Maria Razumovsky
DIE GRÄFIN
LEON RASUMOFSKY UND
IHRE WOHNUNGEN
Es gibt und gab immer Menschen, die
ihre Wohnungen mit Liebe und Verständnis
einrichten und Freude an schönen Gegen-
ständen haben. Manchmal wachsen ihnen
die geliebten Räume so ans Herz, daß sie
von ihnen Bilder anfertigen lassen, so wie
man liebe Menschen porträtiert. Solche
Interieurs spiegeln zuweilen den Charakter
des Besitzers, die Atmosphäre und den
Lebensstil der Epoche, in der sie entstanden
sind, besser als eingehende schriftliche
Schilderungen. Die neun Aquarelle, die
Gräfin Maria Grigorjewna Rasumofsky,
geborene Prinzessin Wjasemsky, ihren
Nachkommen hinterlassen hat, sind dafür
ein Beispiel. Sie stellen Räume aus drei
verschiedenen Häusern dar, und zwar aus
dem Palais Larochefoucauld d'Estissac, Rue
St-Dominique 100 in Paris, das die Gräfin
1842 und l843ki845 bewohnte („Mon
cabinet" Abb.2 und ,.Grancl salon" Abbß),
sowie aus ihrem Stadtpalais in Petersburg
in der Großen Morskaia-Straße („Mon
salon bleu" Abb. 4, „Petit salon iaune"
Abb. 5, „Le grand cabinet" Abb. 6,
„Chambre de bain" Abb. 7 und „Chambre
a coucher" Abb. 8) und ihrem Land-
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haus in Peterhof („Salon avec orangerie"
Abb. 9)l. Von den Pariser Bildern, die
1845 entstanden, ist eines signiert j. Ro-
bertsl; die russischen stammen zum Teil
von L. Premazzi3 und wurden 1846-1847
angefertigt. Die neun Aquarelle tragen
französische Bezeichnungen von der Hand
der Besitzerin und wurden 1906 vom Vater
des heutigen Besitzers, Graf Camillo Razu-
movsky, von Fürstin Marie Wjasemsky aus
Kaluga erworben.
Der Lebensweg, den wir hier nachzu-
zeicbnen versuchen, war selbst für damalige
russische Verhältnisse nicht alltäglich. Prin-
zessin Maria Wjascmsky wurde am 10. 4.
1772 als siebentes von zehn Kindern ge-
boren. Ihr Vater, Fürst Grigorij Iwanowitsch
Wjasemsky, war ein nicht eben reicher
Gutsbesitzer, wenn auch die Familie als
Abkömmlinge von Rurik zu den vor-
nehmsten Rußlands gehörte; die Mutter
kam aus der Bojarenfamilie Beklemischew.
Mir sechzehn Jahren heiratete Maria den
nur um drei Jahre älteren Fürsten Alex-
ander Nikolajewitsch Golitzyn. Leider war
der junge Mann ein Verschwender und
leidenschaftlicher Spieler, der bereits nach
wenigen Jahren sein großes Vermögen
restlos durchbrachte. Eine Bitte um finan-
zielle Unterstützung, die Maria an den
Zaren Paul richtete, blieb erfolglos. In der
Familie hat sich die mündliche Überlieferung
erhalten, daß Fürst Golitzyn schließlich, als
er nichts mehr besaß, bei einer Kartenpartie
mit seinem besten Freund seine Frau als
Pfand einsetzte und verlor - eine Über-
lieferung, die durch die Tatsache, daß sich
Maria in bestem Einvernehmen von ihrem
Manne trennte und 1801 den Freund
heiratete, in den Bereich des damals Mög-
lichen rückt.
Dieser zweite Mann, mit dem Maria
17 Jahre lang in glücklichster Ehe lebte,
war Graf Leon (Lev Kirillowitsch) Rasu-
mofsky (geb. 1757), der vierte Sohn des
Grafen Kirill Grigorjewitsch Rasumofsky4
und der Gräßn Katharina Iwanowna, geb.
Narischkin. Leon hatte, zusammen mit
seinem älteren Bruder Andre (Andrej
Kirillowitseh) 5, eine sorgfältige Erziehung
genossen, er kannte Westeuropa und sprach
wie jedermann aus seiner Gesellschafts-
schicht besser französisch als russisch. Er
war ein überdurchschnittlicher Kunst-