Um die Wlende des 16. und 17. Jahrhunderts
emanzipierte sich das Stilleben 7 bei Außer-
achtlassung der vorhergehenden Entwick-
lungsphasen 7 von der Abhängigkeit der
Figuralmalerei, ließ die Anziehungskraft
der Handlung im Bilde beiseite und er-
mittelte dic Lebensfähigkeit der Darstellung
von Sachen und Naturalien im neuen Typ
des Aufhängebildes. Es überprüfte die
sachlichen, dekorativen und auch symboli-
sehen Werte ausgesuchter Gegenstände und
schuf einige Spezialthemen 7 Darstellung
von Fischen, jagdtrophäen, Frühstücks-
tafeln, Gedecken, Blumen und symbolische
Bilder der Verschwendung 7, die bis zur
Hälfte des 17. Jahrhunderts die erste
Phase ihrer Entwicklung in einer Reihe
europäischer Malerzentren durchliefen. Zu
den Wichtigsten Zentren, in denen die
Stillebenmalerei gepflegt wurde, gehörten
die holländischen und flämischen Nieder-
lande, die Städte Middelburg, Frankfurt
am Main und Straßburg. Parallel dazu
kam Italien zur Geltung, wo das Interesse
an der Srillebenmalerei freilich durch das
Übermaß anderer Aufgaben in den Schatten
gestellt wurde. Später, um die Mitte des
17. ]ahrhunderts, bietet das Stilleben ver-
bindliche Anleitungen für die Gestaltung
seirzer Spezialisierungen an und breitet sich
über ganz Europa aus.
Der Einzug dieses Genres nach Böhmen
und seine Wandlungen müssen auf der
Projektionsebene der angeführten gesamt-
europäischen Zusammenhänge verfolgt
werden, denn die Aufgabe der böhmischen
Länder lag weniger in der Entdeckungs-
rnission als vielmehr - und dies unter
anderem wegen ihrer geographischen Lage
7 in der Vermittlung und Bindung unter-
schiedlicher Anschauungen, die aus dem
Norden und Süden, den Niederlanden,
Deutschland und auch Italien kamen. Die
einzige der bedeutenden und tatsächlich
entdeckungswürdigen Persönlichkeiten der
frühen Entwicklungsphase des europäischen
Stillebens ist Georg Flegel, gebürtig aus
Mähren, der durch sein Schicksal und
Schaffen jedoch dem Gebiet um Frankfurt
am Main angehört.
Die Entwicklung und Blütezeit der Still-
leberimalerei des Barocks in Böhmen fällt
ungefähr in den Zeitraum von 1650-1750.
Sie hatte jedoch ein bedcutungsvolles Vor-
spiel an der Wende des 16. zum 17. Jahr-
hundert im international orientierten Milieu
am Hofe Rudolfs II. in Prag. Schon am
Hofe Erzherzogs Ferdinand in Görz, Prag
und Innsbruck befaßte sich Giorgio Liberale
aus Udine mit der Fisch- und Tiermalerei.
Der Problematik des Stillebens näherten
sich auch die allegorischen Bilder Giuseppe
Arcimboldis, die aus Gegenständen und
Naturalien zusammengestellt waren. Der
Nürnberger Maler Hans Hofmann bot im
Jahre 1585 in Prag Kaiser Rudolf II. das
Bild eines gemalten Hasen für ZOO Gulden
an. Die Spezialisten Joris und Jakob Hoef-
nagel betätigten sich in der Blumen- und
Naturalicnmalerei. Dieses vielversprechende
Aufkommen des neuen Genres wurde jedoch
durch den Dreißigjährigen Krieg und die
bewegten politischen Schicksale des Landes
unterbrochen.
Um die Mitte des 17. Jahrhunderts kon-
solidierte sich die Situation so weit, daß
man mit anderen Aufgaben als mit der
kirchlichen und Porträtmalerei rechnen
konnte. Das Interesse, Gegenstände zu
malen, kam auch irn sakralen Bild deutlicher
zum Ausdruck. Es hatte hier eine ganz
spezifische Aufgabe, die mit der sachlichen,
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