sieht man heute einen frühen Sozial-
kritiker, was in erster Linie aus seinem
umfangreichen druckgraphischen
(Euvre hervorgeht. Die in Wien ge-
zeigten Gemälde schilderten Szenen
aus dem Alltagsleben. Sie beein-
druckten durch einen für die damalige
Zeit ungewohnten Realismus.
Künstlerhaus-Galerie -
Britische Druckgraphik
Die von lnge Zimmer-Lehmann ge-
leitete Künstlerhaus-Galerie, die bis
19. Oktober mit der rund 50 Exponate
umfassenden Gruppenausstellung
„12 Britische Artisten - Graphik und
Objekte" (Abb. 6, 7) die Aufmerksam-
keit eines am internationalen Ge-
schehen interessierten Publikums auf
sich lenkte, war zweifellos gut beraten,
ihr Augenmerk der britischen Kunst-
szene zu widmen, zählt doch gerade
London heute zu den mit Abstand
führenden Kunstzentren der Welt. Daß
die fast zur Gänze von der Anglo-
Elementar Versicherungs AG. bezahlte
Ausstellung (Gesamtkosten rund
50.000 S) allerdings nur zum Teil das
hielt, was man von einem derart
strukturierten Überblick erwarten
konnte und nicht nur in der Nomi-
nierung der Künstler, sondern auch in
der Auswahl einzelner Arbeiten an
einem Optimum vorbeiging, war vor
allem durch organisatorische Schwie-
rigkeiten begründet. Sich auf die
Auswahl einer einzigen Galerie und
der von ihr vertretenen Künstler zu
verlassen, wie es in diesem Fall ge-
schah, erwies sich als zu riskant. Daß
so wesentliche Vertreter der britischen
Gegenwartskunst wie Joe Tilson,
Bridget Riley und Richard Hamilton
fehlten, schmälerte natürlich den
lnformationswert der trotzdem noch
immer sehenswerten und aktuellen
Schau.
Neben den sehr effektvollen Sex-
Lithos von Allan Jones hinterließen
die einer subtilen, farbig und formal
harmonisch abgestimmten geomet-
rischen Abstraktion verpflichteten
multiplen Siebdrucke von Robert
Denny den stärksten Eindruck. Der
berühmte Skulptor und Druckgraphi-
ker Eduardo Paolozzi (geboren 1924
in Edinburgh) gab 1967 eine Kassette
unter dem Titel .Moonstrip Empire
News" heraus. Die 100 Siebdrucke
dieses inzwischen sehr gefragten
Mappenwerkes stellen Arrangements
von Texten und Bildern dar, die aus
technischen Büchern und Zeitschriften
stammen und dem Betrachter die
Möglichkeit bieten, selbst Kombinatio-
nen festzulegen und somit mit-
schöpferisch tätig zu werden. Eine
Reihe dieser vor allem mit werbe-
graphischen Methoden zusammen-
gesetzten geometrischen Muster und
Realitätsfragmente (in ihrer Summe
sollen sie in etwa die geistigen Struk-
turen von heute umreißen) war nun
erstmals auch in Wien zu sehen.
Von David Hockney, der in graphisch
harten, linearen Radierungen mensch-
liche Beziehungen einschließlich sol-
chen homosexueller Natur apostro-
phiert, kommt der Ire Patrick Procktor
her. Er huldigt in farbigen Aquatinta-
Radierungen einer gefälligen, esprit-
geladenen Mischung von Hippie-
realismus und Jugendstil. Dazu im
denkbar größten Kontrast das elegant
umgesetzte Multiple des 1938 ge-
borenen Londoners William Pye, das
unter den wenigen plastischen Ob-
jekten der Schau mit Abstand das
beste war. Eher enttäuschend: die
vier Lithos von Allan Davie, einem
der bedeutendsten britischen Maler
und Kunsttheoretiker. Der Rest der
Ausstellung: Durchschnittsqualität
neuerer Tendenzen.
