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Volltext: Alte und Moderne Kunst XII (1967 / Heft 95)

Der Blick des Gläubigen, dessen Andacht 
wie in anderen Gotteshäusern das Zielbild 
sucht, ein leicht faßlichcs, christologisches 
Leitbild, fällt zuerst aufdas goldene Gehäuse 
von Petri Thron, gleitet nach oben und 
stößt - kaum gefesselt durch das Motiv 
der gemalten Taube im Glasfenster 7 in das 
Tageslicht des römischen Himmels. 
Hier setzt immer wieder leidenschaftliche 
Kritik ein. Durfte das Konzept des Barock 
dem Künstler erlauben, in den Mittelpunkt 
der Komposition lediglich das gerahmte 
Licht zu setzen? Mußtc nicht gerade für die 
Basilika des hl. Petrus in vorbildlichster XVei- 
se in der Kompositionsmitte auch das Ziel- 
bild und die Lösung des „Concetto" liegen? 
Heute freilich tritt die Problematik der 
Glorie 4 nach mehrfacher Erneuerung des 
ursprünglichen Fensters - besonders heftig 
an uns heran. Kurz vor der Weihe des Altar- 
xverkes am 16. Januar 1666 hatte der Tiroler 
Gian Paolo Tedesco (johann Paul Schor) 
inmitten des Fensters die Taube ge- 
malt. Rundherum fügte er jedoch einen 
Kranz von zahlreichen gemalten Engels- 
köpfchen („malte teste di serafini") hinzu 2, 
wodurch zwischen der Innenkontur der 
Glorie und der Taube ein allmählich heller 
werdender Übergang entstand. Später hat 
man dann - nach Erneuerung des Fensters 
-- den äußeren Ring der Glorie ganz ver- 
dunkelt, nur das inncrste Oval mit der Tau- 
be blieb helli. Erst in jüngster Zeit ist das 
gesamte Oval des Fensters ohne Blende 
dem Licht geöffnet worden. 
Unbeschadet der verschiedenen Versuche 
mit Bemalung oder teilweiser Verdunkelung 
des Fensters der Glorie fand Berninis Altar- 
werk immer wieder negative Kritik. Nach 
ersten Angriffen durch Milizia4 (1781) hat 
Leopoldo Cicognara die Cathedra als 
schlecht konzipiert bezeichneti Die Abnei- 
gung des 19. Jahrhunderts schien unver- 
söhnlich zu sein. Jakob Burckhardt nannte 
die Cathedra gar „das rohste Werk des 
Meisters, eine bloße Dekoration und Impro- 
visation"6. 
In der jüngsten Vergangenheit, die das 
Werk Berninis und den Barock mehr und 
mehr in das Zentrum des Interesses rückte, 
häuften sich die negativen Kritiken der 
Cathedra. Antonio Muüoz7 schreibt, das 
schwierige Problem sei nur dekorativ ge- 
löst, die Cathedra als eine Art Möbel ideali- 
siert. Roberto Panes nennt sie in seiner 1953 
erschienenen Monographie Berninis „un 
falso capolavoro", sie sei voll Kälte und 
Gleichgültigkeit, unziemlich und ohne 
christlichen Geist. Ebenso scharf kritisiert 
Giuseppe Delogu das Werk: „Barocchismo" 
anstelle von Barockkunst, wohl gekonnt, 
aber „macchina", nur eine Vorrichtung, ein 
Werk ohne Geschlossenheit9. 
Wie kein anderes Werk Berninis ist die 
Cathedra auch Werksgeschichtlich in ihren 
archivalischen Quellen erforscht worden. 
Nach den Forschungen von Fraschettiw, 
Brauer-Wittkoxxrerll und Mariani 11 hat Ro- 
berto Battaglia 13 1943 in seiner umfassenden 
Monographie die Archivalien ausführlich 
publiziert. Rudolf Wittk0wer14 schließlich 
hat in seiner Gesarntdarstellung des bild- 
haucrischen Werkes Betninis die Summe 
der bisherigen Erkenntnisse gezogen. Auch 
für ihn blieb manches Rätsel offen15, wäh- 
rend Battaglia der ästhetischen Frage aus- 
weicht. Er sieht die Cathcdra im Sinne eines 
theatralischen Effektes idealisiert. Ihm er! 
