ZUR KUNST-
HISTORIENMALEREF
ZUR KUNST-
HISTORIENUALEREÜ
Aus der Künstlerbitugraphik der Fachleute
entwickelte sich seit dem 18. Jahrhundert
eine Künstlerbiographik der Laien und
Dichter. Daraus entstand die Kunstge-
schichtsdichtung:Kunstgeschichtsprosaund
Kunstgeschichtslyrik malten Schicksale oder
einzelne Erlebnisse historischer und zeit-
genössischer Künstler aus, Kunstgeschichts-
Schauspiele stellten sie sichtbar auf die
Bühne, Kunstgeschichtsopern versuchten,
ihr Erlebnis musikalisch zu steigern.
Prosa und Lyrik verbreiteten das Interesse
für den Gegenstand und weckten das Be-
dürfnis nach bildlicher Darstellung. Schau-
spiel und Oper gaben in der Aufführung
unmittelbar Anlaß zu optischer Darstellung,
die durch Zuschauerdistanz und Bühnen-
rahmung bildnerischer Darstellung ähnelte,
jedoch natürlich nicht zweidimensional war
und nicht Augenblicke, sondern ganze
Abläufe wiedergab. Eine bildnerische Dar-
stellung, die Kunsthistorienmalerei, mußte
dadurch angeregt werden.
Auf den Künstlerfesten vor allem der
Künstlerzirkel in Rom mit Rezitationen,
Verkleidungen in historischen Kostümen,
Kulissen- und Transparentmalereien be-
gegneten sich Kunstgeschichtsdichtung,
Kunstgeschichtsschauspiel und Kunstge-
schichtsmalerei.
In Italien hatten die Künstler vieler Na-
tionen Gelegenheit, vereinzelte Beispiele
von Kunsthistorienmalereicn früherer jahr-
hunderte zu sehen: zum Beispiel Malereien
im römischen Palazzo Zuccari, die die
Künstler der Familie Zuccari zeigenl,
Fresken in der Florentincr Casa Buonarroti,
die Szenen aus dem Leben Michelangelos
verherrlichen 1, oder eines der Bilder Otta-
vio Vanninis in der Sala deIYArgenteria
des Florentiner Palazzo Pitti, das den jun-
gen Michelangelo vor Lorenzo de Medici
darstellt 3.
In Italien beschäftigten sich die Künstler
mit der italienischen Kunst und der reich-
haltigen italienischen Künstlerbiographik.
Hier entstanden daher frühe Zeichnungen
und Malereien nach den darin enthaltenen
Künstlergeschichten. Die wichtigsten sind
Arbeiten des jungen Jean Auguste Domi-
nique Ingres. Nach einem seiner Notiz-
bücher, das Raffael und anderen Künstlern
gewidmet ist, befinden sich Auszüge aus
der „Vita di Raffaello Sanzio" des Abate
Comolli von 1791. Ingres hatte außerdem
Vasari, Baglione, Passeri und Baldinucci
gelesen. In einem weiteren Notizbuch hatte
er verschiedene Episoden als Sujets für
Gemälde notiert 4. Von mehreren sind
Zeichnungen überliefert; einige hat er als
Gemälde ausgeführt. Das erste Bild ist 1812
im Auftrage der Königin von Neapel,
Caroline Murat, entstanden: „Kardinal
Bibbiena will Raffael seine Nichte zur Frau
geben"5. Fünf Zeichnungen stehen zu
diesem Bild in Beziehung. 1813 malte
Ingres die erste, leider verschollene Version
2
Abgesehen von vorbereitenden Zeichnun-
gen und Nachstichen existieren vier weitere,
voneinander abweichende Versionen, eine
1814 entstandene7, eine undatierteß, eine
1840 entstandene") und eine 1860 begonnene,
aber unvollendete, mit der lngres, wie er
in einem Brief schrieb, die früheren ver-
gessen machen wollte 19. 1815 führte er die
erste Fassung des Themas „Aretino im
Atelier des Tintoretto" aus", 1848 die
zweitell. 1818 entstand die erste, heute
verschollene, von drei Versionen zum
Thema „Der Tod des Leonardo" 13.
Durch die intensive Beschäftigung mit der
italienischen Kunstgeschichte und die Kon-
frontation mit anderen Künstlernationen
wurden die Künstler gleichzeitig zum Nach-
denken über die eigene Natinn und die
nationale Kunstentwicklung angeregt. Vor
allem die deutschen Künstler empfanden
und stilisierten die Gegenüberstellung von
italienischer und deutscher Kunst. Franz
Pforrs im Herbst 1811 vollendetes Di-
ptychon „Sulamith und Maria" stellt die
Traumgeliebten der Malerfreunde Over-
beck und Pforr dar und versinnbildlicht im
Bilde der Sulamith (links) die von Overbeck
verehrte italienische Kunst durch Motive
aus der Malerei Raffaels, im Bilde der
Kunst durch Motive aus der Malerei und
Graphik Dürers14. Overbecks Darstellun-
gen zu einem ähnlichen Thema15 - ein
verschollencr Karton von 1811, eine weitere
ausgezeichnete Pause des Kartons von
1812111, eine Ölskizze unbekannter Ent-
stchungszeitIV, das endgültige, erst 1828
vollendete Bild19 und eine zweite Öl-
fassungl" 7 haben alle den Titel „ltalia
und Germania" und verdeutlichen die
sinnbildlichen Gestalten zum 'I'eil durch
verschiedene Hintergrundslandschaftcn.
Philipp Veit stellte „Italia" und „Ger-
mania" getrennt dar; Holzschnitte nach
seinen Entwürfen erschienen 1836 in Ra-
czynskis „Geschichte der neueren deutschen
Kunst"29.
Früh waren es Raffael und Dürer, die als
Vertreter der beiden Nationen herausge-
stellt wurden. Pforr und Overbeck zeich-
neten beide kurz vor dem Tode Pforrs,
1812, das Thema „Raffael und Dürer am
Throne der Kunst". Auf Pforrs verschol-
lener Zeichnung, die ein Stich von Hoif
wiedergibt, ist die Kunst ein italienisches
Mädchen aufeinem Throne mit italienischer
Ornamentik; Raffael und Dürer knien
neben ihr; hinter ihnen erscheinen die
Silhouetten Roms und Nürnbergs 21. Auf