Galerie Stubenbastei -
Adolf Frohner
Adolf Frohner ist der Durchbruch
gelungen. Diese Feststellung läßt sich
48
seit mindestens einem Jahrmit Berech-
tigung treffen, und sie wurde zuletzt
durch eine Ausstellung des Künstlers
in der Galerie auf der Stubenbastei
überzeugend bekräftigt (Abb. 8). Der
Grund für die auch international im
Zunehmen begriffene Anerkennung
dieses lange Zeit hindurch als Außen-
seiter gewerteten Malers und Gra-
phikers liegt vor allem darin, daß
Frohners neues und neuestes Schaffen
innerhalb der massiv reaktivierten,
trendmäßig günstig liegenden .Neuen
Figuration" eine Sonderstellung ein-
nimmt. Originäre Ausdruckskraft ge-
paart mit technischer Raffinesse.
einem verhaltenen Kolorit und einem
gepfefferten Schuß derber Erotik ver-
leihen seinen weiblichen Figuren eine
nicht zuletzt auch im Thematischen
begründete Anziehungskraft, die der
früheren abstrakten Periode Frohners
nie beschieden war.
Die zeichnerische Vehemenz, die
Subjektivität einer ausgeprägten,
temperamentvollen Handschrift verrät
neben primär autodidaktisch weiter-
gebildeter Begabung auch die Inten-
sität konzentrierter, seit Jahren im
wesentlichen auf ein Thema be-
schränkter Auseinandersetzung. Froh-
ners existenzielle Gleichnisse - de-
monstriert an Gesichtern, Gesten und
Leibern von Frauen - charakterisieren
die Schattenseite unserer Gesellschaft,
schildern das Milieu von Striperinnen,
Prostituierten und fettleibigen Party-
girls, sind jedoch bei aller Realistik und
Offenheit der Darstellung nie vorder-
gründig und platt, so daß Absicht und
Effekt gegenüber dem eigentlichen
Anliegen den Vorrang hätten.
Frohners Engagement am Menschen
ist echt und glaubwürdig. Es bedient
sich eines Vokabulars, das ganz ent-
schieden zeitgemäßer, aggressiver und
verbindlicher ist als die überzahlte
Salonmalerei der Wiener Schule. Dar-
über hinaus - und das entscheidet in
erster Linie über den qualitativen Rang
seiner Arbeiten - besitzt die Art der
Umsetzung jene Adäquanz, die die
Frage nach anderen Möglichkeiten
gar nicht erst aufkommen läßt.
Der 1934 in Groß-lnzersdorfin Nieder-
österreich geborene Künstler, der
unser Land gemeinsam mit Ernst Fuchs
auf der 10. Biennale von Säo Paulo
vertrat, zeigte in der Stubenbastei rnit
Ausnahme eines einzigen großen Ol-
bildes ausschließlich Graphik: kon-
trastreiche Graphitstiftzeichnungen
sowie zahlreiche noch nie ausgestellte
Radierungen. Die gegenwärtige Froh-
ner-Hausse geht allerdings auch aus
dem von der Galerie Junge Generation
vor kurzem herausgebrachten nSpiel-
kartenzykIus" hervor, der sechs mittel-
formatige Radierungen umfaßt und
zum Gesamtpreis von 1000 Schilling
abgegeben wird.
Galerie nächst St. Stephan -
Art Brut
Das Phänomen, dem im September
eine höchst bemerkens- und analy-
sierenswerte Ausstellung (Abb. 9) in
der Galerie nächst St. Stephan galt,
ist in dem Maße zu wenig bekannt
und durch grob verallgemeinernde
Fehlinterpretationen in ein falsches
Licht gerückt worden, als es auf der
anderen Seite durch Intensität und
vielfältige Eigenart künstlerischen
Ausdrucks für sich einnimmt. .Art
Brut" nennt Jean Dubuffet, der fran-
zösische Maler, die Werke von
Geisteskranken, die an Hand der um-
fangreichen Privatsammlung des Wie-
ner Malers und Graphikers Arnulf
Rainer in der Wiener Avantgarde-
galerie studiert werden konnten. Der
französische Psychiater Robert Volmat
faßt die bildnerischen Ergebnisse
dieser Außenseiter der menschlichen
Gesellschaft unter dem Begriff
msycho-pathologische Kunst" zu-
sammen. Volmat ist Präsident der
Internationalen Gesellschaft für Psy-
chopathologie, die 1959 in Verona
gegründet wurde. Die Vereinigung.
