Holländern aus dem 16. und 17, Jahrhundert
sowie dem österreichischen Biedermeier anzu-
nahem sein, obgleich die mit der Ubergenauig-
keit gekoppelte Verfremdung alles Gegenständ-
lichen in seinen Werken legitimes Symptom
der geheimen und öffentlichen Angste ist, von
denen die Generationen des 20. Jahrhunderts
gepeinigt worden sind und noch werden.
Schwarzer bevorzugt kleinere Bildformate, die
seiner altmeisterlichen Technik und Akribie
entsprechen. Mit dieser äußerlichen Beschran-
kung beginnt die Vorherrschaft absoluter kunst-
lerischer Aufrichtigkeit, die der Maler in virtuoser
Präzision bis zur Vollendung des Werks durch-
halt. In seinen Gemälden finden sich keine
flauen, groben, technisch nebensächlich be-
handelten Partien, keinerlei Nachlassen der
formalen Spannung wie der poetischen Dichte.
Mit einer Tempera-Ol-Malerei erzielt er jenen
Grad effektvoller Trompe-FceiI-Kunst, der zum
entscheidenden Phänomen führt, wobei der
dinghafte Super-Realismus in eine poetisch
gesteigerte, sensibilisierte Gegenwelt umschlägt.
Diese durch keinerlei Symbolismus provozierte,
von keinerlei surrealistischen Metaphern be-
lastete Wandlung ist das Wesentliche und
Eigene am poetischen Objektivismus Ludwig
Schwarzers. Damit ist auch der unverwechsel-
bare Unterschied zur Wiener Schule des soge-
nannten „Magischen Realismus" geklart, eine
Bezeichnung übrigens, die kunsthistorisch als
„besetzt" zu gelten hat, da sie um 1920 von
Franz Roh für eine bestimmte postexpressio-
nistische Phase der deutschen Malerei geprägt
worden ist. Einem sich erotisch und religiös
präsentierenden Gemisch, dem auch die Wiener
Spät-Surrealisten nicht ungern huldigen, steht
Schwarzer vollig fern.
Lebendige Organismen stellt der Künstler kaum
dar. Der Mensch ist weder aktiv noch passiv,
weder handelnd noch leidend in Schwarzers
Bildwelt anwesend; höchstens als Vergangenen
läßt sich auf ihn schließen. Die Entwicklungen
der Erde sind beendet. Sie ist zum endgültigen
Stilleben erstarrt: nature morte. lhr Da-Sein ist
Tot-Sein. Das vordergründige herrscht vor;
zusammenhariglos. Die Vereinzelung der Dinge
mutet zwar geheimnisvoll an, aber die Unüber-
windlichkeit dieser Isolierung ist von pseudo-
tragischer Tiefe. Tragik und Schicksal setzen
Kommunikation voraus. Dergleichen gibt es hier
nicht. Die Bildräume sind ohne Atmosphäre.
Deshalb ist auch kein Ton möglich, kein Ge-
räusch, weder Hall noch Widerhall, Mit der
Luftleere ist Lautlosigkeit sichtbar geworden und
hat sich mit der Leblosigkeit identifiziert. Kein
Hauch weht von Ding zu Ding. Harte Grenzen
zwischen Licht und Schatten verschärfen die
Trennung sämtlicher untereinander beziehungs-
losen Objekte dieser Versammlung von Rudi-
menten in einer gleichgültigen und eben darum
ausgeglichenen Totenwelt.
Dennoch ereignet sich das Wunder einer Anteil-
nahme im Beschauer. Derfaszinierende poetische
Objektivismus, der bei aller Ubergenauigkeit
mehr ahnen läßt, als erzeigt, lost melancholisches
Gefühl aus von der schweigenden Gegenwart
einer unaussprechbaren, sich selbst genügenden,
dauernden Wirklichkeit hinter jeglicher Ding-
realität - eine Empfindung, die als Urerlebnis
so alt sein mag wie die Menschheit und der
wir Bewohner des 20. Jahrhunderts uns ab-
sonderlich heillos ausgeliefert fühlen, weil diese
Angst als Folge derjenigen Sünde zu gelten hat,
die (nach Kierkegaard) „das Ausbleiben des
Sündenbewußtseins ist".
Keineswegs illustriert Schwarzer Ideen; er denkt
sich keine Weltanschauungspointen aus, die er
als „Tableau" offeriert. Er ist kein Pessimist.
Er malt Bilder, keine Titel. Titel entstehen erst
viel später, notgedrungen, wenn die Werke aus
dem Haus müssen. Dann soll überflüssigerweise
noch mit Buchstaben geschrieben werden, daß
die urferne Vergangenheit unverändert als
lockende Sphinx in gefährlicher Schonheit
herrscht r nur „abseits der Reiseroute", auf
der die Menschheit neuerdings im luxuriösen
Narrenschiff über den uferlosen Ozean der Zeit
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