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Volltext: Alte und Moderne Kunst XII (1967 / Heft 95)

zentration auf das Wesentliche, die Bibel, 
und Kampf für die gute Sache, die neue 
Lehre, führen hin zu Christus. Die streng 
reformatorische Gesinnung aber, die aus 
diesen Bildern spricht, dürfte letztlich auf 
das Vorbild des großen Bekenntniswerkes 
Dürers zur Reformation, seinen „Vier 
Aposteln" von 1526 zurückzuführen sein. 
Sind zwar von Albrecht Dürer zwei Ent- 
würfe zu Bueheinband-Plattenstempeln 
nachgcwiesen19, die aber in keinerlei direk- 
tem Zusammenhang mit der eigentlichen 
Reformationskunst zu bringen sind, so 
schuf er mit den Vier Aposteln ein der Ge- 
sinnung nach so tief und eigentlich refor- 
matorisches Werk, daß sein Inhalt und seine 
Aussage selbst für das Kunstgewerbe, für 
den Bucheinband, der, wie sich immer mehr 
zeigt, rein propagandistischen Zwecken 
dienen sollte, von maßgeblicher Bedeu- 
tung wurde. Dürer ging es in seinem 
Tafelbild um die Formung idealer 
Typen von geistigen Kämpfern und nicht 
um die Charakteristik bestimmter religions- 
geschichtlicher Personen, wobei er Johannes 
und Paulus die führende Stellung zuerkennt. 
Eine weitere Rollengruppe verbindet mit 
dem Salvator mundi (Abb. 9), oder dem Auf- 
erstandenen (Abb. 10), Paulus und David. 
Paulus, dem die Attribute Buch und Schwert 
beigegeben sind, vereint hier in einer Person 
die vita contemplativa und activa und steht 
als Nachfahre und Kämpfer für Christus, 
den Überwinder von Tod und Sünde, gegen 
dessen Vorfahren David. David gewinnt 
aber nicht nur als Vorläufer für die Refor- 
mationskunst an Bedeutung, sondern auch 
als Patron der Musiklo, die Luther selbst 
über alle anderen Künste stellte Z1. 
Die bisher genannten Rollen und Platten 
deutscher Bucheinbände des 16. jhdts. 
standen in unmittelbarem Zusammenhang 
mit der Reformationskunst überhaupt, sie 
waren in ihrer künstlerischen Gestaltung 
deutlich von der Lehre Luthers und seinen 
programmatischen Anweisungen für Kunst- 
werke abhängig, mehr von dogmatischem 
als künstlerischem Interesse. Sie vertraten 
den Reformationsstil, der seine inhaltliche 
Prägung vor allem durch Dürer und Cra- 
nach erfahren hatte, im Kunsthandwerk. 
Daneben aber gibt es eine Reihe sächsischer 
Potträtplatten und Allegorien, die stilistisch 
in engste Verbindung mit der Formen- 
sprache Cranachs gebracht werden können. 
Dennoch, Originalplattenentwürfe Cranachs 
dürfen wohl kaum angenommen werden, je- 
doch meist getreue Übertragung von gelie- 
ferten Vorbildern durch Stempelschneider 
sowie ein Mitwirken Lukas Cranachs d. j. 
bei der wittenbergischen Einbandkunst 21. 
In etwa erstaunlich an diesen der Werkstatt 
Cranachs nahestehenden Einbandgruppen 
ist, daß gerade hier nicht heilsgcschichtlich- 
reformatorische Allegorien dominieren, 
sondern vielmehr ein Hinwenden zur 
Weiblichen allegorischen Figur im Sinne dcr 
Renaissance zu beobachten ist. Lukretia und 
Justitia werden vor allem auf V0rder- und 
Rückseiten der Einbände (Abb. 11, 12, 13) 
dargestellt, daneben kommt eine Fortuna- 
Platte häufig vor (Abb. 14). Die eigentlich 
reformatorische Gesinnung wird bei diesen 
Bildern vor allem in den Unterschriften 
ausgedrückt. 
Die wesentliche Bestimmung dieser Ein- 
bandgruppe aber dürfte im Erhalten und 
Tradieren des Bildes des Reformators und 
aller jener, die sich zu seiner Lehre bekann- 
ten, die mit ihm kämpften, gelegen haben. 
