Suite steht angelehnt an einen Spiegel. Die
Gräfin scheint also nicht nur im Ausland
Kunstwerke gekauft und mitgenommen zu
haben A so die vielen Bilder westlicher
Provenienz im Petersburger roten Salon
und die Christusbüste von Canova im
Schlafzimmer -, sie dürfte auch viele ihrer
Lieblingsgegenstände auf ihre Reisen mit-
genommen haben, um sie nicht so lange
entbehren zu müssen. Sehr ausgeprägt ist
der Wunsch nach Wohnlichkeit und Ge-
mütlichkeit; sogar in den Repräsentations-
räumen gibt es überall weiche Teppiche
und bequeme Sitzecken mit runden, von
großen, weichen Tischdecken bedeckten
Tischen. Auf den meisten liegen einige
oder viele Bücher; im roten Kabinett fällt
die als Lampe montierte Vase aus russischem
Malachit mit vergoldeten Bronzen auf. Und,
wohl in Erinnerung an die Zeiten von
Petrowsko-Rasumovskoje: überall, in allen
Räumen, ein Überquellen von Blumen und
GrünpHanzen, die in manchen an und für
sich bereits vollgeräumten Zimmern die
Bewegungsfreiheit eingeschränkt haben
müssen. Die Vorherrschaft der PHanzen
geht am weitesten im Salon des Landhauses
in Peterhof, der in einen Wintergarten
übergeht, aus dem eine Glastür direkt in
den Park führt. Die Grenze zwischen drin-
nen und draußen, zwischen umhegtem
Raum - symbolisch als Zelt gestaltet -
und grüner Unendlichkeit ist hier aufge-
hoben i man könnte sich vorstellen, claß
dieses Haus im Norden aus Sehnsucht nach
dem sonnigen Süden und in Erinnerung
an die Feste in italienischen Sommernächten
entstanden ist.
Vom Schlafzimmer, in dunklem Grün
gehalten, gibt es zwei Ansichten. Hier sind
am auffälligsten der bereits erwähnte
Christuskopf von Canova, eine große
Ikone, vor der eine Lampada brennt, und
einige Familienporträts, von denen eines
wahrscheinlich ihren Schwiegervater, den
Hetman Rasumovsky, darstellt. Sehr prunk-
voll ist auch das musselin-vcrkleidete Bade-
zimmer mit Alabasterfiguren, einem weichen
Kanapee, einem Toilettetisch mit silberner
Toilettegarnitur und dem von einem rö-
mischen Sarkophag kopierten Bad im
Hintergrund, das ein Vorhang abschloß.
Der Lieblingsraum der Gräfin war aber
ohne Zweifel der rote Salon. Dort wurde
sie auch von Premazzi bei einer Karten-
partie mit dem ältesten und treuesten
Familienfreund vieler Jahrzehnte, dem
Grafen Ribeaupierre, verewigt. Und ganz
zum Schluß ihres Lebens hat der rote Salon
noch einmal eine wichtige Rolle gespielt:
Als die alte Dame 1865 erkrankte und nicht
mehr aufstehen konnte, wurde dort mit
ausdrücklicher Erlaubnis des Kaisers eine
behelfsmäßige Kirche eingerichtet, in der
ieden Sonntag die Messe gelesen wurde,
wie Marie Nasimol? berichtet. Sie fügt
hinzu: „Das brachte uns einen neuerlichen
Zustrom von Menschen, es wurde ein
neuer Versammlungspunkt für Freunde
und Neugierige."
Gräfin Maria Grigorjewna Rasumofsky
starb am 9. August 1865 im Alter von
93 Jahren. Sie wurde an der Seite ihres
Mannes im Donskoj-Kloster in Moskau
beigesetzt. Das Grab existiert heute noch;
die rote Porphyrtafel mit der Aufschrift,
die erst kurz vor dem ersten Weltkrieg
erneuert wurde, ist allerdings dem Bilder-
sturm nach 1918 zum Opfer gefallen. Aber
wenn auch Tafeln entfernt werden können,
so bleibt doch ein unzerstörbares Denkmal:
die Dankbarkeit der Nachkommen. Denn
die schrullige alte Dame, die anscheinend
nur ihre Unterhaltungen im Kopf hatte,
half still und unauffällig Dutzenden von
Verwandten und Freunden und hat dadurch
viele ihrer NeEen und Nichten so beein-
fiußt, daß aus ihnen ordentliche Menschen
geworden sind.
Salon mit Wintergarten
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