liehen her selbstverständlich nicht in die
Waagschale geworfen werden durfte, er-
leichterte es doch den Verteidigern des
bestehenden Rathauses sehr, sich für die
von ihnen als gut erkannte Sache einzu-
setzen.
So kam es am 24. April 1966 zum Beschluß
des Grazer Gemeinderates, zum Problem
der Gestaltung der Grazcr Rathausfassade
eine Volksbefragung zu veranstalten, die
am 4. Juli 1966 begann und zu einem
überwältigenden Votum (8300) für die
Beibehaltung der bestehenden Fassade
führte. Mitte Februar 1967 konnten die
Instandsetzungsarbeiten in Angriff ge-
nommen werden, und am 25. Oktober d.
kam es zum eingangs erwähnten Festakt.
Das Grazer Rathaus ist das Werk zweier
Wiener Ringstraßen-Architekten namens
Alexander Wiielemans Edler von Munte-
forte und Theodor Reuter. Wielemans, der
eigentliche geistige Vater des Grazer Rat-
hausbaues, war 1843 in Wien geboren
worden und lernte bei den Erbauern der
Wiener Staatsoper, Van der Nüll und
Siccardsburg. Später arbeitete Wielemans
im Atelier von Friedrich Schmidt, dem
Schöpfer des Wiener Rathauses. 1888
wurde er Ehrenmitglied der XViener Aka-
demie, 1911 starb er in Dornbach in
Kärnten. Sein Hauptwerk in Wien ist der
1874-1881 erbaute justizpalasr, der 1927
ausbrannte und in veränderter Form wieder-
hergestellt wurde. In Wien gehen weiters
zwei Kirchenbauten (Breitenfelderkirche,
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Neu-Ottakringer Kirche) auf ihn zurück, in
Graz errichtete er das „Civil-j ustizgebäude",
in Innsbruck den Rcdoutensaal. XVielcitians
kann alsn als typischer Vertreter des
Wiener Ringstraßenstils in seiner Endphase
angesehen werden. Der Auftrag war ihm
und seinem Mitarbeiter Reuter auf Grund
eines Wettbewerbs zugewiesen worden, an
dem auch der damals schon weltbekannte
Grazer Architekt Georg Hauberrisser d.
teilgenommen hatte, dessen bekanntestes
Werk das hIünchner Rathaus ist. Hatte
Hauberrisser einen Bau geplant (Abb. 2),
der gemäß den national-liberalen Tendenzen
jener Zeit eher einer „Ritterburg" denn
einem Rathaus glich, so waren Wielemans
und Reuter bemüht, sich durch Übernahme
zahlreicher dekorativer Details dem Cha-
rakter der Grazer Renaissance-Architektur
anzupassen. Am schwersten hatten Wiele-
mans und Reuter mit der im ]ahre 1887
vom Gemeinderat erlassenen „Ersparungs-
auflage" zu kämpfen, die die Architekten
zwang, die Hauptfassade des damals
80 Jahre alten, in spätjosephinischcn Formen
errichteten Rathausbaues von Christoph
Stadler in den Neubau zu übernehmen
(Abb. 3).
Wielemans und Reuter gliederten die be-
stehende Fassade mit einem mächtigen
Älittelrisaliten, der den Gemeinderats-
Sitzungssaal aufnahm. Um der dadurch
entstandenen Unterbrechung der Horizon-
talen ein Gegengewicht entgegenzusetzen,
wurde der Mittelrisalit mit einem Ober-
geschoß und einer mächtigen Kuppel über-
höht, während über den Eckcn der Haupt-
fassade des Rathauses kleinere übcrkuppelte
Geschosse errichtet wurden (Abb. 4).
Trotzdem gelang es nicht, den Mittel-
risaliten mit den bestehenden Fassaden-
elementen zu einer Einheit zu verbinden.
Auf diese Tatsache war bereits in einem
Artikel hingewiesen worden, der am 20.
und 21. jänner 1887 in der „Grazer Tages-
post" vom Polytechnischen Club ver-
ölfentlicht wurde. Schon damals war man
sich über die Tatsache im klaren, daß das
Proportionsgefühl des späten 19. Jahr-
hunderts von dem des frühen 19. lahr-
hunderts erheblich abwich. In diesem nicht
mehr zu beseitigenden Mangel ist sicherlich
ein erster Anhaltspunkt für die sofort ein-
setzende Kritik am Rathausbau zu suchen.
Weiters ist zu bedenken, daß das Grazcr
Rathaus in seiner letzten Fassung wohl das
späteste Werk des Historismus in Österreich
überhaupt ist. Seine dekorativen Elemente
zeigen unzweifelhaft Züge von Vcrwilrle-
rung, vor allem muß aber bedacht werden,
daß die neue Architektengencrarion, die
unter der Führung Otto Wagners heran-
gewachsen war und [Juristischen Zielen
zustrebte, an dem eben vollendeten Bau
keine Freude finden konnte. Diese puti-
stiscbe Gesinnung erreichte im Zeitalter
eines Adolf Loos ihren Höhepunkt, so daß
Rudolf Hans Bartsch in der Grazer „Tages-
post" vorn 24. April 1929 das Rathaus als
„billig, schlecht, schwindelhaft und haß-