scheint es, als oh Bernini „in der Glorie ein 
unnachahmliches Geheimnis mit sich ge- 
nommen, eine Erbschaft hinterlassen habe, 
ohne uns zu enthüllen, wie sie zu gebrau- 
chen sei" 16. 
Im Gegensatz zur ästhetischen Kritik, die 
vor allem Italiens Kunstforschung vortrug, 
hat die stärker ikonologisch orientierte 
deutsche Forschung versucht, Berninis 
Schöpfung im Rahmen eines großen „Con- 
eetto" zu deuten und zu rechtfertigen. Nach 
Hans Kaufrnanns17 umfassender Darstellung 
der Rolle des Baldachins hat sich vor allem 
Herbert von Einemls „zur Überwindung 
der ästhetischen Ablehnung" um eine„der 
kunst-, ja geistesgeschichrlichen Bedeu- 
tung des Werkes gerecht werdende Wür- 
digung" bemüht. Er sieht in Berninis Werk 
die Erneuerung der Apsis von Alt-Sn-Peter 
und in der Cathedra das Sinnbild des „lee- 
ren Thrones" 19. Hans Sedlmayr 29 hat 
schließlich in einer geistvollen konstruk- 
tiven Lösung Cathedra und Glorie im ge- 
samten Bilderkreis des Kuppelraumes und 
der Apsis aus dem Text des Glaubensbe- 
kenntnisses zu erklären versucht. 
Diese bedeutenden geistesgeschichtlich und 
ikonologisch orientierten Forschungen ha- 
ben die aus ästhetischen Gründen vorgetra- 
gene Kritik nicht mildern können. Jede 
Bilderdeutung entbehrte bisher einer Lösung, 
die sich wie ein Schlußstein in das hohe 
Gewölbe der künstlerischen Planung des 
Barock natürlich einfügt, einer Lösung, die 
ohne kunstvolle Denkgebäude faßbar bleibt. 
Die Grundidee des Concetto sollte sich in 
einfacher Weise dem Gläubigen anschaulich 
olfenbaren. Dem Altarwcrk fehlt im Zen- 
trum der Glorie jene letzte ästhetische und 
thematische Steigerung, die seine hohe 
Funktion am Ende der Längsachse des 
Petersdomes rechtfertigt. 
Ein glücklicher Fund beweist uns heute, daß 
der Planung Papst Alexanders VII. und dem 
ANMERKUNGEN 2- 21 
1 Zahlungsbclcg v. Januar 1666. um mesxrue della 111mm 
San Pietro, r. 71. - Ein Stich von n: Rossi neigt dm 
zarten mm und dcn weichen Übergang d" Bemalung 
Schors. 
.1 um" Zustand erscheint noch in einer alten Fotografie von 
Alinan, m. 5m. 
4 F. Milizia, Mcmoriß dcgli zrchiteui a1lichi e modcmi. 
Panna 1m. 
ß Lcoxcldo Cicopmra. Smria della sculluxx, m. v1, mm 
1a; ,s.13s m. .11 (man: de] Bemini. cosi mal Conte- 
ltl . . ." 
ß akob Eurckhardr, m: Ciccrunc, x. Ausg. 1900, 5.221.449. 
1 Antonio Munoz, a. 1.. Bcrnini. archivcutu c decoratorv. 
Roms 1925, s. 2a - 29;. . . prublcma difücilisiinzo. risollo 
decontivaxneuto, ideamio I: catlcdra C0111: qualchc cosa 
di mobile, di pos gccio chc nun si sovmppone con pcsan- 
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tezza allärchireccura cinquccenrcsca, ma länichisce come 
un omato di fesm." 
Roberto Pans, Bcmini nrchitcno. Veneziu 1953. S. 44 f. 
Uiuseppe Delogu, La sculturn Italicma de! Seicento e du] 
Scltccnnto. Firenn: 1932. S. 39. 40. 42: „Bemini ha CICMO. 
al massimo. in decadcnza. 1a pcsunre Canedra di San 
Pncrro." 
Sunislao Fraschclti, L1 Bcrnini, I: sua vila. I2 sua upera, il 
sus tcmpo. Milznu 1900. 
H. Braun-R. Witlkowcr. Die Zeichnungen des Gian- 
lnrcnzu Bemini, Berlin l93l, S. lU4-llO. 
V. Marilni, Bclumi e I: "Cillüdfl" di San Pmlro, in: 
Dollctl o d'Arte 1931. S. 161 472. 
Roberta Battaglia, La Cullcdm Der 
Roma 1943. 
Rudolf Wittkower. Gian Lurcnzo Bcmini, the sculptor of 
Khe Roman Baroque, London 1966. Kuh-Nr. 61. S. 235 bis 
237. 
 