Denn diese Einbände, zumindest in ihren 
Grundtypen, wurden in Wittenberg selbst 
hergestellt, ihre Tradition setzt erst mit dem 
Todesjahr Luthers ein, und Cranach, Lu- 
thers engster Freund, war für sie in stärkster 
Weise maßgebend, jener Künstler, dem und 
dessen Werkstatt die wertvollsten Porträts 
von Luther, Melanchthon und dem übrigen 
Kreis der Reforrnatoren zu danken sind. 
Für sämtliche der kursächsischen Luther- 
platten können Holzschnittbildnisse des 
jüngeren Cranach oder des Cranach-Um- 
kreises nachgewiesen werden Z3. 
Das in Halhfigut nach rechts gewendete 
Porträt Luthers in seiner l-laustracht, einem 
ärmellosen Rock mit Pelzverbrämung, in 
den Händen die geschlossene Bibel, auf der 
Rückseite eines Einbandes aus der Werk- 
statt des Wittenberger Buchbinders Gregor 
Bernutz (Abb. 15) geht wohl auf einen 
Holzschnitt Cranachs d. ]., Luther in Halb- 
iigur im Talar14, 1546 datiert, zurück. 
Zumeist wird das Porträt Luthers auf der 
Vorderseite, jenes Melanehthons auf der 
Rückseite der Einbände angebracht. In 
seltener Komposition vereint ein 1538 da- 
tierter Einband die Reformatorenporträts 
in Medaillonstempeln. Sinn und Zweck all 
dieser Einbände aber war es wohl, in einer 
Art Ergänzung zu jenen Platten und Stem- 
peln, die die neue Lehre in propagandi- 
stischer Form verbreiten halfen, nunmehr 
auch das Bild des Reformators sowie der 
Männer, die seinem Kreis angehörten, vor 
allem nach Luthers Tod weithin bekanntzu- 
machen und immer wieder in Erinnerung 
zu rufen. 
Da letztlich auch Einbände mit rein pole- 
rnischem Programm bekannt sind 15 spiegelt 
der Bucheinband tatsächlich sämtliche Mög- 
lichkeiten reformatorischer und protestan- 
tistischer Malerei und Graphik. Dürers tiefe 
geistige Verwandtschaft zu Luther, die sich 
in einer von neuem Geist beseelten Abstrak- 
tion, in neuer Gestaltungsweise von alten 
Bildvorwürfen äußerte, ist für die Ikono- 
graphie von Rollen und Platten deutscher 
Bücher des 16. jhdts. ebenso bestimmend 
wie die Arbeiten Cranachs, seine Porträts 
der Reformatoren, seine Zeichnungen und 
Schnitte polemische! Art sowie der Typus 
des Reformationsaltares, der von ihm ge- 
schaffen wurde. In dieser so engen Verbin- 
dung mit der gleichzeitigen Malerei einer- 
seits sowie der propagandistischen Unter- 
ordnung Z6 andererseits nimmt die Einband- 
gestaltung deutscher Bücher der Renaissance 
durchaus eine Sonderstellung innerhalb der 
Geschichte der Einbandkunst ein. 
Zwar Enden sich figurale Kompositionen 
und einzelne Szenen der Heilsgeschichte 
auch auf den Prunkeinbänden des Mittel- 
alters, jedoch völlig anderen Voraus- 
setzungen folgend. Galt es doch hier, kost- 
barste Handschriften ebenso kostbar zu 
binden, großartige Werke in Gold und 
Elfenbein zu schaden, deren szenische 
Folgen in unbedingtem Einklang mit der 
Schrift selbst standen; kirchliche Über- 
lieferung und künstlerische Gestaltung 
bilden in jeder Weise eine Einheit. Mit Ein- 
setzen und Aufblühen der Druckkunst 
mußten Möglichkeiten gefunden werden, 
den Bindcaufträgen rascher nachkommen 
zu können, szenische Darstellungen wurden 
durch ornamentale Gestaltungen ersetzt, 
die mit Hilfe von Streicheisen und Stem- 
peln, später Rollen und Platten ausgeführt 
wurden. Die Geschichte der Einbandkunst 
ist von der des Ornamentes nicht mehr zu 
trennen. 
