Schon König Karl Robert oder Charobert
berief Goldschmiede aus Neapel nach
Ungarn: die Brüder Petrus Gallicus und
Nicolaus. Sie gehörten wohl noch zur
ersten, besonders von Karl ll. dem Hin-
kenden berufenen französischen Künstler-
kolonie, wie die Architekten des Castel
Nuovo und der vielen gotischen Kirchen
Neapels, wie auch die Goldschmiede, denen
der Auftrag für das Büstcnrcliquiar des
hl. januarius übertragen wurde und denen
höchstwahrscheinlich auch das prachtvolle
Standkreuz in San Nicola zu Bari zuzu-
schreiben ist.
Petrus Gallicus war königlicher Siegel-
schneider und muß in vielen Aufträgen
seinen Gönner so befriedigt haben, daß
dieser ihn nach und nach mit Gütern be-
lehnte, adelte und endlich zum Vizebefehls-
haber von Szepes und Lublo ernannteQ.
Sein Bruder Nicolaus Gallicus, ebenfalls
als Goldschmied tätig, wurde erst Kom-
mandeur und Vizekastellan des Amts-
bezirkes Szepesseg, dann Oberkomman-
deur im Jahre 1336.
Schon vor diesem Datum war ein anderer
Goldschmied aus Neapel zugezogen, mög-
licherweise wohl eher berufen worden:
Meister Pietro di Simone aus Siena. Auch
er sollte, im wörtlichen Sinne, goldenen
Boden für seine Arbeiten Enden, von
denen viele sich noch nachweisen lassen.
Auch am Hofe Ludwigs des Großen muß
er tätig gewesen sein, die bereits weiter
oben erwähnten Geschenke dieses Königs,
die ausgesprochen sienesische und neapoli-
tanische Formeigenrümlichkcitcn zeigen,
weisen darauf hin. Eine schon seil: langer
Zeit bekannte Urkunde, gegeben zu Visze-
grad am V. Tage nach Palmsonntag des
Jahres 1331 - ausgerechnet an einem Kar-
freitag -, nennt Pietro di Simone von
Siena „fidelis aurifaber noster", tituliert ihn
als „Vice-Comes et Castellanus Scepu-
siensis" und belehnt ihn mit dem Gute
jemnik. Als sein besonderes Verdienst wird
die Herstellung des neuen goldenen Königs-
siegels genannt w.
Aus diesen Zeugnissen ergibt sich klar,
daß es damals in Ungarn keine wirklich
fähigen Goldschmiede gegeben hat. Oder:
daß die mit dem raffinierten Luxus des
Neapler Hofes vertrauten Charobert und
Ludwig dem Stil der sich damals konsoli-
dierenden „Europäischen Gotik" nicht ent-
sagen, sondern ihn womöglich noch ver-
feinern wollten.
Daß ihnen das gelungen ist, dafür zeugen
einmal das bisher völlig verkannte „Strau-
Ben-Reliquiar" in San Costanzo zu Capri
auf der Insel Capri, ferner das jetzt im
Cloister-Museum in New York aufgestellte
Klappaltärchen der Königin Elisabeth von
Ungarn, das man als Pariser Werk erklärt,
obwohl keinerlei besondere Beziehungen
zwischen dem Hofe der Anjou Ungarns
und dem französischen Königshof nach-
weisbar sind.
Das „Straußen-Reliquiar" - zwei Vögel
stützen mit den Hälsen das Reliquien-
gehäuse und halten in den Schnäbeln eine
Schildkröte und eine Landschnecke - ist
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am Hofe Ludwig des Großen ausgeführt
worden und wurde von ihm der Bischofs-
kirche zu Capri gestiftet. Die Capreser
stellten den wichtigsten Teil der Arbeiter
des Kriegsarsenals der Aniou! Als SchiHs-
zimmerleute und Kalfaterer waren sie von
Johann I. mit Privilegien aller Art bedacht
worden und sollten auch durch dieses
Reliquiar bei guter Laune gehalten wer-
denll. Das Flügelaltärchen ist zwar schon
einmal publiziert worden, aber eben mit
der irrigen Zuweisung an eine Pariser Werk-
stätte; was übrigens auch mit dem Reli-
quiar in Capri geschehen ist, mit dem es
viel Formverwandtschaften aufweist.
