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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIII (1968 / Heft 97)

saum emporhält und sich gesprächsweise 
einer Dame zuwendet, besonders auf. 
Niemand blickt aus dem Bildrahmen her- 
aus. Alle Beteiligten sind auf das wunder- 
bare Ereignis konzentriert, wodurch das 
Bild nicht nur dramatische Spannung erhält, 
sondern auch inhaltlich streng geschlossen 
bleibt. Obwohl die Hauptpersonen dyna- 
mische Aussagekraft besitzen, fallt es auf, 
daß ihr Gesichtsausdruck fast unbewegt ist. 
Bei den Kirchenbildern war Tintoretto der 
Inhalt wichtiger als die Form und er 
sublimierte das Thema ins Geistige; er 
wollte in Bildern etwas tief Religiöses 
aussagen. Auch das Agnes-Bild will mehr 
vermitteln als die legendäre Erzählung: es 
soll die Lehre von der Wirkung des ver- 
trauensvollen Gebetes vertiefen. 
Die sparsame Aufteilung des Raumes gibt 
dem Bild etwas Großartiges. Das Prinzip 
des Ineinander von räumlicher und figuraler 
Komposition, das von Tintoretto in gran- 
dioser Weise beherrscht wurde, meldet sich 
in der Form an, daß die Hauptpersonen 
in einem zum Beschauer hin offenen Ring 
angeordnet sind, wodurch, trotz der vor- 
herrschend flachigen Bildauffassung, die 
raumgreifende Tiefenwirkung später Tinto- 
retto-Bilder vorweggenommen wird. 
Der optische, nicht der geometrische Flucht- 
punkt der handelnden Personen liegt beim 
Betrachter. Somit also in den Kreis der 
Beteiligten miteinbezogen, soll so der Be- 
trachtet von dem Wunder ebenfalls ergriffen 
werden. Hingegen weisen die Fluchtpunkte 
der hinteren und oberen Bildzone in nicht 
zu sehende Tiefcnraume außerhalb des 
Bildes. Es ist eine Eigenart Tintorettos, 
die Komposition über das Bild hinaus zu 
erweitern. 
Kein noch so kompliziertes Bewegungs- 
motiv hat Tintoretto je Schwierigkeiten 
bereitet. Wundervoll ist die Art, in der die 
Engel fliegen. Besondere Genialität liegt 
in den raschen Verkiirzungen bei dem 
senkrechten Flug durch die Lüfte. 
Die mit dem Kopf nach unten stützende 
Figur ist eine charakteristische Ernndung 
Tintorettos, die zum Beispiel Tizian in 
seinem Perseus- und Andromeda-Bild (1555) 
übernommen hat. Wir wissen von Ridolfl, 
daß Tintoretto sich, um diese Flüge zeichnen 
zu können, kleiner an Faden aufgehängtet 
Modelle bediente. 
Die Farben der Skizze entsprechen nicht der 
Leuchtkraft der Farben auf dem ausge- 
führten Bild. Das Kolorit der Skizze ist in 
einem tonigen Licht gehalten und auf eine 
warme, goldbraun durchwirkte Farben- 
harmonie abgestimmt. Diesen unverkennbar 
Tizianischen Einfluß hat Tintoretto bei der 
Ausführung aufgegeben. Das ist kein 
Mangel, sondern könnte durchaus auf 
Absicht beruhen. Die Figuren sind die 
Träger der Farben. Trotz der buntfarbigen 
Figurenverflechtung ist eine Mäßigung der 
Farbabstufungen zu beobachten. Selbst in 
den Schattenbcrcichen herrscht noch trans- 
parente Helle. Von der überaus effektvollen 
Lichtwirkung der schimmernden Gestalt 
der heiligen Agnes ist auf der Skizze aller- 
dings recht wenig zu spüren. Sämtliche 
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