Der Blick des Gläubigen, dessen Andacht
wie in anderen Gotteshäusern das Zielbild
sucht, ein leicht faßlichcs, christologisches
Leitbild, fällt zuerst aufdas goldene Gehäuse
von Petri Thron, gleitet nach oben und
stößt - kaum gefesselt durch das Motiv
der gemalten Taube im Glasfenster 7 in das
Tageslicht des römischen Himmels.
Hier setzt immer wieder leidenschaftliche
Kritik ein. Durfte das Konzept des Barock
dem Künstler erlauben, in den Mittelpunkt
der Komposition lediglich das gerahmte
Licht zu setzen? Mußtc nicht gerade für die
Basilika des hl. Petrus in vorbildlichster XVei-
se in der Kompositionsmitte auch das Ziel-
bild und die Lösung des „Concetto" liegen?
Heute freilich tritt die Problematik der
Glorie 4 nach mehrfacher Erneuerung des
ursprünglichen Fensters - besonders heftig
an uns heran. Kurz vor der Weihe des Altar-
xverkes am 16. Januar 1666 hatte der Tiroler
Gian Paolo Tedesco (johann Paul Schor)
inmitten des Fensters die Taube ge-
malt. Rundherum fügte er jedoch einen
Kranz von zahlreichen gemalten Engels-
köpfchen („malte teste di serafini") hinzu 2,
wodurch zwischen der Innenkontur der
Glorie und der Taube ein allmählich heller
werdender Übergang entstand. Später hat
man dann - nach Erneuerung des Fensters
-- den äußeren Ring der Glorie ganz ver-
dunkelt, nur das inncrste Oval mit der Tau-
be blieb helli. Erst in jüngster Zeit ist das
gesamte Oval des Fensters ohne Blende
dem Licht geöffnet worden.
Unbeschadet der verschiedenen Versuche
mit Bemalung oder teilweiser Verdunkelung
des Fensters der Glorie fand Berninis Altar-
werk immer wieder negative Kritik. Nach
ersten Angriffen durch Milizia4 (1781) hat
Leopoldo Cicognara die Cathedra als
schlecht konzipiert bezeichneti Die Abnei-
gung des 19. Jahrhunderts schien unver-
söhnlich zu sein. Jakob Burckhardt nannte
die Cathedra gar „das rohste Werk des
Meisters, eine bloße Dekoration und Impro-
visation"6.
In der jüngsten Vergangenheit, die das
Werk Berninis und den Barock mehr und
mehr in das Zentrum des Interesses rückte,
häuften sich die negativen Kritiken der
Cathedra. Antonio Muüoz7 schreibt, das
schwierige Problem sei nur dekorativ ge-
löst, die Cathedra als eine Art Möbel ideali-
siert. Roberto Panes nennt sie in seiner 1953
erschienenen Monographie Berninis „un
falso capolavoro", sie sei voll Kälte und
Gleichgültigkeit, unziemlich und ohne
christlichen Geist. Ebenso scharf kritisiert
Giuseppe Delogu das Werk: „Barocchismo"
anstelle von Barockkunst, wohl gekonnt,
aber „macchina", nur eine Vorrichtung, ein
Werk ohne Geschlossenheit9.
Wie kein anderes Werk Berninis ist die
Cathedra auch Werksgeschichtlich in ihren
archivalischen Quellen erforscht worden.
Nach den Forschungen von Fraschettiw,
Brauer-Wittkoxxrerll und Mariani 11 hat Ro-
berto Battaglia 13 1943 in seiner umfassenden
Monographie die Archivalien ausführlich
publiziert. Rudolf Wittk0wer14 schließlich
hat in seiner Gesarntdarstellung des bild-
haucrischen Werkes Betninis die Summe
der bisherigen Erkenntnisse gezogen. Auch
für ihn blieb manches Rätsel offen15, wäh-
rend Battaglia der ästhetischen Frage aus-
weicht. Er sieht die Cathcdra im Sinne eines
theatralischen Effektes idealisiert. Ihm er!
scheint es, als oh Bernini „in der Glorie ein
unnachahmliches Geheimnis mit sich ge-
nommen, eine Erbschaft hinterlassen habe,
ohne uns zu enthüllen, wie sie zu gebrau-
chen sei" 16.
