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Volltext: Alte und Moderne Kunst XII (1967 / Heft 95)

ARGUMENTE DER EIGENHÄNDIG- 
KEIT 
Die Betrachtung des Reliefs macht uns klar, 
daß wir trotz des relativ kleinen Formates 
ein monumental wirkendes Werk von ex- 
pandierender Dichte und Spannung vor uns 
haben. Die Qualität der Details hält auch 
einer Projektion in monumentale Dimen- 
sionen stand. Das Relief erweist sich damit 
als echter Entwurf. Die Invention befindet 
sich dabei nicht mehr auf der Stufe der Ton- 
skizze, des Bozzettos. Weitgehend sehen 
wir bereits alle Einzelheiten der geplanten 
Ausführung vollendet ausgeprägt. Wir ha- 
ben den Endpunkt des Werdens, das aus- 
gereifte Modell vor uns. Noch spüren wir 
jedoch den unmittelbaren Atem des Er- 
lindcrs, noch ist der Impetus des Schöp- 
fungsaugenblicks vorhanden. In manchen 
Details bleibt das Werk Skizze, wie in der 
rechten Hand des Elias oder den Engels- 
köpfen zu Füßen Christi. 
Wir kennen in Berninis Werk Beispiele für 
alle Phasen des Werdens, von den Pensieri 
erster Zeichnungen, vom vereinfachten 
Urbozzctto angefangen bis zum ausgefeilten 
Tonmodell. Als Beispiele für diese ausge- 
reifteren Modelle mögen Berninis Entwürfe 
für die Flußgötter des Nil und des Rio della 
Plata in der Ca,d'Oro genannt werden, oder 
der Modello für die Reiterstatue Ludwigs 
XIV. in der Villa Borghese. 
Das Bewegungsmotiv der zentralen Gestalt 
Christi mit der schräg nach rechts oben ver- 
laufenden Achse der Arme ist auffällig ähn- 
lich auch in der Statue des hl. Longinus am 
nordöstlichen Kuppelpfeiler des Peters- 
domes vorhanden. Der Vergleich mit dem 
Bozzetto dieser Statue 22 zeigt auch die ver- 
wandte Gestaltung des Hauptes (Abb. 3). 
Eine äußerst lebendige Führung der Falten- 
kanten verleiht dem Werk besondere Kraft 
und Spannung. Diese für Bernini so typi- 
schen, im Zickzack laufenden Linien fallen 
6 
besonders an der Figur des Elias auf. Der 
Stich nach der Zeichnung „Sanguis Chri- 
sti"23 demonstriert uns die Besonderheit 
dieser Faltcngcbungen (Abb. 4). Die weiß 
gehöhten Faltenzüge Gottvaters und der 
Heiligen entsprechen den Gewändern des 
Tonreliefs. Diese Dynamik der Faltenzüge 
kennen wir von vielen Werken Berninis, 
wie von seinem Engel mit dem Schriftblatt 
auf der Engelsbrücke 14 oder von den 
knienden Engeln der Cappella del Sacra- 
mento (Abb. S). 
Es ist überraschend, wie sehr der Meister in 
den Gestalten des Moses und des Elias in der 
mächtigen Sprache Michelangelos zu uns 
spricht. Die Mosesstatue des Juliusgrabrnals 
und das Haupt Gottvaters im Sixtinafresko 
stehen sichtlich hinter Betninis Gestaltung 
(Abb. 6). 
Wenn wir im Werk nach vergleichbaren 
Arbeiten suchen, stehen die beiden Reliefs 
an den Seitenwänden von Bcrninis Custodia 
für die Cathedra mit den Darstellungen der 
Fußwaschung und der Schlüsselübcrgabe 
dem Ovalrelicf dcr Verklärung am nächsten. 
(Abb. 7, 8). In allen drei Vergleichsreliefs 
(Abb. 7, 8, 9) bewegen sich die gleichen Ge- 
stalten, mit vergleichbaren Kopftypen, in 
ähnlich drapierte Gewänder gehüllt. 
Es ertönt die gleiche Melodie, aber sie wird 
mit verschiedener Intensität vorgetragen. 
Der Vergleich mit den Cathedrareliefs führt 
zugleich zum überzeugenden Beweis der 
eigenhändigen Autorschaft Berninis. Den 
beiden Vergleichsstücken fehlt die hohe 
Spannung des Ovals. Sie können nicht ver- 
größert werden, ohne ihre Qualität zu ver- 
liercn. Sie wirken erzählend, ohne die 
Monumentalität der Verklärungsszene zu 
erreichen. Bei beiden Cathedrareliefs ist 
Berninis Erfindung durch die ausführende 
Hand eines guten Mitarbeiters aus dem Ent- 
wurf des Meisters übertragen w0rden25. 
Wir kennen von den Vorstufen dieser Re- 
 
liefs ihre äußerst vereinfachte skizzenha 
Gestaltung auf Berninis eigenhändig 
Bozzetto der Custodia, heute im Detroit 
Stitute of Arts (Abb. 28, 29 und 30). I 
stärker ausgeführten Modelle der Relic 
nach denen die Ausführung der Gußreli 
im Format 1:1 durch den Mitarbei 
schließlich erfolgte, sind unbekannt. Il 
Ausführung und Qualität wird dem ReÄ 
der Verklärung ähnlich gewesen sein. 
Ähnliche Übereinstimmungen und Qu: 
tätsunterscbiede ergeben die Vergleiche 1 
Ovals mit dem Relief „Pasce oves meas" 
der Lehne der Custodia und dem themi 
gleichen Marrnorrelief im Portikus von 
PeterZV (Abb. 9). Allen diesenvon Mitart 
tern ausgeführten Vergleichsreliefs fe 
jene Dichte und Größe, die das Reliefi 
Verklärung Christi als eigenhändiges Mot 
Gianlorenzo Berninis erweist. 
DIE EINFÜGUNG DER TRANSFIG 
RATION IN DIE GESAMTKOMP 
SITION 
Vor Berninis Altarwerk mit der Cälthöl 
wird uns bewußt, daß außer der Funkti 
eines Rcliquienaltares auch noch die Fui 
tion eines Hochaltares gegeben ist und t 
in der künstlerischen Komposition noch 
zweites, größeres Motiv vorgetragen w 
den soll. 
Ein großes, visionäres Ereignis bahnt s 
an. Knapp über der Altarmensa erhebt s 
die riesige Wolke, vor der die Cathedra 
gebrachtist. Sie steigt auf, erhebt sich  
das durch die Säulen markierte Unter 
schoß bis in die lichte Fensterzone 1; 
bricht auseinander zur Engelsglorie. ] 
großen Bewegungen der Engel, anbete 
geblendet zurückweichend, auf eine 
scheinung starrcnd oder nach unten 
Petri Thron weisend, gelten einem Ereigi 
das plötzlich eingetreten ist und die hirr 
lischen Scharen erregt. Die Wolken ü
	        
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