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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIV (1969 / Heft 107)

Jaromir Neumann 
PETER BRANDL - 
EIN HAUPTMEISTER DES 
BÖHMISCHEN BAROCK 
Zur Gßsamtausstßllung des Kiinxtlers 
in Prag 
Der Name Peter Brandl gilt in Böhmen 
seit jeher als Synonym für große malerische 
Kunst, denn ohne Zweifel gehört dieser 
Künstler zu den populärsten Erscheinungen 
der gesamten kunstgeschichtlichen Ver- 
gangenheit des Landes. Brandls Persönlich- 
keit erregte die Phantasie seiner Landsleute 
durch das bewegte Leben, das er führte, 
durch sein künstlerisches Selbstbewußtsein 
und die ungewöhnlich enge Verbindung 
von Leben und Schaffen. Die allgemein 
verbreitete Vorstellung, die sich vor allem 
mit dem außergewöhnlichen Lebensschick- 
sal dieses Künstlers und dabei besonders 
mit seiner bohemienhaften Zügellosigkeit 
befaßte, hat zwar der künstlerischen Wirk- 
lichkeit im modernen Sinne eine roman- 
tische Färbung verliehen, aber in der 
Deutung der Wesenszüge von Brandls 
künstlerischer Individualität hat sie sich 
keineswegs geirrt. Sowohl in der persön- 
lichen Färbung großer Leidenschaften und 
dramatischer Geschehnisse, die Brandl dar- 
stellte, als in dem ungewöhnlichen mensch- 
lichen Begehren und im Lebensmut, die 
Grenzen der geheiligten Konventionen zu 
überschreiten, wurde ein Symptom dafür 
vermutet, daß inmitten des Hochbarock in 
Böhmen mit Brandls Werk der historische 
Prozeß der neuzeitlichen Emanzipation des 
Künstlers beginnt und neuerlich das Re- 
naissance-Bewußtsein von der Autonomie 
des Kunstschaifens zutage tritt. Also eine 
Erscheinung, die im Bereich der Kunst 
mit den Ideen der Aufklärung in der 
Sphäre des Literarischen vergleichbar ist. 
Der Maler, der sich in seinen Selbstbild- 
nissen auf die gleiche Stufe mit seinen 
adeligen Auftraggebern stellte, der in einer 
die strenge Sozialhierarchie betonenden 
Zeit lieber die Ungewißheit dem Unter- 
tänigkeitsverhältnis vorzog, dieser erste 
Bohemien in Böhmen hat auch bei den 
Geschlechtern der Neuzeit Bewunderung 
und Sympathie gefunden. 
Brandl war natürlich kein Künstler von 
solcher Eigenart und auch von Vorbildern 
nicht so unabhängig, wie es die romantische 
nationalistische Tradition gerne gehabt 
hätte und wie dies später noch in den 
Anschauungen der kunstgeschichtlichen Li- 
teratur zum Ausdruck kam. Heute, da 
wir bestrebt sind, das künstlerische Milieu, 
aus dem seine Kunst wuchs, und die Vor- 
bilder, die er sich wählte, nüchtern zu 
erfassen und darzulegen, können wir den- 
noch auf Grund einer genaueren Kenntnis 
bestätigen, daß er ein höchst individueller 
Künstler war, der alle Anregungen in einer 
höheren künstlerischen Ordnung umzu- 
bilden wußte und der Barockmalerei in 
Böhmen mehr denn jeder andere seiner 
Zeitgenossen jenen lokalen Zug aufzu- 
prägen verstand, wodurch sie sich von 
der verwandten Kunst und den Kunst- 
schulen des benachbarten Österreich, Bayern 
und Sachsen unterschied. Wir wissen, daß 
vor allem er es war, der nach Carl Screta 
der Malerei im damaligen Böhmen jene 
unverwechselbare Prager Note und den 
böhmischen Akzent gab. In Brandls Werk 
erreichten der Akklimatisierungsprozeß des 
Barock in Böhmen und die Bildung der 
spezifischen Variante dieses internationalen 
Stiles ihren Höhepunkt, den wir tradi- 
tionell als böhmischen oder manchmal 
auch als Prager Barock bezeichnen. Seine 
Kunstanschauung wurde zwar von jenen 
Strömungen angeregt, die über Österreich 
aus Venedig und über Deutschland aus 
Flandern, Holland und Frankreich zu uns 
drangen, auch wäre sie ohne das Beispiel 
ausländischer, bei uns zeitweise tätiger 
Künstler undenkbar gewesen. Sie wies 
aber auch die ausgeprägten Merkmale der 
damaligen Zeit auf, in der die Barock- 
kultur bereits den Lebensstil breiter Volks- 
schichten durchdrungen hatte und Böhmen 
demzufolge fähig war, alle fremden Bei- 
träge vollauf zu assimilieren, zu trans- 
formieren und aus ihnen eine organische 
und eigene Synthese zu formen. Inwieweit 
diese Synthese durch die ältere einheimische 
Tradition geprägt und im einheimischen 
Kultur- und Gesellschaftsmilieu verankert 
war, deuten die äußeren Umstände selber 
an, unter denen sich Brandls Kunst ent- 
wickelte. War die grundlegende Leistung 
Scretas für die Malerei Böhmens in den 
vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts nur 
deshalb möglich gewesen, weil er Italien 
durchwandert und die fortschrittlichen 
älteren und auch zeitgenössischen Strö- 
mungen dieses in der Kunst führenden 
Landes aus unmittelbarer Nähe kennen- 
gelernt harte, so erwuchs Brandls eigen- 
ständige Kunst in Böhmen seit den neun- 
ziger Jahren ohne direkten Kontakt mit 
fremden Kunstzentren, ohne Studium des 
Künstlers im Ausland, weit mehr aus 
inneren Voraussetzungen und aus einem 
künstlerischen Bedürfnis. Sein Werk über- 
ragte immer mehr das Zusammenspiel der 
damals in Böhmen wirkenden gegensätz- 
lichen Kräfte als mächtige Stimme, die 
von den Vorstellungen und Geschmacks- 
richtungen eines mit Kunst gesättigten und 
zu selbständiger künstlerischer Aktivität 
erwachten Landes beherrscht und bestimmt 
wurde. 
Peter Brandl wurde am 24. Oktober 1668 
in der Wenzelskirche auf der Kleinseite in 
Prag getauft. Sein Vater, Schneider und 
Schankwirt, Michael Brand], war nach Prag 
aus Horni Rychnov (Ober-Reichenau) in 
der Nostitz'schen Herrschaft Falkenau ge- 
kommen. Er entstammte einer Bauern- 
familie, deren Vorfahren einst Hejnic bis 
in den Beginn des 17. Jahrhunderts ver- 
folgen konnte. Die Mutter des Künstlers, 
Alzbeta Hrbkova, kam ebenfalls von einem 
Bauernhof in dem kleinen südböhmischen 
Dorf Prestanice im Prachencr Kreis. Wäh- 
rend des Vaters Abstammung offenkundig 
deutsch ist, war die Mutter Tschechin, wie 
dies ihr Name und die tschechischen 
Namen aller Bauern im Dorf bekunden. 
Dieser vom Standpunkt der Nationalität 
charakteristische Umstand ist für die 
Interpretation von Brandls Charakter und 
künstlerischem Talent unerläßlich. Die Tat- 
sache, daß der Bruder von Brandls Mutter, 
Markus Hrbek, Goldschmied in Prag war, 
könnte darauf hinweisen, daß Peter Brandl
	        
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