Im Gegensatz zur ästhetischen Kritik, die
vor allem Italiens Kunstforschung vortrug,
hat die stärker ikonologisch orientierte
deutsche Forschung versucht, Berninis
Schöpfung im Rahmen eines großen „Con-
eetto" zu deuten und zu rechtfertigen. Nach
Hans Kaufrnanns17 umfassender Darstellung
der Rolle des Baldachins hat sich vor allem
Herbert von Einemls „zur Überwindung
der ästhetischen Ablehnung" um eine„der
kunst-, ja geistesgeschichrlichen Bedeu-
tung des Werkes gerecht werdende Wür-
digung" bemüht. Er sieht in Berninis Werk
die Erneuerung der Apsis von Alt-Sn-Peter
und in der Cathedra das Sinnbild des „lee-
ren Thrones" 19. Hans Sedlmayr 29 hat
schließlich in einer geistvollen konstruk-
tiven Lösung Cathedra und Glorie im ge-
samten Bilderkreis des Kuppelraumes und
der Apsis aus dem Text des Glaubensbe-
kenntnisses zu erklären versucht.
Diese bedeutenden geistesgeschichtlich und
ikonologisch orientierten Forschungen ha-
ben die aus ästhetischen Gründen vorgetra-
gene Kritik nicht mildern können. Jede
Bilderdeutung entbehrte bisher einer Lösung,
die sich wie ein Schlußstein in das hohe
Gewölbe der künstlerischen Planung des
Barock natürlich einfügt, einer Lösung, die
ohne kunstvolle Denkgebäude faßbar bleibt.
Die Grundidee des Concetto sollte sich in
einfacher Weise dem Gläubigen anschaulich
olfenbaren. Dem Altarwcrk fehlt im Zen-
trum der Glorie jene letzte ästhetische und
thematische Steigerung, die seine hohe
Funktion am Ende der Längsachse des
Petersdomes rechtfertigt.
Ein glücklicher Fund beweist uns heute, daß
der Planung Papst Alexanders VII. und dem
ANMERKUNGEN 2- 21
1 Zahlungsbclcg v. Januar 1666. um mesxrue della 111mm
San Pietro, r. 71. - Ein Stich von n: Rossi neigt dm
zarten mm und dcn weichen Übergang d" Bemalung
Schors.
.1 um" Zustand erscheint noch in einer alten Fotografie von
Alinan, m. 5m.
4 F. Milizia, Mcmoriß dcgli zrchiteui a1lichi e modcmi.
Panna 1m.
ß Lcoxcldo Cicopmra. Smria della sculluxx, m. v1, mm
1a; ,s.13s m. .11 (man: de] Bemini. cosi mal Conte-
ltl . . ."
ß akob Eurckhardr, m: Ciccrunc, x. Ausg. 1900, 5.221.449.
1 Antonio Munoz, a. 1.. Bcrnini. archivcutu c decoratorv.
Roms 1925, s. 2a - 29;. . . prublcma difücilisiinzo. risollo
decontivaxneuto, ideamio I: catlcdra C0111: qualchc cosa
di mobile, di pos gccio chc nun si sovmppone con pcsan-
4
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xz
u
u
tezza allärchireccura cinquccenrcsca, ma länichisce come
un omato di fesm."
Roberto Pans, Bcmini nrchitcno. Veneziu 1953. S. 44 f.
Uiuseppe Delogu, La sculturn Italicma de! Seicento e du]
Scltccnnto. Firenn: 1932. S. 39. 40. 42: „Bemini ha CICMO.
al massimo. in decadcnza. 1a pcsunre Canedra di San
Pncrro."
Sunislao Fraschclti, L1 Bcrnini, I: sua vila. I2 sua upera, il
sus tcmpo. Milznu 1900.
H. Braun-R. Witlkowcr. Die Zeichnungen des Gian-
lnrcnzu Bemini, Berlin l93l, S. lU4-llO.
V. Marilni, Bclumi e I: "Cillüdfl" di San Pmlro, in:
Dollctl o d'Arte 1931. S. 161 472.
Roberta Battaglia, La Cullcdm Der
Roma 1943.
Rudolf Wittkower. Gian Lurcnzo Bcmini, the sculptor of
Khe Roman Baroque, London 1966. Kuh-Nr. 61. S. 235 bis
237.
