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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIII (1968 / Heft 96)

AUS DEM KUNSTLEBEN 
 
ARNOLD CLEMENTSCH ITSCH 
Eröffnungsansprache bei seiner Ausstellung 
in der Galerie Würtlile anläßlich seines 
60. Geburtstages am 2. November 1967 
Geistige Begebenheiten sind ihrem 
Wesen nach niemals privat. aber das 
geistige Leben eines Menschen kann, aus 
verschiedenen Gründen. in eine nahezu 
private Existenz zurückgedrängt wer- 
den. Der einzelne aber, der in seiner 
Beschiedenheit oft bis zur Unkenntlich- 
keit isoliert erscheint oder gegenüber 
seiner Zeit, selbstbewußt, auf einem 
abseitigen Standpunkt verharrt, er 
kann gleichwohl ein origineller Künstler 
sein und eine größere Aufgabe haben als 
die weithin sichtbaren Führer der Ak- 
tion und ihre Mitläufer. Das Leben 
dieses einzelnen hat Stillstand und Tod 
vorgetäuscht, sein Werk hat den Augen 
läutiger Gaffer nichts gesagt. So oder 
so ähnlich verhält es sich auch mit dem 
Leben und Schaffen des Malers Arnold 
Clementschitsch, dem wir heute hier, 
Aug in Aug. gegenüberstehen, ihm und 
seinen Werken. Und was das heißt, 
was diese Bilder bedeuten, in ihrer 
lmmanenz und vor dem Hintergrund 
der Zeit, dafür wird es einmal auch 
noch ein Aufsehen geben. (Was Sie 
hier sehen. ist nur ein kleiner Teil des 
Vorzüglichen. das er geschaffen hat.) 
Clementschitsch entstammt einer ange- 
sehenen, kinderreichen Bürgerfamilie 
der Stadt Villach. Sein Vater war 
Advokat. 
Die Malerei unseres Freundes stellt 
meines Erachtens eine interessante 
Antithese zur Kunst unserer Zeit dar; 
er selbst kann zunächst nur aus dem 
Geist einer Zeit begriffen werden, die 
vergangen ist. denn er ist. ganz sum- 
marisch ausgedrückt, ein "unpoliti- 
scher" Geist. Wir können uns über ihn 
am einfachsten durch einen Blick auf 
die fabelhafte Landkarte der Habs- 
burger Doppelmonarchie orientieren. 
Damals haben sich die verschiedenen 
Nationalitäten noch nicht im Fremden- 
verkehr berührt; sie lernten einander 
bei der täglichen Arbeit. auf den 
Straßen und Eisenbahnen, in Kasernen 
und Wirtshäusern kennen. Villach. 
Triest, Laibach und Klagenfurt sind 
gutnachbarliche Provinzstädte desselben 
Reiches. Die ethnologischen und sozialen 
Verhältnisse jenes Reiches haben aufdie 
Natur unseres Freundes abgefärbt und 
in seinem Charakter seltsame Spuren 
hinterlassen. Wer ihn näher kennt. 
weil} die Zeichen zu deuten, die ihn 
gefördert. gehemmt, begrenzt und 
fixiert haben. Das geschah freilich nicht 
ohne anderweitige geistige Einflüsse. 
ich nenne nur Darwin, Nietzsche und 
Freud. Aber damit ist seine künstle- 
rische Eigenart keineswegs erklärt. 
Diese Eigenart ist ja wohl zutiefst in 
seinem eigenen Naturell begründet, 
resultiert zunächst aber aus der Ausein- 
andersetzung mit dem Akademismus, 
mit dem Impressionismus. und mehr 
noch aus einer. wenn ich so sagen darf. 
eigensinnigen Wahlverwandtschaft mit 
Einzelgängern wie Puvis de Chavanne 
und Hodler. Aber das alles ist Kunst- 
geschichte, überlieferte Wissenschaft. 
und für Clementschitsch nicht das Ent- 
scheidende. Entscheidend bei ihm ist, 
daß alle Kunstliteratur, in Büchern und 
Museen. vor seinem Blick immer wieder 
in nichts zerfällt oder wie ein Vorhang 
zerreißt, so daß ihm. wie mit einem 
Blick auf eine belebte Straße. nackt und 
unverstellt der Alltag erscheint, das 
gemeine, wirkliche Leben, die Dinge in 
ihrer seltsamen Gewöhnlichkeit. Dann 
sieht er sie wie am ersten Tag. Ge- 
schichte ist für ihn Asche und die Natur 
ein unbeschriebenes Blatt. auf das er 
seine zugleich sachlichen und exzentri- 
schen Briefe an die Schönheit schreibt. 
