Jaromir Neumann
PETER BRANDL -
EIN HAUPTMEISTER DES
BÖHMISCHEN BAROCK
Zur Gßsamtausstßllung des Kiinxtlers
in Prag
Der Name Peter Brandl gilt in Böhmen
seit jeher als Synonym für große malerische
Kunst, denn ohne Zweifel gehört dieser
Künstler zu den populärsten Erscheinungen
der gesamten kunstgeschichtlichen Ver-
gangenheit des Landes. Brandls Persönlich-
keit erregte die Phantasie seiner Landsleute
durch das bewegte Leben, das er führte,
durch sein künstlerisches Selbstbewußtsein
und die ungewöhnlich enge Verbindung
von Leben und Schaffen. Die allgemein
verbreitete Vorstellung, die sich vor allem
mit dem außergewöhnlichen Lebensschick-
sal dieses Künstlers und dabei besonders
mit seiner bohemienhaften Zügellosigkeit
befaßte, hat zwar der künstlerischen Wirk-
lichkeit im modernen Sinne eine roman-
tische Färbung verliehen, aber in der
Deutung der Wesenszüge von Brandls
künstlerischer Individualität hat sie sich
keineswegs geirrt. Sowohl in der persön-
lichen Färbung großer Leidenschaften und
dramatischer Geschehnisse, die Brandl dar-
stellte, als in dem ungewöhnlichen mensch-
lichen Begehren und im Lebensmut, die
Grenzen der geheiligten Konventionen zu
überschreiten, wurde ein Symptom dafür
vermutet, daß inmitten des Hochbarock in
Böhmen mit Brandls Werk der historische
Prozeß der neuzeitlichen Emanzipation des
Künstlers beginnt und neuerlich das Re-
naissance-Bewußtsein von der Autonomie
des Kunstschaifens zutage tritt. Also eine
Erscheinung, die im Bereich der Kunst
mit den Ideen der Aufklärung in der
Sphäre des Literarischen vergleichbar ist.
Der Maler, der sich in seinen Selbstbild-
nissen auf die gleiche Stufe mit seinen
adeligen Auftraggebern stellte, der in einer
die strenge Sozialhierarchie betonenden
Zeit lieber die Ungewißheit dem Unter-
tänigkeitsverhältnis vorzog, dieser erste
Bohemien in Böhmen hat auch bei den
Geschlechtern der Neuzeit Bewunderung
und Sympathie gefunden.
Brandl war natürlich kein Künstler von
solcher Eigenart und auch von Vorbildern
nicht so unabhängig, wie es die romantische
nationalistische Tradition gerne gehabt
hätte und wie dies später noch in den
Anschauungen der kunstgeschichtlichen Li-
teratur zum Ausdruck kam. Heute, da
wir bestrebt sind, das künstlerische Milieu,
aus dem seine Kunst wuchs, und die Vor-
bilder, die er sich wählte, nüchtern zu
erfassen und darzulegen, können wir den-
noch auf Grund einer genaueren Kenntnis
bestätigen, daß er ein höchst individueller
Künstler war, der alle Anregungen in einer
höheren künstlerischen Ordnung umzu-
bilden wußte und der Barockmalerei in
Böhmen mehr denn jeder andere seiner
Zeitgenossen jenen lokalen Zug aufzu-
prägen verstand, wodurch sie sich von
der verwandten Kunst und den Kunst-
schulen des benachbarten Österreich, Bayern
und Sachsen unterschied. Wir wissen, daß
vor allem er es war, der nach Carl Screta
der Malerei im damaligen Böhmen jene
unverwechselbare Prager Note und den
böhmischen Akzent gab. In Brandls Werk
erreichten der Akklimatisierungsprozeß des
Barock in Böhmen und die Bildung der
spezifischen Variante dieses internationalen
Stiles ihren Höhepunkt, den wir tradi-
tionell als böhmischen oder manchmal
auch als Prager Barock bezeichnen. Seine
Kunstanschauung wurde zwar von jenen
Strömungen angeregt, die über Österreich
aus Venedig und über Deutschland aus
Flandern, Holland und Frankreich zu uns
drangen, auch wäre sie ohne das Beispiel
ausländischer, bei uns zeitweise tätiger
Künstler undenkbar gewesen. Sie wies
aber auch die ausgeprägten Merkmale der
damaligen Zeit auf, in der die Barock-
kultur bereits den Lebensstil breiter Volks-
schichten durchdrungen hatte und Böhmen
demzufolge fähig war, alle fremden Bei-
träge vollauf zu assimilieren, zu trans-
formieren und aus ihnen eine organische
und eigene Synthese zu formen. Inwieweit
diese Synthese durch die ältere einheimische
Tradition geprägt und im einheimischen
Kultur- und Gesellschaftsmilieu verankert
war, deuten die äußeren Umstände selber
an, unter denen sich Brandls Kunst ent-
wickelte. War die grundlegende Leistung
Scretas für die Malerei Böhmens in den
vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts nur
deshalb möglich gewesen, weil er Italien
durchwandert und die fortschrittlichen
älteren und auch zeitgenössischen Strö-
mungen dieses in der Kunst führenden
Landes aus unmittelbarer Nähe kennen-
gelernt harte, so erwuchs Brandls eigen-
ständige Kunst in Böhmen seit den neun-
ziger Jahren ohne direkten Kontakt mit
fremden Kunstzentren, ohne Studium des
Künstlers im Ausland, weit mehr aus
inneren Voraussetzungen und aus einem
künstlerischen Bedürfnis. Sein Werk über-
ragte immer mehr das Zusammenspiel der
damals in Böhmen wirkenden gegensätz-
lichen Kräfte als mächtige Stimme, die
von den Vorstellungen und Geschmacks-
richtungen eines mit Kunst gesättigten und
zu selbständiger künstlerischer Aktivität
erwachten Landes beherrscht und bestimmt
wurde.
Peter Brandl wurde am 24. Oktober 1668
in der Wenzelskirche auf der Kleinseite in
Prag getauft. Sein Vater, Schneider und
Schankwirt, Michael Brand], war nach Prag
aus Horni Rychnov (Ober-Reichenau) in
der Nostitz'schen Herrschaft Falkenau ge-
kommen. Er entstammte einer Bauern-
familie, deren Vorfahren einst Hejnic bis
in den Beginn des 17. Jahrhunderts ver-
folgen konnte. Die Mutter des Künstlers,
Alzbeta Hrbkova, kam ebenfalls von einem
Bauernhof in dem kleinen südböhmischen
Dorf Prestanice im Prachencr Kreis. Wäh-
rend des Vaters Abstammung offenkundig
deutsch ist, war die Mutter Tschechin, wie
dies ihr Name und die tschechischen
Namen aller Bauern im Dorf bekunden.
Dieser vom Standpunkt der Nationalität
charakteristische Umstand ist für die
Interpretation von Brandls Charakter und
künstlerischem Talent unerläßlich. Die Tat-
sache, daß der Bruder von Brandls Mutter,
Markus Hrbek, Goldschmied in Prag war,
könnte darauf hinweisen, daß Peter Brandl