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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIII (1968 / Heft 100)

 
Die Malerei und die Skulptur ist jelzt frei, denn 
jedermann darf heute allerlei Gebilde produzieren 
und nachher ausstellen. ln der Architektur besteht 
jedoch diese grundsätzliche Freiheit, die als Be- 
dingung jeder Kunst anzusehen ist. noch immer 
nicht. denn man muß erst ein Diplom haben. um 
bauen zu können. Warum? 
Jeder soll bauen können. und solange diese Bau- 
freiheil nicht existiert. kann man die gegenwärtige, 
geplante Architektur überhaupt nicht zur Kunst 
rechnen. 
Die Architektur unterliegt bei uns derselben 
Zensur wie die Malerei in der Sowjetunion. Was 
realisiert ist, sind einzeln dastehende erbärmliche 
Kompromisse von Linealmenschen mit schlechtem 
Gewissen! 
Man soll den Baugelüsten des einzelnen keine 
Hemmungen auferlegen! Jeder soll bauen können 
und bauen müssen und so die wirkliche Verant- 
wortung tragen für die vier Wände, in denen er 
wohnt. 
Es ist an der Zeit, daß die Leute selbst dagegen 
revoltieren, daß man sie in Schachtelkonslruk- 
tionen setzt. so wie die Hendeln und die Hasen 
in Küfigkonslruktionen, die ihnen wesensfremd 
sind. 
Der Mensch muß seine kritisch schöpferische 
Funktion wiedereinnehmen, die er verloren hat 
und ohne die er aufhört. als Mensch zu existieren. 
Um die funktionelle Architektur vor dem morali- 
schen Ruin zu retten, soll man auf die sauberen 
Gtaswönde und Betonglütten ein Zersetzung:- 
produkt gießen, damit sich dort der Schimmelpilz 
festsetzen kann. Es ist an der Zeit. daß die Industrie 
ihre fundamentale Mission erkennt. und die ist: 
Schöpferische Verschimmelung betreiben! 
Nur die Techniker und Wissenschaftler. die im- 
stande sind. im Schimmel zu leben und Schimmel 
schöpferisch zu erzeugen. werden die Herren von 
morgen sein. Und erst nach der schöpferischen 
Verschimmelung. von der wir viel zu lernen 
haben. wird eine neue und wunderbare Archi- 
tektur entstehen. 
(Aus dem ,.verschimmetungs-manifest 
gegen den rationatismus in der archi- 
tektur". Das Manifest wurde erstmals 
in der Abtei Seckau am 4.Juli 1958 
verlesen. In einer Auflage von drei- 
hundert signierten und numerierten 
Exemplaren erschien es noch im selben 
Jahr als Schrift der Galerie Renate 
Boukes im Verlag Reinhard Kaufmann. 
MainzeWeisenau.) 
SV 
Meiner Überzeugung nach ist der Mensch von drei 
Architekturenschichten umgeben: Von der Haut, 
von der Kleidung und vom Gebäude. Kleidung 
und Gebäude haben ene Entwicklung in den 
letzten Jahrhunderten genommen. die nicht mehr 
der Naturund den Bedürfnissen des Einzelmenschen 
entsprechen. Im Zuge der Vermessung der Gesell- 
schaft wird dem einzelnen das Unangemessene 
aufgezwungen. Dem Protest gegen diese Umstände 
auf dem Gebiet der Architektur diente die Farb- 
demonstration; dem Protest gegen die Vergewalti- 
gung durch die Kleidung diente die Entkleidung. 
So sollte jetzt das nackte, naturbelassene Indi- 
viduum als Verkünder des Protestes statuierl und 
der korrigierten Architektur an die Seite gestellt 
werden. 
lch hatte keinesfalls die Absicht. irgend jemand 
unter den Gästen, insbesondere nicht Frau Dok- 
tor Sandner. zu beleidigen oder zu brüskieren. 
Für die Unverlünglichkeit meiner Vorgangsweise 
dient mir als Alibi Franz von Assissi, der ebenfalls 
in der Öffentlichkeit (auch in der Kirche) nackt 
auftrat und damit die Loslösung von sämtlichen 
weltlichen Gütern demonstrieren wollte. 
(Hundertwasser im Polizeiprotokoll. 
das am 26.Jünner 1968. also einen 
Tag nach seinem Architekturpratesl im 
Internationalen Studentenheim der Stadt 
Wien. in Wien aufgenommen wurde) 
 
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