Es ergibt sich so fast von selbst, daß als
Hersteller des Zierates auf dem „Schatz-
kammerbild" zu Mariazell kaum ein anderer
Meister in Betracht kommt als eben Pietro
di Simone aus Siena w dem ich auch das
„Straußen-Reliquiar" in Capri zugeschrie-
ben wissen möchte. 7
Bei der Aufzählung der heraldischen Zei-
chen ist der Allianzwappen Ungarn-Anjou
und des Apostolischen Kreuzes bereits
Erwähnung getan worden. Die Anwesen-
heit des königlichen Wappen Polens erklärt
sich aus der Personalunion, die 1370 ein-
trat. Durch dieses polnische Wappen so-
wohl auf dem Rahmen des „Schatzkam-
merbildes" als auch auf den Umrahmungen
der Gemälde in Aachen ist für die Datierung
dieser Edelmetall- und Schmelzarbeiten ein
„Terminus post quern" gewonnen: ein für
die ungarisch-polnische Königsgeschichte
so bedeutsames Ereignis mußte so bald
wie möglich seinen künstlerischen Aus-
druck Bnden. Ich bin daher überzeugt,
daß bald nach 1370 dieses dem König
besonders teure Bild den abschließenden
Dekor erhielt. -
Es bleibt nun noch etwas über die Dar-
stellung des Vogels Strauß zu sagen. Der
seinerzeit so verdienstvolle Forscher mittel-
alterlicher Goldschnliedekunst, der Aache-
ner Domherr Dr. Franz Bock, konnte aus
der ungarischen Königschronik die inter-
essante Nachricht schöpfen, daß König
Charobert in seiner Menagerie auch einen
Vogel Strauß hielt und ihn selbst fütterte.
In den französischen „Bestiaria" jener Zeit
heißt dieses Tier kurzweg „Foiseau qui
mange le fer"; man kann sich gut vor-
stellen, daß Charobert seinem Strauß, wo-
möglich vor fremden Gästen, gelegentlich
auch Eisenstückchen in den Schnabel warf.
Eine Tierquälerei, der auch die Besucher
von modernen zoologischen Garten nicht
immer zu widerstehen wissen, da dieser
Vogel blindlings alles, was man ihm ent-
gegenwirft, hinunterschluckt.
Das Hufeisen gilt, seit den Zeiten, als der
Mensch gelernt hatte, Pferde zu beschlagen,
als Glückszeichen. König Ludwig der
Große hat in seinem langen Leben viel
Glück gehabt. Einmal sogar ein ganz
außergewöhnliches. Der diesbezügliche wei-
tere historische Exkurs lohnt sich, denn
wiederum betrifft er auch das „Schatz-
kammerbild":
Im Jahre 1363 war ein Bündnis zwischen
Ungarn, Serben, Bulgaren und anderen
3 Randvtrzlcrungm aus dcrn Schatzkammerbild (Abb. I}.
Von links nach rechts: Emnilplnnc mit dem Wappen dcs
Königreiches Polen.
Gclrichene Plane mit Akamhusbläcrcm.
Emailplanc mit der Darsrellung eines Straußcnvogcls mit
Hufeisen im Schnzbel
4 Ausschnitt aus dem Scharzkamlncrbild (Abb. 1). Den
Hintergrund bildcn Emailplatten mit goldenen Lilien auf
dunkrl liuvm Grund. dem Wappen der Anjou
ANMERKUNGEN 9-13
9 Mihzli, op. (In. loc. cit.
W Bock. Die Geuhrnke Ludwig: du Gmßen uxun, zitiert div
diesbezügliche Urkunde aus: c. Vagncr, Annlum Srepuxii
smi n prufnni. Wien 1772, S. 131-132. - Hin der ganze
Text: „. . . Petrus filius Simonis de Scuis dictus er Edelis
zurifa nosm, Virequ: Comes et Caslcllanus Scrplui-
cnsis - quamdam posscssioncm Jcmnik vocatzm in co-
mitatu Scepusiensi 7 postulasscl - in uoscue maiestatis
memoriam rcvocnnlcs mcxitoxia servilia ipsius M. Pelri
- e! spccialircr W in sculptionc. [abricalione seu paraiioue
sigilli nnsßi aurenlici - in recompcnsationem 7 prie-
diclam cssioncm jamnik ipso donavimus. Datum
vm-gm Turin V proxirna posl dominicam xamis pal-
marum."
H Lipinsky, Pverisrlziurli a pmposilo au "Reliquiario degli
Smaz: sich: für "Napoli Nobilissima" angekündigte
Arbeit. er Näheres über die Beziehungcn dcr Caprewr
Sdlilfszimmcxlculc zum Ncnpler Arsenal.
I1 Petschnig zitiert hierzu außer wcsllichcn auch türkische
Geschichtswerke.
U Abgcbildct, in rccht klznen Klischees, bei Faymonville,
siehe Anm. 2, S. 244l45, Abb. 180, und 245. Abb. 181.