Im: di San Picrro.
Projekt Gianlorenzo Berninis die vorge-
worfenen Mängel keineswegs anhafteten.
Ein Terrakottamodell von der Hand Berni-
nis zeigt, daß die Mitte der Glorie das Ziel-
bild und die letzte Steigerung der Kompo-
sition tragen sollte und daß diese zentrale
Stelle des Altarwerkes unvollendet geblie-
ben ist. Die vieldiskutierte Glasscheibe mit
der aufgemalten Taube ist nichts anderes
als ein Provisorium, das die Jahrhunderte
überdauert hat.
Das Terrakottamodell (Farbtafel, Abb. 2)
zeigt im Hochoval die Transfiguration, die
Verklärung Christi, nach dem Evangelium
des Matthäus, 17, 1-9. Es ist 1966 aus
englischem Privatbesitz aufgetaucht, seine
Herkunft aus Rom konnte geklärt werdenll.
Nach Entfernung störender Krcidefassun-
gen konnte 1967 in voller Schärfe Gian-
lorenzo Berninis eigenhändige geniale Hand-
schrift freigelegt werden.
Befund: Tetrakotta, H. 56 cm, B. 54 cm,
T. 12 cm. Es fehlen Finger und Teile des
rechten Fußes Christi und der rechte Unter-
arm der Mosesfigur mit den Gesetzestafeln.
Reste des Kreidegrundes. Beschreibung:
Christus schwebt vor einem Strahlenkranz,
sein rechter Arm weist schräg nach
oben, während die Linke schräg abwärts
gerichtet ist. Über der linken Schulter waag-
recht auswärts wehendes Mantelende.
Zur Rechten steht Moses, die Gesetzesta-
feln weisend, zur Linken Elias mit dem
Buch des Alten Testamentes. Im Scheitel
Hach reliefierte Halbfigur Gottvaters, um
das ganze Oval Putten auf Wolken.
Die kühne Behauptung, daß in diesem Relief
nichts weniger als Berninis Modell für die
Mitte der Glorie der Cathedra vorliegt und
daß diese Darstellung der Transfiguration
die Krönung des Konzepts von Neu-
SL-Peter bedeutet, wird im folgenden aus-
führlich zu beweisen sein.
Die Beweisführung wird nach folgenden
Gesichtspunkten vorgelegt:
1. Argumente, Welche die eigenhändige
Autorschaft Berninis beweisen.
2. Beweis der ästhetischen Kompositions-
einheit und der technisch einfachen Durch-
führbarkeit der Einfügung des ausgeführten
Modells.
3. Ikonologischer Beweis: Die Bedeutung
des Verklärungsmotivs im chrisrologisehen,
petrinischen, ekklesiastischen und unitari-
schen (ökumenischen) Sinne. Das Motiv
der Taube im Kuppelbereich.
4. Schlüsse aus der Werksgeschichte. Argu-
mente der Notwendigkeit einer Improvisa-
tion aus dern Arbeitsablauf.
5. Umstände, Welche eine spätere Ausfüh-
rung zu Lebzeiten Berninis verhinderten.
'5 Rudolf Wiitkower, a. a. O.. S. 235: . . . murh remains
puzzling . _ ."
l" Roberta Battaglia. a. a. 0.. S. ' . ideata in Vista d'un
efTettn di camttcre teatrale la catlc m c iiiia scena . . N und
5.133 . sembra quasi Ch ' mini abbia pOrlätü con
se in qucstii glnria un inimitabi scgrclo, abbia lasciato un
ereditä, senza rivelare tnttavia il nihan di Spenderin."
u Hans Kauünann, Beminis Tabemakcl in" Münchener jahr-
hin-h der bildenden Kunst. m: m55, s 42-242.
i- Herbert von Einem, Bemerkungen zur Cathedn Peu-i des
LOKCHZO Bcrnini, in: Nachrichten der Akademie der
Wixsclsthaften in Göttingen l. was. Nr. 4. s. 93-114,
' ios.
n Vull Einem, a. a. 0.. s. in r.
lrnmyr, Der Bildetkrcis VON Ncu-SL-Peter in Ronx
in: Epochen und Werke u. s. 31 r.
n Es konnten mehrere private Vorhesitzcr in nnni und
Florenz festgestellt werden.