., s. 112 m
26
24
zs
25
21
Ebenda. Tal". 32. Abb. 1, s. m r.
Luubier. a. a. 0., s. 202.
War es Luther, der zu Beginn der Neuzeit auftrat, um die
Lehre der Kirche zu ernenern, so in etwa Kaiser Friedrich
m. zu Ende dm Spitmittelzlters, um Repräsentanz! einer
neucn Kaisex- und Hcnschailsidce Zu werden. Und auch er
bedimxc SiCh des Bucheinbandcs. nni dies programmatisch
zu propagieren. GoltVztcx aufdem von iiirn in Anflug
gegebenen Einband des "Reichsevangeliares trägt jene
lKronc, die Friedrich rnr scinc Kaiserkrönung nnr anfertigen
asien.
znr Bestimmung von Stempcln nnd Pinrren im Ab-
bildungsreil vgL: Hachler Konrad, Rollen- nnd Platten-
stunpcl des 16. jhdts, 2 Bde, Leipzig 192.3 (Sammlung
bibüothekswiss. Arbeiten 41, 42). irn Abbildungsrcil
zitiert Haebler.
BILDTEXTE 11-14
11
12
13
14
justilia, Planensnempel mit Monogramm G. K.. 83x
41 mm
Vorderseite des Einbandcs Ö. M" Nr. A I 57
Hzchlcr, Bd. 1, S. 226
Lukretia, Platzcnszcmpcl mit Mcnograrnm o. m, 82x
42 mm
Rückseite des Einbmdcs o. M., m. A x 51
Haebler, Bd. 1, S. 226
11mm, Platwnstcm u, unlqpzeichnet. ss x 4a mm
Vorderseite du Ein andes o. M., Nr. ß 1 100
Fonuna. Plartensrempel mit Mouogzamm ms, 90x
52 mm __
Rücku-ire des Einbandcs o. M., Nr. s 1 100
Haeblcr, Bd. 1, s. 206