Im: di San Picrro. 
Projekt Gianlorenzo Berninis die vorge- 
worfenen Mängel keineswegs anhafteten. 
Ein Terrakottamodell von der Hand Berni- 
nis zeigt, daß die Mitte der Glorie das Ziel- 
bild und die letzte Steigerung der Kompo- 
sition tragen sollte und daß diese zentrale 
Stelle des Altarwerkes unvollendet geblie- 
ben ist. Die vieldiskutierte Glasscheibe mit 
der aufgemalten Taube ist nichts anderes 
als ein Provisorium, das die Jahrhunderte 
überdauert hat. 
Das Terrakottamodell (Farbtafel, Abb. 2) 
zeigt im Hochoval die Transfiguration, die 
Verklärung Christi, nach dem Evangelium 
des Matthäus, 17, 1-9. Es ist 1966 aus 
englischem Privatbesitz aufgetaucht, seine 
Herkunft aus Rom konnte geklärt werdenll. 
Nach Entfernung störender Krcidefassun- 
gen konnte 1967 in voller Schärfe Gian- 
lorenzo Berninis eigenhändige geniale Hand- 
schrift freigelegt werden. 
Befund: Tetrakotta, H. 56 cm, B. 54 cm, 
T. 12 cm. Es fehlen Finger und Teile des 
rechten Fußes Christi und der rechte Unter- 
arm der Mosesfigur mit den Gesetzestafeln. 
Reste des Kreidegrundes. Beschreibung: 
Christus schwebt vor einem Strahlenkranz, 
sein rechter Arm weist schräg nach 
oben, während die Linke schräg abwärts 
gerichtet ist. Über der linken Schulter waag- 
recht auswärts wehendes Mantelende. 
Zur Rechten steht Moses, die Gesetzesta- 
feln weisend, zur Linken Elias mit dem 
Buch des Alten Testamentes. Im Scheitel 
Hach reliefierte Halbfigur Gottvaters, um 
das ganze Oval Putten auf Wolken. 
Die kühne Behauptung, daß in diesem Relief 
nichts weniger als Berninis Modell für die 
Mitte der Glorie der Cathedra vorliegt und 
daß diese Darstellung der Transfiguration 
die Krönung des Konzepts von Neu- 
SL-Peter bedeutet, wird im folgenden aus- 
führlich zu beweisen sein. 
Die Beweisführung wird nach folgenden 
Gesichtspunkten vorgelegt: 
1. Argumente, Welche die eigenhändige 
Autorschaft Berninis beweisen. 
2. Beweis der ästhetischen Kompositions- 
einheit und der technisch einfachen Durch- 
führbarkeit der Einfügung des ausgeführten 
Modells. 
3. Ikonologischer Beweis: Die Bedeutung 
des Verklärungsmotivs im chrisrologisehen, 
petrinischen, ekklesiastischen und unitari- 
schen (ökumenischen) Sinne. Das Motiv 
der Taube im Kuppelbereich. 
4. Schlüsse aus der Werksgeschichte. Argu- 
mente der Notwendigkeit einer Improvisa- 
tion aus dern Arbeitsablauf. 
5. Umstände, Welche eine spätere Ausfüh- 
rung zu Lebzeiten Berninis verhinderten. 
'5 Rudolf Wiitkower, a. a. O.. S. 235: . . . murh remains 
 
puzzling . _ ." 
l" Roberta Battaglia. a. a. 0.. S. ' . ideata in Vista d'un 
efTettn di camttcre teatrale la catlc m c iiiia scena . . N und 
5.133 . sembra quasi Ch ' mini abbia pOrlätü con 
  
se in qucstii glnria un inimitabi scgrclo, abbia lasciato un 
ereditä, senza rivelare tnttavia il nihan di Spenderin." 
u Hans Kauünann, Beminis Tabemakcl in" Münchener jahr- 
hin-h der bildenden Kunst. m: m55, s 42-242. 
i- Herbert von Einem, Bemerkungen zur Cathedn Peu-i des 
LOKCHZO Bcrnini, in: Nachrichten der Akademie der 
Wixsclsthaften in Göttingen l. was. Nr. 4. s. 93-114, 
' ios. 
n Vull Einem, a. a. 0.. s. in r. 
lrnmyr, Der Bildetkrcis VON Ncu-SL-Peter in Ronx 
in: Epochen und Werke u. s. 31 r. 
n Es konnten mehrere private Vorhesitzcr in nnni und 
Florenz festgestellt werden. 
 

	        
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