saum emporhält und sich gesprächsweise
einer Dame zuwendet, besonders auf.
Niemand blickt aus dem Bildrahmen her-
aus. Alle Beteiligten sind auf das wunder-
bare Ereignis konzentriert, wodurch das
Bild nicht nur dramatische Spannung erhält,
sondern auch inhaltlich streng geschlossen
bleibt. Obwohl die Hauptpersonen dyna-
mische Aussagekraft besitzen, fallt es auf,
daß ihr Gesichtsausdruck fast unbewegt ist.
Bei den Kirchenbildern war Tintoretto der
Inhalt wichtiger als die Form und er
sublimierte das Thema ins Geistige; er
wollte in Bildern etwas tief Religiöses
aussagen. Auch das Agnes-Bild will mehr
vermitteln als die legendäre Erzählung: es
soll die Lehre von der Wirkung des ver-
trauensvollen Gebetes vertiefen.
Die sparsame Aufteilung des Raumes gibt
dem Bild etwas Großartiges. Das Prinzip
des Ineinander von räumlicher und figuraler
Komposition, das von Tintoretto in gran-
dioser Weise beherrscht wurde, meldet sich
in der Form an, daß die Hauptpersonen
in einem zum Beschauer hin offenen Ring
angeordnet sind, wodurch, trotz der vor-
herrschend flachigen Bildauffassung, die
raumgreifende Tiefenwirkung später Tinto-
retto-Bilder vorweggenommen wird.
Der optische, nicht der geometrische Flucht-
punkt der handelnden Personen liegt beim
Betrachter. Somit also in den Kreis der
Beteiligten miteinbezogen, soll so der Be-
trachtet von dem Wunder ebenfalls ergriffen
werden. Hingegen weisen die Fluchtpunkte
der hinteren und oberen Bildzone in nicht
zu sehende Tiefcnraume außerhalb des
Bildes. Es ist eine Eigenart Tintorettos,
die Komposition über das Bild hinaus zu
erweitern.
Kein noch so kompliziertes Bewegungs-
motiv hat Tintoretto je Schwierigkeiten
bereitet. Wundervoll ist die Art, in der die
Engel fliegen. Besondere Genialität liegt
in den raschen Verkiirzungen bei dem
senkrechten Flug durch die Lüfte.
Die mit dem Kopf nach unten stützende
Figur ist eine charakteristische Ernndung
Tintorettos, die zum Beispiel Tizian in
seinem Perseus- und Andromeda-Bild (1555)
übernommen hat. Wir wissen von Ridolfl,
daß Tintoretto sich, um diese Flüge zeichnen
zu können, kleiner an Faden aufgehängtet
Modelle bediente.
Die Farben der Skizze entsprechen nicht der
Leuchtkraft der Farben auf dem ausge-
führten Bild. Das Kolorit der Skizze ist in
einem tonigen Licht gehalten und auf eine
warme, goldbraun durchwirkte Farben-
harmonie abgestimmt. Diesen unverkennbar
Tizianischen Einfluß hat Tintoretto bei der
Ausführung aufgegeben. Das ist kein
Mangel, sondern könnte durchaus auf
Absicht beruhen. Die Figuren sind die
Träger der Farben. Trotz der buntfarbigen
Figurenverflechtung ist eine Mäßigung der
Farbabstufungen zu beobachten. Selbst in
den Schattenbcrcichen herrscht noch trans-
parente Helle. Von der überaus effektvollen
Lichtwirkung der schimmernden Gestalt
der heiligen Agnes ist auf der Skizze aller-
dings recht wenig zu spüren. Sämtliche
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