ARGUMENTE DER EIGENHÄNDIG-
KEIT
Die Betrachtung des Reliefs macht uns klar,
daß wir trotz des relativ kleinen Formates
ein monumental wirkendes Werk von ex-
pandierender Dichte und Spannung vor uns
haben. Die Qualität der Details hält auch
einer Projektion in monumentale Dimen-
sionen stand. Das Relief erweist sich damit
als echter Entwurf. Die Invention befindet
sich dabei nicht mehr auf der Stufe der Ton-
skizze, des Bozzettos. Weitgehend sehen
wir bereits alle Einzelheiten der geplanten
Ausführung vollendet ausgeprägt. Wir ha-
ben den Endpunkt des Werdens, das aus-
gereifte Modell vor uns. Noch spüren wir
jedoch den unmittelbaren Atem des Er-
lindcrs, noch ist der Impetus des Schöp-
fungsaugenblicks vorhanden. In manchen
Details bleibt das Werk Skizze, wie in der
rechten Hand des Elias oder den Engels-
köpfen zu Füßen Christi.
Wir kennen in Berninis Werk Beispiele für
alle Phasen des Werdens, von den Pensieri
erster Zeichnungen, vom vereinfachten
Urbozzctto angefangen bis zum ausgefeilten
Tonmodell. Als Beispiele für diese ausge-
reifteren Modelle mögen Berninis Entwürfe
für die Flußgötter des Nil und des Rio della
Plata in der Ca,d'Oro genannt werden, oder
der Modello für die Reiterstatue Ludwigs
XIV. in der Villa Borghese.
Das Bewegungsmotiv der zentralen Gestalt
Christi mit der schräg nach rechts oben ver-
laufenden Achse der Arme ist auffällig ähn-
lich auch in der Statue des hl. Longinus am
nordöstlichen Kuppelpfeiler des Peters-
domes vorhanden. Der Vergleich mit dem
Bozzetto dieser Statue 22 zeigt auch die ver-
wandte Gestaltung des Hauptes (Abb. 3).
Eine äußerst lebendige Führung der Falten-
kanten verleiht dem Werk besondere Kraft
und Spannung. Diese für Bernini so typi-
schen, im Zickzack laufenden Linien fallen
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besonders an der Figur des Elias auf. Der
Stich nach der Zeichnung „Sanguis Chri-
sti"23 demonstriert uns die Besonderheit
dieser Faltcngcbungen (Abb. 4). Die weiß
gehöhten Faltenzüge Gottvaters und der
Heiligen entsprechen den Gewändern des
Tonreliefs. Diese Dynamik der Faltenzüge
kennen wir von vielen Werken Berninis,
wie von seinem Engel mit dem Schriftblatt
auf der Engelsbrücke 14 oder von den
knienden Engeln der Cappella del Sacra-
mento (Abb. S).
Es ist überraschend, wie sehr der Meister in
den Gestalten des Moses und des Elias in der
mächtigen Sprache Michelangelos zu uns
spricht. Die Mosesstatue des Juliusgrabrnals
und das Haupt Gottvaters im Sixtinafresko
stehen sichtlich hinter Betninis Gestaltung
(Abb. 6).
Wenn wir im Werk nach vergleichbaren
Arbeiten suchen, stehen die beiden Reliefs
an den Seitenwänden von Bcrninis Custodia
für die Cathedra mit den Darstellungen der
Fußwaschung und der Schlüsselübcrgabe
dem Ovalrelicf dcr Verklärung am nächsten.
(Abb. 7, 8). In allen drei Vergleichsreliefs
(Abb. 7, 8, 9) bewegen sich die gleichen Ge-
stalten, mit vergleichbaren Kopftypen, in
ähnlich drapierte Gewänder gehüllt.
Es ertönt die gleiche Melodie, aber sie wird
mit verschiedener Intensität vorgetragen.
Der Vergleich mit den Cathedrareliefs führt
zugleich zum überzeugenden Beweis der
eigenhändigen Autorschaft Berninis. Den
beiden Vergleichsstücken fehlt die hohe
Spannung des Ovals. Sie können nicht ver-
größert werden, ohne ihre Qualität zu ver-
liercn. Sie wirken erzählend, ohne die
Monumentalität der Verklärungsszene zu
erreichen. Bei beiden Cathedrareliefs ist
Berninis Erfindung durch die ausführende
Hand eines guten Mitarbeiters aus dem Ent-
wurf des Meisters übertragen w0rden25.
Wir kennen von den Vorstufen dieser Re-
liefs ihre äußerst vereinfachte skizzenha
Gestaltung auf Berninis eigenhändig
Bozzetto der Custodia, heute im Detroit
Stitute of Arts (Abb. 28, 29 und 30). I
stärker ausgeführten Modelle der Relic
nach denen die Ausführung der Gußreli
im Format 1:1 durch den Mitarbei
schließlich erfolgte, sind unbekannt. Il
Ausführung und Qualität wird dem ReÄ
der Verklärung ähnlich gewesen sein.
Ähnliche Übereinstimmungen und Qu:
tätsunterscbiede ergeben die Vergleiche 1
Ovals mit dem Relief „Pasce oves meas"
der Lehne der Custodia und dem themi
gleichen Marrnorrelief im Portikus von
PeterZV (Abb. 9). Allen diesenvon Mitart
tern ausgeführten Vergleichsreliefs fe
jene Dichte und Größe, die das Reliefi
Verklärung Christi als eigenhändiges Mot
Gianlorenzo Berninis erweist.
DIE EINFÜGUNG DER TRANSFIG
RATION IN DIE GESAMTKOMP
SITION
Vor Berninis Altarwerk mit der Cälthöl
wird uns bewußt, daß außer der Funkti
eines Rcliquienaltares auch noch die Fui
tion eines Hochaltares gegeben ist und t
in der künstlerischen Komposition noch
zweites, größeres Motiv vorgetragen w
den soll.
Ein großes, visionäres Ereignis bahnt s
an. Knapp über der Altarmensa erhebt s
die riesige Wolke, vor der die Cathedra
gebrachtist. Sie steigt auf, erhebt sich
das durch die Säulen markierte Unter
schoß bis in die lichte Fensterzone 1;
bricht auseinander zur Engelsglorie. ]
großen Bewegungen der Engel, anbete
geblendet zurückweichend, auf eine
scheinung starrcnd oder nach unten
Petri Thron weisend, gelten einem Ereigi
das plötzlich eingetreten ist und die hirr
lischen Scharen erregt. Die Wolken ü