Daß es aber zur Sonderstellung des deut- 
schen Bucheinbandes der Renaissance kam, 
daß hier mit dem Beginn der Reformation, 
jener seit dem Frühchristenrum größten 
religiösen Veränderung, figurale Szenen 
und Programme abermals eingeführt 
werden, diesmal unter gänzlicher-n Ver- 
zicht sowohl auf die im Hochmittelalter 
gewahrte Einheit von Einband und 
Text H werden Reformationseinbände doch 
nicht ausschließlich für reformatorische 
Schriften verwendet - als auch aufKostbar- 
keit und künstlerisch hervorragende Aus- 
führung - handelt es sich doch zumeist um 
bescheiden wirkende weiße Schweins oder 
braune Kalbsledereinbände 17, deren Rollen 
rasch, ohne Berücksichtigung etwa sorg- 
fältiger Ecklösungen aufgesetzt sind f ist 
letztlich ein großartiger Beweis, in welch 
starkem Maße das Kunstgewerbe von der 
Kultur seiner Zeit beherrscht wird. 
ANMERKUNGEN 19-28 
19 Husung Max] Zwei Blätter von Dürer als Buchcinband- 
Plzltensrcmvpcl m: Zeitschrift für Büchcrfreunde, 20. ]g„ 
N. P. 1. Lmpzig1928, S. 101-103. 
19 Als Gegcnstütk zu Paulus und als Patron der Musik erscheint 
David auf du Baldungkchen Kopfleislc im Bucefschen 
7G;sangbuch von 1541. Vgl. Buchholz, a. a. 0.. S. 47 und 
v Luther Muxtin. Sämtliche Werke, hgg. von Konrad Irmi- 
scher, Erlangen 1x40, 11a. ss, s. 291. 
v Zimmermann Hildcgard, Holzschnitt: und Plattenstempel 
mit dem Bilde Luthers und ihre Beziehungen zur Werkstatt 
Cralixgcgs, in: Jb. der Einbandkumt. 1. ]g.. [Atipzig 1927, 
s. 1 . 
u Zimmermann, 1.:. 0., s. 112 m 
26 
24 
zs 
25 
21 
Ebenda. Tal". 32. Abb. 1, s. m r. 
Luubier. a. a. 0., s. 202. 
War es Luther, der zu Beginn der Neuzeit auftrat, um die 
Lehre der Kirche zu ernenern, so in etwa Kaiser Friedrich 
m. zu Ende dm Spitmittelzlters, um Repräsentanz! einer 
neucn Kaisex- und Hcnschailsidce Zu werden. Und auch er 
bedimxc SiCh des Bucheinbandcs. nni dies programmatisch 
zu propagieren. GoltVztcx aufdem von iiirn in Anflug 
gegebenen Einband des "Reichsevangeliares trägt jene 
lKronc, die Friedrich rnr scinc Kaiserkrönung nnr anfertigen 
asien. 
znr Bestimmung von Stempcln nnd Pinrren im Ab- 
bildungsreil vgL: Hachler Konrad, Rollen- nnd Platten- 
stunpcl des 16. jhdts, 2 Bde, Leipzig 192.3 (Sammlung 
bibüothekswiss. Arbeiten 41, 42). irn Abbildungsrcil 
zitiert Haebler. 
BILDTEXTE 11-14 
11 
12 
13 
14 
justilia, Planensnempel mit Monogramm G. K.. 83x 
41 mm 
Vorderseite des Einbandcs Ö. M" Nr. A I 57 
Hzchlcr, Bd. 1, S. 226 
Lukretia, Platzcnszcmpcl mit Mcnograrnm o. m, 82x 
42 mm 
Rückseite des Einbmdcs o. M., m. A x 51 
Haebler, Bd. 1, S. 226 
11mm, Platwnstcm u, unlqpzeichnet. ss x 4a mm 
Vorderseite du Ein andes o. M., Nr. ß 1 100 
Fonuna. Plartensrempel mit Mouogzamm ms, 90x 
52 mm __ 
Rücku-ire des Einbandcs o. M., Nr. s 1 100 
Haeblcr, Bd. 1, s. 206
	        
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