Bruno Thomas
DIE NEUE KONZEPTION
DER WIENER
WAFFENSAMMLUNG -
LEIBRÜSTKAMMER UND
HOFJAGDKAMMER
Der Österreicher hat gewiß nicht die Ver-
anlagung, von sich und seinen Leistungen
in Superlativen zu sprechen. Er ist viel zu
skeptisch, kritisch und sclbstironisch ge-
boren, um sich leichthin „das Schönste,
das Größte, das Beste" auf diesem oder
jenem Gebiet zuzuschreiben. (Natürlich
liebt er manche Dinge um sich herum und
läßt sie von anderen gar nicht gern kriti-
sieren. Aber das steht auf einem anderen
Blatt.)
Aus dieser Veranlagung heraus sprechen
gerade Österreicher, zum Teil bis in die
letzte Zeit, von der Wiener Waffensamm-
lung des Kunsthistorischen Museums in der
Neuen Burg als i der zweitgrößten in der
Welt. Damit aber tun sie diesem Monument
verklungener geschichtlicher Größe und
überlegenen Kunstvcrständnisses der öster-
reichischen Habsburger unrecht. Grund
dafür ist die ebenso ehrfürchtige wie nebel-
hafte Vorstellung, daß Wien von der
spanisch-habsburgischen Real Armeria in
Madrid übertroffen werde. Der hohe Ruf
dieser „Königlichen Rüstkammer" knüpft
sich an die Person des einzigen Kaisers auf
dem spanischen Königsthron, an den Habs-
burger Karl V.
Der Name Charles-Quint überragt aller-
dings, vor allem im Westen Europas, an
Nachruhm entschieden den aller anderen
Habsburger. Sicherlich ist sein Kunst-
empiinden über jeden Zweifel erhaben.
Seine Madrider Harnische sind ein einzig-
artiges Vermächtnis, seine Handfeuer-
waffen desgleichen. Aber ist sein öster-
reichischer Großvater, der „Letzte Ritter",
als Mäzen der Prunkwaffe nicht noch
bedeutender? Ist Maximilians I. riesiges
spätgotisch-rcnaissancemäßiges Waffcnerbe,
das zum weitaus überwiegenden Teil in
Wien bewahrt wird, in seiner Art nicht
zumindest ebenso bewundernswert wie die
Prunkwaifen seines Enkels in Madrid? In
vier zum Teil riesigen Sälen sind in Wien
die Waffen aus der Zeit Maximilians I.
und seiner Vorfahren zusammengefaßt. In
Madrid findet das Entsprechende in einer
Zimmerecke Platz. Ist nicht das ganze
16. Jahrhundert in Wien unvergleichlich
vielfältiger vertreten? Ist nicht die Jagd-
sammlung um ein mehrfaches umfang-
reicher und umfassender?
Ein Vergleich mit den verwandten Samm-
lungen höchsten Ranges hätte jeweils Saal
für Saal, Bestand für Bestand, womöglich
Stück für Stück zu erfolgen. Dies war in
Wien allerdings, wie zugegeben werden
muß, dem Publikum gleichwie den Fach-
leuten kaum möglich. Zu viele Objekte der
durch wiederholte Zusammenschlüsse im
Laufe von Jahrhunderten immer mehr an-
gewachsenen Sammlung waren wegen
Platzmangels in die Depots verbannt.
Schwierigkeiten technischer und budge-
tärer Natur stellten sich lange Jahre hin-
durch einer systematischen Schaubar-
machung und damit dem ernsthaften
internationalen Vergleich unserer Schätze
entgegen.