Di Art von ,.Voraussetzungslosig- 
kei st etwas sehr Seltenes, sie zeichnet 
aus und isoliert. sie läßt den. der ihr 
huldigt, als Sonderling oder Ketzer 
erscheinen. 
Die materielle Lebensart unseres Freun- 
des ist spartanisch. oder wie die eines 
Hausierers, seine Umgangsformen ha- 
ben etwas Kavaliersmäfiiges oder Bäu- 
risches, im Mantel der klassischen 
Boheme. Clementschitsch war nicht 
berufen. bürgerliche Traditionen fort- 
zusetzen und ein nützliches Handwerk 
zu treiben; daraus erklärt sich auch, 
daß ihn ein gewisser aristokratischer 
Typus stark beeinflußt hat. der Aben- 
teurer. Träumer, Spieler. Duellierer 
und Dilettant. Er hat diesen Leuten ein 
freundliches Interesse bis heute bewahrt. 
Sein feuerspeiendes Herz hat nie ein 
geordnetes Verhältnis gefunden. er 
war ein Außenseiter von Anfang an, 
und dementsprechend sind seine Kon- 
takte. 
 
Doch ist das Bürgertum, das er in seinem 
Lebenswandel konsequent verleugnet 
hat. an seiner Existenz nicht so unbe- 
teiligt. wie es scheint. Die Handwerker 
und Kaufleute. Ärzte und Advokaten in 
Kärnten haben Auftrage gegeben. sie 
waren vom Bohemien amüsiert und 
haben ihm schließlich auch jene kost- 
baren Bilder abgekauft, die sich ganz 
der Erfindung seiner starken Augen 
verdanken. Sie haben freilich nicht viel 
dafür gezahlt; den Preis zu treiben 
oder nur zu halten. dazu hatte Cle- 
mentschitsch keine Zeit, die Voraus- 
setzungen fehlten. der Rückhalt: er hat 
sich oft kärglich durchgebracht. Seine 
Situation ist heute noch dieselbe, er 
muß Kunden suchen und Aufträge aus- 
führen. Aber das hält er für selbstver- 
ständlich, er glaubt nicht, daß der 
Künstler darüber hinaus irgend etwas 
zu fordern habe. Bei alledem war 
unserem Freund eine sehr gerade Bahn 
vorgezeichnet. Er geht auch immer 
geradeaus, er verbirgt nichts. und 
nichts bleibt vor ihm verborgen. Seine 
private Umwelt möchte ich mit einem 
fast unmöblienen und unordentlichen. 
aber ganz hellen. durchsichtigen Zim- 
mer vergleichen. Es liegt bei ihm auf 
allen Dingen ein Licht, das selbst dem 
Traurigen und Miserablen klare Kon- 
turen gibt. Das ist das Geheimnis der 
Schamlosigkeit, die mit Klarheit ver- 
schwistert ist. 
Nietßches und Freuds Einfluß habe ich 
bereits erwähnt. ich nenne noch Strind- 
berg, Kipling und Dickens. und zuletzt 
Gustav Britsch, den kaum jemand 
kennt. Seine ,.Theorie der bildenden 
Kunst", von der niemand etwas wissen 
will, hat nachhaltigen Einfluft auf Cle- 
mentschitsch ausgeübt. Er hat diese 
Theorie auf seine eigene Arbeit ange- 
wendet und seine Schüler darin unter- 
richtet. Sie stellt nichts weniger als 
eine ,.Schule des Sehens" dar, die 
Clementschitsch selbst absolviert und 
durch eigene Erfahrungen und Er- 
kenntnisse bereichert hat. Sie verpönt 
alles "bloß Sensationelle". Es dürfte 
zum Teil auf sie zurückzuführen sein. 
daß Clementschitsch in der Kunst den 
Charakter einer ..deutlich wahrnehm- 
baren Zeitlosigkeit" zu definieren und 
zu gestalten sucht. Jedenfalls hat er 
sein Handwerk stets theoretischen Klar- 
stellungen unterworfen. So unterscheidet 
er die Technik. als das Geistige 
Kunst. vom Inhalt und von der l 
schaft, die er erweckt, als dem 
schert. Diese Dinge und A 
sind gleichwertig und müsser 
zum Zwecke der Vollkommenhc 
Waage halten. Wieweit das in 
Schaffen der Fall ist. Iäßt er dahin 
sein. Er glaubt der Arbeit, alsi 
Geistigen, vor dem Emotionelle 
Vorzug gegeben zu haben. 
