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Volltext: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild: Tirol und Vorarlberg

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städte, der helvetischen Orte Appenzells und Bündens verliehen dem Vorarlberger 
Selbstbewußtsein und dadurch ein ungezwungenes Benehmen im Verkehr mit Höheren, 
das er bis heute bewahrt hat. Nehmen wir noch die fortschrittlich betriebeneLandwirthschaft 
und die mächtig herangewachsene Industrie, so erklärt es sich, daß das Ländchen schon ans 
manchen aufmerksamen Beobachter fast den Eindruck eines Cantons der Schweiz machte. 
Wie jenseits des Rheins behauptet auch diesseits der Verstand ein gewisses Übergewicht 
über das Gemüth. Man rühmt immer die schnelle Auffassung und das anstellige Geschick 
des Vorarlbergers. Das Ländchen hat viele Mechaniker und Baumeister, auch namhafte 
Bildhauer und Maler, aber nur wenige Dichter und eine noch geringere Zahl von Ton 
künstlern hervorgebracht. Des Vorarlbergers Fleiß und Betriebsamkeit verdienen alles 
Lob; doch tritt die hohe Bewerthung von Erwerb und Besitz manchmal sehr einseitig 
hervor. Dem ansgebildeten Verstände entspringen kritische Erwägung und scharfes Urtheil. 
Seine Meinungen kleidet der Vorarlberger leicht und gern in Worte, daher ist er ein Freund 
munterer Unterhaltung und weiß dieselbe durch treffenden Witz und beißenden Spott zu 
würzen; es artet aber seine Beredtsamkeit nicht selten in Redseligkeit, seine Hänselei in 
Streitsucht ans. Sein Selbstbewußtsein steigert sich wohl zur Eitelkeit, seine Vorliebe für 
die Heimat bekommt den Beigeschmack des Kantönligeistes. Der Sinn des Volkes für 
Gerechtigkeit und Billigkeit und für edle Wohlthütigkeit hat sich oft bewährt. Wenn in den 
Jndustriebezirken Hang zum Wohlleben und Aufwand sich zeigt, so finden wir hingegen 
wieder Sinn für echte Häuslichkeit, für ein behagliches Heim und rühmliche Pflege der 
Reinlichkeit. Diese letztere tritt namentlich in Mittelberg, im Bregenzerwalde, auf dem 
Tannberg und im Montavon hervor. Des Vorarlbergers Vaterlandsliebe hat sich im 
Laufe der Jahrhunderte glänzend bewiesen. Aufrichtige religiöse Gesinnung finden wir 
zumal in den hohen Thälern — „da dreht sich Alles um Gottesdienst und Tageswerk", 
wie schon Ludwig Steub bemerkt. 
Die Bewohner der einzelnen Landestheile zeigen besondere Eigenschaften. Im 
unteren Rheinthal finden wir mehr Lebenslust, mehr Freude an Sang und Klang, mehr 
Gemächlichkeit als im oberen. Der Vorderwälder gibt sich offener und mittheilsamer als 
der Hinterwälder, der bedächtiger und verschlossener seine Wege geht. Außerhalb seiner 
Marken gilt der Wälder als stolz, aber auch als vorsichtig und stark beeinflußt vom Willen 
der Gattin. Dagegen sagt der Mittelberger: „As kitzle Schnaps und as kitzle Wiberroth 
(Weiberrath) ist guot, aber ja vo keim Theil z'viel." Der Mittelberger ist selbstbewußt, 
gastfreundlich und wohlthätig; wie seinem Vetter im oberen Walserthal ward ihm viel 
Mutterwitz verliehen, den er in „Walserreden" äußert. Den Walsern wird überhaupt 
Schlauheit zugeschrieben, noch mehr den Montavonern. Sparsamkeit, Fleiß und Ehrliebe 
sind Haupttugenden der letzteren. Die Wanderlust der Vorarlberger zu geschäftlichen
	        
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