der in der Hauptsache Arzte ange-
hören, hielt vom 26. bis 28. September
1969 in Linz ihr VI. Internationales
Kolloquium über das Thema ..Psycho-
pathologie und Kunst" ab. Seit fünf
Jahren trägt Arnulf Rainer Bildwerke
von Schizophrenen und anderen Ab-
normalen zusammen. Den Grundstock
seiner Sammlung, von der rund
100 Exponate erstmals der Öffentlich-
keit gezeigt wurden, bildet ein psych-
iatrischer Nachlaß aus Prag, der - so
wie der Großteil des gesamten Ma-
terials - weder altersmäßig noch im
Hinblick auf das Geschlecht der
einzelnen Autoren mit Sicherheit fixiert
werden kann. Die Fragen, die die in
den verschiedensten Techniken ge-
haltenen Arbeiten aufwerfen. lassen
sich - ob es sich um rein medizinische
bzw. künstlerisch-ästhetische handelt
- nur schwer oder überhaupt nicht
generell beantworten. Das gleiche gilt
auch im Hinblick auf ihre Parallelen
zu den Kunstwerken der Professio-
nellen. Rainers Sammlung (sie er-
streckt sich auf Mittel- und Osteuropa
und enthält auch zahlreiche Beispiele
aus den Alpenländern) konfrontiert
mit einer faszinierenden Ausdrucks-
skala, die Figuratives ebenso umfaßt
wie abstrakte Darstellungen. Expressi-
vitäten und klobige Ornamentik ebenso
kennt wie einen an Paul Klee gemah-
nenden Lyrismus. Gemeinsam ist den
Werken, daß sie alle von künstlerisch
unausgebildeten Kranken stammen.
Sie sind fast immer Arbeiten von Ein-
zelgängern und müssen - ohne daß
gewisse Parallelen geleugnet werden
sollen - möglichst streng gegenüber
den Werken von Kindern, Naiven
beziehungsweise geistig erkrankten
Professionellen abgegrenzt werden.
Eine komplexe Ausstellung, die bei
eingehender Beschäftigung tiefgrei-
fende Erkenntnisse zuließ.
Galerie Basilisk - Armin Holzner
Als gesellschaftskritische Persiflage in
Pop-Art konnte man die goldüber-
strichenen Gegenstände bezeichnen,
die der in Wien ausgebildete Inns-
brucker Maler Armin Holzner zu
einem grotesk anmutenden Environ-
ment (Abb. 10) in der Galerie Basilisk
(Wien I, Schönlaterngasse) gruppiert
hatte. Holzner protestierte einerseits
mit seinen bewußt banalen Arrange-
ments von patinierten Hemden, Stil-
Iebemvergoldeten Semmeln, Flaschen,
Tischen, Socken und dergleichen
gegen den überholten Materialkult des
Edlen und Teuren, führte andererseits
aber auch die daraus ableitbaren
ästhetischen Folgerungen ad absur-
dum. Nicht zuletzt warf er mit seinen
plastischen und reliefartigen Objekten,
die in verschiedenen Aspekten an
ähnlich strukturierte Beispiele von
Segel, Ay-O, Gironcoli und Hoydonck
denken lassen, die Frage auf, inwieweit
Verfremdungseffekte und Arrangement
als legitimes Ausdrucks- und Gestal-
tungsmittel der Kunst herangezogen
werden können.
Galerie Griechenbeisl -
Robert Lettner
Robert Lettner, mit Künstlernamen
Rolett, 1943 in Elne, Südfrankreich,
geboren und von 1954 bis zum Vor-
jahr Student an der Wiener Akademie
der bildenden Künste, zeigte in der
Galerie im Griechenbeisl seine zweite
Personalausstellung. Lettner wer vor
kurzem zusammen mit Italienern,
Jugoslawen und einigen österreichi-
schen Künstlern Gast der Internatio-
nalen Malerwochen auf Schloß Retz-
hof in der St ' rmark, wo er die Zeit
dieses Stipendiums intensiv zu nutzen
verstand. Mehr als zehn großformatige
Bilder geben davon Zeugnis. Seine
Kunstharzdispersionsmalereien unter-
streichen in ihren spartanisch gesetzten
geometrischen Akzenten Lettners Be-
mühen, geistige Dimensionen abzu-
stecken. Er selbst spricht im Hinblick
auf seine fast monochromen Bilder
gerne von ..Räumen", die für den
Betrachter Herausforderung zu reflek-
tierender Auseinandersetzung sein
sollen. In ihrer Grundhaltung verraten
seine Arbeiten vor allem Parallelen zu
den Amerikanern Marc Rothko und
Jules Olitski, dessen Werke zuletzt auf
der IV. documenta in Kassel zu sehen
waren. In der Summe dokumentieren
Lettners Bilder 7 sieht man von zwei
wirklich gelösten ab - ein Ubergangs-
stadium, das das notwendige Be-
kenntnis zum Experiment mit ein-
schließt.
