MAK

Volltext: Alte und Moderne Kunst XII (1967 / Heft 95)

Ruediger Engerlh 
EIN MANIERIST DES 
20. JAHRHUNDERTS - 
ZU DEN BILDERN 
VON MICHAEL 
COUDENHOVE-KALERGI 
 
Ein gespenstischer Fischleib. von glitzernden 
Schuppen überzogen, wie ihn die niederländischen 
Manieristen liebten, leuchtet auf der Leinwand. 
Sieht man genauer hin. so erkennt man, daß die 
Schuppen Palazzi. Kirchen und Brücken. Campi 
und Kanöle sind. Die Karte von Venedig ist dem 
Fischleib eingeschrieben. Die Königin der Meere 
wurde zum Kind des Meeres. Kühl und glänzend 
liegt sie vor uns da. geöffnet und ausgeweidet, dem 
Messer der Köchin preisgegeben wie der Fisch auf 
dem Küchentisch. Der Gedanke ist eines Arcim- 
boldo würdig. Der Hofmaler Kaiser Rudolfs ll. 
ließ allerlei Meeresgetier in Kopf und Hals eines 
fratzenhatten Mannes herumkriechen. Michael 
Coudenhove-Kalergi lößt die Stadt im Fisch ein 
mystisches Leben führen. Die Form des Lebendigen 
umschließt eine vegetative. parasitische Existenz, 
die Stadt im Fisch ist dem Wurm in der Muschel 
nahe verwandt. 
Der wuchernde Reichtum der Formen. Bezüge und 
Allegorien ist ein wesentlicher Bestandteil in der 
Malerei des heute dreißigjährigen Sohnes der 
Stadt Frag. Es ist. als sollte in seinen Bildern die 
Kunst- und Raritütenkammer des kaiserlichen 
Trüumers aufdem Hradschin, die von den eigenen 
Neffen und den Landsknechten der Königin von 
Schweden in alle Winde zerstreut wurde. noch 
einmal erstehen. Die geheimnisvollen Kräfte der 
Natur, magische Kuren und kdbbalistische For- 
meln. alchimistische und astrologische Erfüllungen. 
wie sie der kranke Kaiser van Kepler und Brahe 
erhoffte und niemals erhielt. scheinen in den 
Bildern von Coudenhove ihre Formung zu er- 
fahren. Der junge Maler hat einen wachen Sinn 
für die symboltrüchtige Form. So wie sein Fischleib 
das Bergende und Schützende schlechthin ver- 
körpert, so umgeben allenthalben auf seinen 
Bildern transparente Hüllen ein reiches Vokabular 
zerbröckelnder und sich auflösender Formen. 
Das Vergehende und Vergängliche ist das eigent- 
liche Element des Malers. lmmer wieder begegnen 
wir auf seinen Bildern den verschiedenen Stadien 
schillernder Fäulnis. Stolze Wappenaare haben 
ihre Federn verloren. als hätten Motten und Mäuse 
ihnen zugesetzt. Dome und Paläste scheinen von 
innen her ausgehöhlt. zermorscht und zerfressen 
von heimlich nagenden Termiten. Sie sind vom 
Einsturz bedroht, kümmerliche späte Zeugen einer 
einst festfundierten Macht. Alles Bestehende. Ge- 
satzte und Gesicherte ist in Frage gestellt. Tradi- 
tionen und Erinnerungen sind auf den Grund des 
Bewußtseins gesunken. von wo sie nun als Träume 
und Visionen in das Bildgeschehen eindringen. 
Diese Traditionen und Erinnerungen sind freilich 
gefährliche Mächte. mit denen sich der Maler 
immer von neuem auseinandersetzen muß. deren 
Ansturm er immer wieder bestehen muß. 
Die Stüdtebilder von Michael Coudenhove-Kalergi 
haben einen eigenartigen Reiz. Sie wollen nicht 
äußere Ähnlichkeit vermitteln. sondern innere 
Wirklichkeit. Sie bewahren nicht den Aspekt, 
sondern das Wesen der dargestellten Stadt. Ge- 
bäude und Architekturen gewinnen ein wunder- 
bares Eigenleben. Sie sprießen wie die Blumen. 
sie verfaulen wie die Menschen. sie haben Schick- 
sale wie die Völker und enden in Chaos und Ver- 
zweiflung wie die gesamte Schöpfung. Couden- 
hoves Städte sind ganz im Sinne seines Prager 
Landsmannes Rilke "Verlorene und Aufgelöste". 
Ob er nun den feinen Verüstelungen der Gotik 
von Maria am Gestade nachspürt oder sich an den 
barocken Schwung von Palästen auf der Prager 
Kleinseite verliert, ob er Krakau schildert oder 
das von Krieg und Aufstand gezeichnete Warschau.
	        
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