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Dies ist, wie gesagt, ein ausnahmsweises Eingeständniss der Wahr-
heit gegenüber der kaiserlichen Majestät; aber als der Zweck erreicht war,
dann wird von Peter Schölfefs Sohn Johann und seinen Freunden seit t5og
bereits fleißig und frech darauf losgelogen, und es ist nur die ständige
kleine Variation, dass einmal Johann Fust, ein andermal Peter Schöifer als
"der erst erhnder und urheber der Buchdruckerkunstu ausposaunt wird.
Ein später Angehöriger-der Familie (Joh. Fried. Faust von Aschaffenburg
Sohn) stülpt endlich den Handschuh ganz um und erzählt haarscharf, dass
der screbsame, grübelnde Erfinder Johann Fust gewesen, Gutenberg aber,
sein Hausgenosse und Wohnungsnachbar, habe ihm mit Geld ausgeholfen,
weil er sich von der Erfindung Fust's reichen Gewinn erhoffte.
Beiläufig sei auch der Verwechslung und ldentificirung des Gelda
mannes und Buchdruckereibesitzers Johann Fust mit dem sagenhaften
Doctor Faust gedacht. Dass der Vorname des fahrenden Schwindlers
und Wunderdoctors Georg Faust, von welchem Melanchton erzählt, er sei
bei einer Flugproduction in Venedig vom Teufel aus der Höhe fallen ge-
lassen worden, oder er sei eines Morgens im Jahre 154.0 in einem württem-
bergischen Dorfwirthshause todt gefunden werden, weil ihm der Teufel
das Gesicht nach der Genickseite gedreht hatte, - dass also der Vorname
des Wunderdoctors Georg mit dem renommirenden Zunamen Faustus in
Vergessenheit gerathen und durch den in der damaligen Gelehrtenwelt so
geläufigen Buchdruckernamen Johann Faust : Fust verdrängt worden ist,
kann uns nicht befremden. Die Verwechslung lag um so näher, seitdem
(1694) der Bibliothekar der Sorbonne in Paris, Chevillier, erzählt
hatte, Fust sei mit den Bibeln aus seiner Officin nach Paris gekommen;
man habe dieselben für geschrieben gehalten und die Gleichmäßigkeit der
Buchstaben bewundert. Erst später habe man entdeckt, dass sie auf eine
neue Weise hergestellt sind, welche weniger Mlihe und Zeit koste, und
dass sie daher mit 40-60 Ducaten zu theuer bezahlt worden seien. Man
machte Fust den Process, beschuldigte ihn, ade s'etre servi de Part magique,
pour ecrire toutes ces Biblesu, und um dem drohenden Scheiterhaufen
als Zauberer zu entgehen, machte sich Fust aus dem Staube, also ganz.
wie nach Melanchthons Erzählung der echte Wunderdoctor und Gaukler
Faustus in Wittenberg und Nürnberg.
Die Geschichte der übrigen P s e u d o e r fi n d e r der Buchdruckerkunst
ist rasch abgethan. Dass dem Straßburger Hans Mentel schon 1466 vom
Kaiser Friedrich lll. die Lehensfähigkeit und ein Wappen verliehen wurde,
in dessen Umschrift Mentel als der Erfinder bezeichnet wird, fällt nicht
schwer in die Wagschale. Dem Kaiser wurde die Geschichte eben so dar-
gestellt, dass er sich im besten Glauben zu jener Anerkennung veranlasst
fand. Uebrigens sind die Straßburger verhältnissmäßig bald vernünftig
geworden und haben ihren Mentel aufgegeben, wie die Bamberger ihren
Pfister und die Italiener den Pamfilo Castaldi aus Feltre.
nv;
Vollends die Mähr, welche zuerst der böhmische Astronom Petrus Co-
dicilus de Tulchow im Jahre r 576 und zuletzt Pater K. Winaf-icky zu Kowan
bei Jungbunzlau im Jahre 1845 auftischte, urn Gutenberg zu einem Böhmen
zu Stempeln, war selbst den eifrigsten Czechen zu lächerlich.
' Was aber nationale Verblendung zu leisten vermag, wie ihr das
Dümmste gerade als das wahrscheinlichste gilt, dazu noch eine uns heute
unfassbare Summe von Verlogenheit und Schlechtigkeit, das beweist die
holländische Erfindungsgeschichte, die wir jetzt kurz Coster-Schwindel
oder milder die Coster-Legende nennen dürfen.
,1 Der Urheber desselben ist der Doctor Medicinae, Dichter, Philosoph
und noch manches Andere: I-Iadrian Junius (de Jonghe) aus Hoorn, ge-
boren 151i, ein Studiengenosse und Busenfreund eines Martin Janszon
Cost er. In seiner l-Iistoria Bataviae erzählt Junius im Jahre 1568, vor
128 Jahren habe der I-Iaarlemer Lichtgießer und Wirth Laurenz Janszon
Coster bei einem gemüthlichen Verdauungsspaziergang nach dem Mittag-
mahl im Stadtwäldchen sich damit die Zeit vertrieben, dass er aus Birken-
rinde Buchstaben schnitzte, zum Spiel und zum Unterricht für seine Enkel.
l-Iiebei blitzte ihm jener bekannte glückliche Gedanke auf und er erfand
die Buchdruckerkunst, also im Jahre 144.0, zehn Jahre vor Gutenberg.
Er goss sogar schon zinnerne Buchstaben, doch hielt er sein Verfahren
geheim, weil er seine gedruckten Bücher als Handschriften verkaufte
-- der ehrenwerthe Mann! Zu seinem Unglücke hatte er aber einen
ungetreuen Knecht Hans Faustus (oder nach Anderen Hans Gens-
fleisch), und in der Christnacht, als alle Frommen beim Nachtgottes-
dienst in der Kirche waren, packt dieser Diebsgeselle den ganzen Druckerei-
apparat in einen Sack und rennt damit zum Thore hinaus, zuerst nach
Amsterdam und von dort nach Mainz, wo sich die holländische Erfindung
später als eine deutsche breitmachte. Dies Alles wurde dem Junius von
seinem greisen Lehrer Gael, einem Manne mit eisernem Gedächtnisse,
erzählt, und dieser hatte sie wieder als Kind von einem Buchbinder Cor-
nelis gehört, der bei der Erzählung dieser Schaudergeschichte als 8oiähriger
Mann noch immer in Thränen ausbrach, die grässlichsten Verwünschungen
gegen den Dieb in der Christnacht ausstieß, dessen Henker er werden
wollte, wenn der Spitzbube nur noch lebte, und die Nacht verwünschte,
die er mit demselben im gemeinschaftlichen Bette in der Werkstatt schlafen
musste. - Diese Geschichte steht in der l-Iistoria Bataviae, und dort ist
auch zu lesen, wie einmal ein grober Windstoß einen Mann meilenweit
durch die Lüfte getragen, und dem habe es von dieser unfreiwilligen Luft-
partie nur ein klein wenig im Kopfe gesummt; und weiter: die Gräfin
Margareth von Henneberg im XIII. Jahrhundert sei auf einmal von 365
Kindlein entbunden worden, und dies Alles sei wahr, denn so laute die
Inschrift auf einem Votivbild zu Loosduinen . . . . Ich hebe dies hervor
zur Charakteristik dieses vertrauensseligen Junius, der mit seiner Erfin-
dungsgeschichte der Eitelkeit seines Freundes Coster schmeicheln und