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werde. Die Kaisertochter sandte dem am Theißufer lagernden Attila ihren Verlobungsring,
flehend, daß er komme, sie aus ihrem Kerker zu befreien. Attila setzt sich auf diesen Ruf hin
in Bewegung und überflutet Italien mit seineil Scharen. Drei Monate lang belagert er
Aquileja und zerstört überdies zwölf Städte auf dieser fürchterlichen Brautfahrt. Aquileja
vertheidigte sich lange, und schon wollte Attila von der Belagerung abstehen, als ein
Storch, seine Jungen im Schnabel, die Stadt verließ und ihm dadurch knndgab, daß die
Stadt am Äußersten sei. Dieser Anblick bewog ihn zum letzten Sturm, der zu seinem vollen
Siege führte. Im Kaiserpalast zu Mailand findet er ein Meisterbild, auf dem seine Ahnen
dem römischen Kaiser zu Füßen sinken. Er wallt zornig auf, rächt sich aber an dem Meister
werk des Künstlers nicht durch dessen Vernichtung, sondern läßt als Seitenstück dazu ein
anderes Bild malen, auf welchem römische Kaiser den goldenen Tribut zu Füßen des
Hunnenkönigs niederlegeu. Er duldet keine Schmeichelei; ein römischer Dichter, Marulns,
erhebt in seinen Versen Attila zum Gott, dafür verurtheilt er den Dichter sammt seinen
Versen znm Scheiterhaufen, begnadigt aber schließlich doch den Menschen und läßt nur
seine Gedichte ins Feuer werfen. Und da er endlich schon vor den Thoren Roms steht und
keine Waffe, kein Steinwall ihn mehr aufhalten kann, da kommt ihm aus Rom eine Schar
ehrwürdiger Greise entgegen, an ihrer Spitze Papst Leo, um Gnade zu flehen für die ewige
Stadt. Der Sage nach hätten nächtliche Gesichter ihm Stillstand geboten, die Walküre des
Krieges sich ihm in den Weg gestellt und ihm dreimal zugerufen: zurück, Attila! Nach der
Legende wären die Apostel Peter und Paul ihin erschienen und hätten ihn mit Gottes
Gebot zurückgeschreckt, welche Scene auch in der Peterskirche durch Pinsel und Meißel
künstlerisch verewigt ist. Die Legende ist ebenso schön wie die Volkssage, am schönsten aber
ist die Tradition, daß jene Gottesgeißel, „auf deren Fußspuren kein Gras mehr wuchs",
ans deren Wink das Blut zu Bächen schwoll, wie auf den catalaunischen Gefilden, inne
gehalten habe vor den Thränen des greisen Mannes und, als die Mutter der Völker,
Rom, ihm zu Füßen lag, sie nicht niedergetreten, sondern Kehrt gemacht habe. Dies that
weder Brennus noch Manch. Wie sein Leben, so war auch Attilas Tod ungewöhnlich.
Über hundert Jahre alt, starb er am Blutsturz auf seinem Brautbette, zur Seite seiner
Braut, der fränkischen Königstochter Jldiko. In der Nacht seines Todes träumte der
griechische Kaiser von ihm, er sah den Bogen Attilas entzweibrechen. Die Leiche des
Hunnenkönigs legte man in einen dreifachen Sarg, in Gold, Silber und Eisen, und begrub
ihn im Bette der Theiß. Auch das war uralter Brauch, ans dem Grund der Gewässer
bestattet zu ruhen. Niemand weiß, wo sein Grab ist.
Nach seinem Tode geriethen seine drei Söhne über sein ungeheures Reich in Streit
und überfielen einander im Bunde mit gothischen, gepidischen und sarmatischen Völkern.
Die wilde Schlacht endete mit der Ausrottung der hunnischen Nation. Nur Attilas jüngster
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Sohn Csaba rettete sich aus der Schlacht mit einem zusammengeschmolzenen Bruchstück
des Volkes. Daran knüpft sich eine der schönsten magyarisch-szeklerischen Volkssagen. Als
Csaba das Verderben der hunnischen Nation seinen Gang nehmen sah, entsendete er aus
seinem Köcher einen Zanberpfeil, wodurch er seine Mutter, die Zanberfee, zu Hilfe rief,
und wo der Pfeil im Fallen mit der Spitze stecken blieb, dort fand er das wunderwirkende
Kraut, von dessen Saft die Wunde heilt und der in der Schlacht Gefallene wieder aufsteht,
(im Volksmund heißt diese Pflanze, potorium 8nuAui8vrl)a, noch jetzt „Csabas Balsam").
Mit diesem Wundermittel erweckte er seine gefallenen Krieger wieder, stellte sie in Schlacht
ordnung und führte sie gegen den Feind. Angesichts dieses Todtenheeres faßte Entsetzen
die Gepiden und sie ließen die Überbleibsel von Csabas Volk in Frieden abziehen. Csaba
geleitete dann mit seinem beritten gemachten Todtenheer den Rest des Hunnenvolkes bis
an die Ostgrenze Siebenbürgens, wo er ihn im heutigen Szeklerlande ansässig machte,
dann aber die todten Krieger in ihr altes Vaterland, ins Land Attilas heimführte. Den
im Szeklerland znrückgelassenen Sippen aber versprach er, daß, so oft eine große Gefahr
ihnen drohen möchte, er und seine heimischen Krieger jedesmal dem Grabe entsteigen und
znrückkehren würden, sie zu erretten. So entstand die Legende vom „Erwarten Csabas".
Und oft hat sich die kleine Szeklernation in großer Gefahr befunden und ist immer durch
wahre Gotteswnnder gerettet worden (nebst seiner eigenen aufopfernden Tapferkeit), und
die Volkssage will, daß allemal Csaba und seine Hunnenkrieger aus der alten Heimat
herbeigeeilt seien, mitten durch den Himmel, unter großem Getöse, um ihre Feinde zu
zerstreuen. Jene glänzende Bahn aber quer durch den ganzen Himmel, die Milchstraße, sei
ans den Hufspuren ihrer Rosse entstanden. Das Volk nennt sie noch heute „Straße der
Heere". So knüpft sich der Sagenkreis von Attila und Csaba mittelst der Menschen
Überlieferungen eng an die festgewurzelten Thatsachen des magyarischen Gemeinglanbens.
Der zweite der magyarischen Nation verwandte Völkerschwarm, der avarische,
bewohnte unter seinen „Khaganen" dieses Land noch längere Zeit und hinterließ das
Gedüchtniß seines Verweilens in merkwürdigen Urdenkmälern. Das sind die Avarenringe
und Grabfelder, die wir bei der Beschreibung der betreffenden Orte eingehender schildern
werden. Karl der Große brach mit der vereinten Macht der fränkischen und germanischen
Heere die Kette dieser Festungswerke und rottete die ganze avarische Nation aus.
Die Idee der magyarischen Einwanderung scheint nur die Fortsetzung des Sagen
kreises von Attila und Csaba zu sein. Der Zurul" (in Adlergestalt eingefleischte Kriegs
genius) war das Sinnbild der Fahnen Attilas. Ihn führten auch die Magyaren auf ihren
Fahnen bis in die Zeit des Herzogs Gejza. Der Zurul" flog vor Attila einher in seinen
Kriegen. Der Zurul" suchte Emös auf, das Weib des im alten Vaterlande lagernden
Fürsten Ügek, und verkündete ihr im Traume die große Sendung ihres noch nngebornen
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