Ich kenne Clementschitsch seit lc 
ich habe in den ersten Jahrer 
dem Krieg, als der Alkohol no 
war, die längsten und gefährl 
Tage und Nächte meines Lebe 
ihm verbracht. Wir waren fast 
unterwegs. die ersten und die l 
von Ort zu Ort, von einem Lo 
andere. 
Er steht heute wie damals vor I 
Hut und Mantel. mit breni 
Zigarette, den Stock in der Ha 
ist er uns. mit gespielter Reservi 
ausgegangen, wie einer. der es gi 
ist, durch offene Türen zu geht 
bei seinem Herannahen aufspi 
Dabei war sein Sinn nach einen 
gerichtet. das ihm vorschwebte. 
dem Bilde eines nackten V 
..verboten, traumhaft. zwei zu vie 
Er folgte der "Wahrheit". die dil 
unter der Gestalt eines nackten l 
allegorisiert haben. 
Clementschitsch ist ein Advoki 
"Triebgetreuen", wie er das 
ein philosophischer Zyniker. pr 
schlicht wie ein Naturkind. 
Erscheinung zog aller Augen Cli 
aber er konnte .,ungemütlich" vi 
denn plötzlich war ihm die Zi 
lichkeit der Leute, die er selbst l 
gefordert hatte. unerträglich. Da 
es oft Streit, Schlägerei. polizi 
Einschreiten, manchmal auch Art 
Am nächsten Tage ging es aber 
durch Stadt und Land. und di 
samsten Gespräche erneuerten si 
eindrucksvollsten waren zuletzt 
endlosen Selbstgespräche, unnacl 
zwischen apathischem Gemurm- 
renitenter Lautstärke schwanke 
trieb es bis zum Exzeß; das Auffi 
daran war eine eigene Würd 
Wohlerzogenheit. die immer 
zum Vorschein kamen und ihn 
zeichnen. 
DIREKTIONSWECHSEL AN WIENER 
MUSEEN 
MiI Jahresende gingen der Direklor des 
Kunslhislorischen Museums. Uniw-Prolessor 
Dr. Eduard Holzmair. und der Direklor des 
Ösierreichischen Museums für angewandte 
Kunsi. Dr. Viklor Grießmaier. in den Ruhe- 
sland. 
Am Kunsthisiorischen Museum lriii die Nach- 
folge der bisherige Direktor der Sammlung 
von hisiarischen Prunk- und Gebrauchswagen 
(Wagenburg). Dr. Erwin Maria Auer. an. 
Am Oslerreichischen Museum für cngewandle 
Kunsl lolgi in der Direklion Kuslas Dr. Wilr 
helm Mrazek. der Leiler der Abieilungen 
Glas. Porzellan und Keramik sowie Chef- 
redakieur der Zeilschrill "Alle und moderne 
Kunsl". 
Dr. lgnaz Schlosser. der ehemalige Direklor 
des Öslerreichischen Museums für angewandie 
Kunsl. den wir auch zu unseren Milarbeilern 
liihlen dürfen. feierle vor kurzem seinen 
75. Geburislag. Die Redaklion beglück- 
wünschl den Jubilar, der diesen Tag in voller 
Frische und Gesurdheil begehen konrile. 
Die Wiener u ihre Museen 
Das Bundsmi erium (Dr UnIerrichi gibi 
bekarinl. duß in den ihm unlerslehenden 
Siaallichen Kunslsammlungen und Museen in 
den Monalen Oklober 1967 91.883 und Nur 
vember1967 60.549 Besucher gezühli wurden. 
50 
 
nJOSEPH M. OLBRICH 186741908" -- 
DAS WERK DES ARCHITEKTEN 
Hessisches Landesmuseum Darmsladi, 
15.12.1967?10.3.1966 
Die Ausslellung wurde vom Hessischen 
Landesmuseum Darmsladl zusammen mil 
der Kunslbiblialhek der Siaallichen Museen 
Berlin zum 100. Geburislag des Künstlers 
seil langem vorbereilei. 
