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der Bewohner des römischen Ufer-Noricum hervorgegangen ist. Hauptsächlich war es aber
der baierische Stamm, welcher sowohl vor dem Einbrüche der Avaren und Slaven als
auch nach der Vertreibung der ersteren die Grundlage für die Bildung der deutschen
Bevölkerung Niederösterreichs abgegeben hat.
Bezüglich dieses Verschmelzungsprocesses muß man berücksichtigen, daß derselbe
nicht dmchwegs ein gleichmäßiger sein konnte, weil die verschiedenen sich vereinigenden
Volkselemente nicht in gleicher Menge in den Bildnngsproceß eintraten. Die Verschiedenheit
spricht sich zunächst in der Kopfform aus und finden sich tatsächlich unter der heutigen
deutschen Bevölkerung Niederösterreichs die verschiedensten Kopfformen, rundlich ovale,
ebenso wie Breit- und Rundschädel, und zwar mit allen Zwischensormen und in Cvmbinativn
mit verschiedenen Gesichtsformen. Ob die ovale Form auf die gleiche, in den keltischen
Gräbern entdeckte Form zu beziehen sei, ist nicht zu entscheiden, sicher aber ist, daß sich
das verlängerte sehr schmale Ovale des Schädeldaches jener Schädel, welche in alt
germanischen Gräbern nördlich der Donau, namentlich in Oberhollabrunn und Stillfried
aufgedeckt worden sind, heutigestags in Niederösterreich nur als eine ausnahmsweise und
höchst seltene, daher auffällige Form wiederfindet.
Die Abkunft des niederösterreichischen deutschen Volkes rechtfertigt den Vergleich
mit den Baiern. Eine sorgfältig dnrchgeführte systematische Untersuchung der bäurischen
Bevölkerung hat ergeben, daß von 1000 Schädeln des altbaierischen Stammes 528 sich um
eine zwischen 80 bis 84 schwankende Verhältnißziffer der Länge (diese gleich 100
angenommen) zur Breite des Schädeldaches gruppiren. Mag dieser brachykephale Kopf-
thpus der heutigen Baiern wie immer aus der länglich ovalen Kopfform der alten
germanischen Stämme hervorgegangen sein, so ist er doch trotz seiner Räthselhaftigkeit
Thatsache.
Dieser Kopftypus findet sich auch allenthalben in Niederösterreich, jedoch nicht
gleichmäßig vertheilt. Wenn es nämlich gestattet ist, das vorliegende einheimische, aller
dings nicht sehr zahlreiche Materiale nach dieser Richtung hin zu verwerthen, so dürfte
sich die Annahme rechtfertigen lassen, daß unter den Bewohnern des Hochlandes vom
Waldviertel diese breite, mitunter bis zur Rnndköpfigkeit steigende Kopfform die Regel
ist, während sonst im Lande, besonders in der südlichen Zone, die ovale Kopfform mit
allen ihren Varietäten sich viel häufiger vorfindet. Daß sich die Bewohner des Wald
viertels durch eine breite Stirn- und Schädelbildung kennzeichnen, ist allgemein in der
Gegend bekannt, und weist diese häufig vorkommende Kopfform auf alte baierisch-sränkische
Colonien hin.
Wie die Kopfform so variirt auch die Größe des Schädels. Es wird für die
Gesammtheit des deutsch-österreichischen Stammes die Capacität des Schädels groß genug