Galerie an der StadtmauenVillach
- Theo Braun, Cornelius Kolig
Zu den agilsten Galerien in den öster-
reichischen Bundesländern zählt seit
heuer auch die von Adolf Scherer
geleitete Galerie an der Stadtmauer in
Villach. Waren es im Frühjahr vor
allem eine Kollektive des Kärntner
Malers Erich Schuschnig (Aquarelle
sowie Handzeichnungen) sowie eine
von Heide Hildebrand organisierte
Avantgardeschau mit dem zurück-
haltend__ formulierten Titel ,Einige
junge Osterreicher" (Bilder, Graphik.
und Plastik von Gironcoli, Peter
Hauser, Kocherscheidt, Kcgelnik, Cor-
nelius Kolig. Kolland, Kriesche, Lettner,
Malfatti, Pfaffenbichler, Pongratz,
Ringel, Schwarzenberger und Erhard
Stöbe - Abb. 11, 12), die nicht nur
Aufmerksamkeit im lokalen Bereich
erzielten, so begann die neue Saison
1969170 mit zwei nicht minder
aufschlußreichen Expositionen: Im
August zeigte der Wiener Maler und
Druckgraphiker Theo Braun (Abb. 13,
14) neue Arbeiten, die als Beweis
dafür herangezogen werden können,
daß ihr Urheber gegenwärtig zu den
interessantesten, am wenigsten stag-
nierenden Persönlichkeiten gegen-
standsloser Malerei in Osterreich zählt.
Die rund dreißig Exponate umfas-
sende Personalausstellung Brauns in
der vom Kulturamt der Kärntner Stadt
subventionierten Galerie zeigte dies an
Hand 1969 entstandener groß- und
mittelformatiger Malereien sowie einer
Reihe von Eisenätzungen und Sieb-
drucken, in denen ebenfalls das für
Brauns jetzige Schaffensphase signifi-
kante geometrisch-abstrakte Formen-
vokabular vorherrscht. Braun konzen-
triert sich in seinen Arbeiten auf eine
relativ kleine Anzahl von Elementen,
die in manchem dem Hard-Edge und
der Op-Art verwandt sind, nach wie
vor mutierend eingesetzt werden und
in immer stärkerem Maße Rundformen
miteinbeziehen. Dabei unterstützt die
nicht selten plakative Farbigkeit effekt-
voll die einander präzise tangierenden
und sich überschneidenden Form-
elemente im Sinne eines ausgewoge-
nen, suggestiven Kompositionsganzen.
Überdiean dieserStelleschon wieder-
holt erwähnten Plexiglasplastiken und
pneumatischen Objekte von Cornelius
Kolig (sie waren bis 5. Oktober zu
sehen) wird eine ausführliche Ab-
handlung von Alois Vogel unter-
richten, die zu Beginn nächsten Jahres
in „AIte und moderne Kunst" erschei-
nen wird.
Kurhaus Kitzbühel -
Friedrich Plahl
Ähnlich erfreulich und sinnvoll wie
die Aktivität der Villacher Galerie an
der Stadtmauer ist auch eine von dem
Kitzbüheler Geschäftsmann Ferd
Mayer ins Leben gerufene Ausstel-
Iungsreihe,dieimJännerdiesesJahres
mit einer großen Exposition von Ernst
lnsam begann und im Foyer des Kur-
hauses Kitzbühel ihr ausstellungs-
technisch ansprechendes Forum be-
sitzt. Der aus Kitzbühel stammende,
in Wien lebende Maler Friedrich Plahl
(in den fünfziger Jahren Schüler
Boeckls an der Wiener Akademie der