Joseph M. Olbrich zahl! ZU den wichligslen 
Archiieklen des Jugendslils. Aus dem Kreis 
der Wiener Secession kommend. deren 
Ausslellungsgebüude er 1398 gschaffen halle. 
wurde er ein Jdhr spüier nach Darmsicidl 
berufen. Seinem Wirken als Archilekl und 
Fnrmgesiciller. als Miibegründer der Darm- 
slädler Künsllerkolonie. deren erste Aus- 
slellung 1901 ..Ein Dokumeni Deulscher 
Kunsl" großes Aufsehen erregle. verddnkl 
Darmsladl. daß es um 1900 zu einem inle - 
nalionalen Millelpunkl künsllerischen Scha- 
iens wurde. _Z_um ersien Male wird nun ein 
umfassender Uberblick über das Gesamiwerk 
des früh verslorbenen Künsllers gegeben: 
geleigl werden neben Archilekiurleiehnungen 
und Enlwurfen für Zier- und Gebrauchs- 
gegensiünde auch Beispiele iypdgraphischer 
Geslallung. Möbel (kamplelle Innenein- 
richiungen), Schmuck. Textilien und Tisch- 
geröl. 
STAATSPREISE FÜR GUTE FORM 
Die anläßlich der driilen öslerreichischen 
Produklschuu im Ösierreichischen Design 
Cenlre vom Bundesminislerium für Handel. 
Gewerbe und IndusIrie verliehenen Slaals- 
preise. Ehrenpreise und Anerkennungen fur 
gule Form wurden im vergangenen Oklnber 
den Preisirägern im Palais Liechlensiein 
übergeben. Einen Slaalspreis erhiell die 
Firma Dr. Konrad Burg für einen Toasigrill, 
den Ernst W. Bercinek eniworlen hal. Mii 
einem zweilen Siaaispreis wurde die Firma 
ALPLA-Werke, Alwin Lehner OHG.. Hard 
Vorarlberg. für eine Kunslsioffverpackung 
nach dem Enlwurl von Max Schmid bedachl. 
Weilers wurden noch 3 Ehrenpreise und 
10 Anerkennungen verliehen. 
ÖSTERREICHISCHES KULTURINSTI- 
TUT IN ROM GEDENKT FLORENZ 
Das Öslerreichische Kullurinsiilul in Rom, 
das sich um den öslerreichischen Einsatz für 
die Wiedergulmachung der Schäden dn den 
Kunsl- und Kuliurgüiern während der 
Uberschwemmungskalaslrophe im November 
1966 besonders verdient gemachi hal, ver- 
anslaliel zur zeii, gemeinsam mit dem Cencre 
lialiano Diffusione Arie von Florenz (lialie- 
nisches Zenlrum zur Verbreilung der Kunsl), 
eine Ausstellung zeiigenössischer öslerreichi- 
scher Druckgraphik in Rom. Bei den 
nalen handeli es sich um Werke ösis 
scher Künsiler. die durch die Inilicil 
öslerreichischen Bildhauerin und Grai 
Eva Mazzucco Iür das llalienische I 
zur Verbreilung der Kunsl. das wühr 
Hochwasserkalasirophe schwer ge: 
wurde. gespendel worden sind. 
Von den elwa ZOO Werken wurde 
ein wesenllicher Teil verkaufl. De 
komml dem genannlen Zenlrum 
Auch bei der Eröffnung in Rom, l 
Dr. Hans Walser in Verlrelung de 
reichischen Bolschailers in llalien 
Professoren der Akademie der bi 
Künsie in Rom, Galeriebesilzer und 
lisien ebenso wie Kunslfreunde und I 
anwesend waren. wurden bereils 
von Herber! Breiler. Michael Coudi 
Kalergi. Alfred Czerny. Georg R 
Ferne. Ernsl Fuchs und Kuri Regsch 
kau I. 
VERLON IN CHAMPIGNY BEI Pi 
Vorn 1. bis 17. Dezember 1967 I7 
Großen Aussiellungssaal des Kullurz 
von Champigny sur Marne (bei Po 
ersle Reirospeklive des öslerreichisch 
lers Andre Verlon sIaII. 
Sie umfaßl SO meisl großformdlige l 
und Collagen aus den Jahren 195 
zum Thema "Menschliche Siluaiion"
	        
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