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Volltext: Alte und Moderne Kunst XV (1970 / Heft 108)

der Galerie von Urbino sowie Palma Vecchios 
„Auferstehung" (Abb. 6) des Triptychons von 
Serina (Provinz Bcrgamo). Raunachers Chri- 
stusfigur scheint das statisch Gebundene der 
Darstellungstechnik Bellinis mit der aktiveren 
(energischerer Segensgestus und ausgepräg- 
teres Standmotiv) Palma Vecchios und Tizians 
zu vereinigen. 
Besonders markante Figurenkonstellationen 
sind in die beiden unteren Ecken des erwähn- 
ten Kompositionsdreieckes gestellt. Rechts 
unten ist in Seitenansicht eine kauernde, den 
Arm in Denkergeste auf das Knie gestützte 
Männcrgestalt wiedergegeben. Seit Michel- 
angelo sollte dieses Motiv eines Sitzenden 
ständig im Repertoire auch der außeritalieni- 
schen Maler zu finden sein. Die in strenger 
Seitenansicht verbildlichten „Vorfahren Chri- 
sti" in den Zwickeln der sixtinischen Deckeß 
(Abb. 7) haben in Tizians „Maria Tempel- 
gang" aus der Akademie in Venedig ihre 
modifizierte Gestaltung erlangt. Eine Eier- 
verkäuferin sitzt hier im Vordergrund, schon 
leicht zum Beschauer gewandt. Bei Tintoretto 
hat dieses Sitzmotiv in der „Belehnung des 
G. F. Gonzaga mit der Markgrafschaft von 
Mantuam? gleich zweimal Verwendung ge- 
fundenlß. 
Als kompositorische Akzentuierung des rech- 
ten unteren Dreieckswinkels steht knapp 
hinter der mit einem Turban ausgestatteten 
Sitzi-igur die aufrechte Gestalt einer Frau. Auf 
der anderen Seite, dem linken Winkel des 
gedachten Kompositionsdreieckes, ist dasselbe 
Prinzip der Bildverfestigung angewandt (Ab- 
bildung 3). Eine sitzende Rückeniigur er- 
innert hier deutlich an venezianische Vorbilder 
und da besonders an Tintorettoll oder an 
die Rückeniiguren innerhalb der Herdendar- 
stellungen der Bassanos. 
Diese bisher aufgezeigten Ähnlichkeiten mit 
der Individualgestaltung der venezianischen 
Malerei dürfte über den Wert von Hypothesen 
kaum hinausgelangen. Die Vermutung aber 
wird zur Gewißheit, wenn der Blick auf die 
Personengruppe in der äußersten rechten Bild- 
ecke trifft (Abb. 4): In der Darstellung einer 
Mutter mit Kind, eines links davon befind- 
lichen hockenden Knaben sowie der in der 
Art einer „figura serpentinata" den Bild- 
winkel füllenden Gestalt hat Raunacher in 
Jacopo Bassanos „Wachtelwunder" (Abb. 8) 
sein unmittelbares Vorbild gefunden. Alle drei 
Gestalten nehmen hier die rechte Bildhalfte 
ein; Raunacher hat diese Gruppe, sieht man 
von unwesentlichen Änderungen ab, über- 
nommen und sich bezeichnenderweise auch an 
einer Wunderdarstellung orientiert. 
Wenn R. Meeraus bemerkt, daß Raunachers 
Werk sich den „Manieristen italienischer 
Prägung" anschließt, so trifft dies unserer 
Meinung nach nur bedingt zull. Einmal in 
dem eine Sicherheit des Lagerns völlig in 
Frage stellenden Sitzmotiv der erwähnten 
„figura serpentinata" (ein Einzelfall also) und 
anderseits in der düsteren, oft gespenstisch 
auflcuchtenden Farbigkeit, die an die späteren 
Werke Tintorettos in der Scuola di S. Rocco 
in Venedig erinnert. Darüber hinaus aber 
machen sich Kriterien bemerkbar, die sich 
manieristischen Gestaltungspostulaten gegen- 
über kontradiktorisch verhalten. Raunacher 
18 
fand immerhin zu einer Darstellungsweise, die 
das Bedeutende klar in den Mittelpunkt stellt 
und sich von manieristischen Spannungs- 
prinzipien, wie sie beispielsweise in Asymme- 
trien wirksam sind, klar distanziert. Ein Ver- 
gleich mit Leandro Bassanos „Brotvermeh- 
rung" (l591-lS94)13 (Abb. 9) zeigt weiters 
an, wie Raunacher, zumindest in zwei Dritteln 
der Bildfläche der Gefahr, die Szenerie in 
einem unentwirrbaren Menschenknäuel unter- 
gehen zu lassen, entgegentrat. Bei Bassanos 
Massenversammlung macht sich das 
nieristische Merkmal des „horror vacui" in 
unbändiger Weise bemerkbar; die eigentliche 
Hauptszene des wunderbaren Ereignisses ist 
auch merklich in den Hintergrund gerückt. 
Besonders signifikant tritt die unterschiedliche 
Auffassung Raunachers zur manieristischen 
Aussageform bei einem Vergleich mit dem 
vorhin erwähnten „Wachtelwunder"  Bas- 
sanos zutage. Moses, mit seinem Stab wunder- 
bare Kräfte beschwörend, ist ganz an den 
linken Bildrand verbannt und muß auch der 
letztlich ja weniger bedeutenden Volksmenge 
die Vordergrundzone einräumen. 
Bei aller Kopierfreudigkeit, die der steirische 
Hofmaler in der Detailzeichnung an den Tag 
legte und die ihm fast den Ruf provinzieller 
Ideenarmut eintrug, gelangte er doch zu be- 
deutenderen künstlerischen Ergebnissen, als 
es galt, eine Vieltausendköpiige Menschen- 
menge übersichtsvoll auf die Leinwand zu 
bannen. Mag Raunacher auch beträchtliche 
Anleihen bei den Venezianern genommen 
haben i eine vergleichende Motivforschung 
ließe sich beliebig fortsetzen und auf alle 
Einzelgestalten ausdehnen -, in der auf die 
Relevanz der Protagonisten Bedacht nehmen- 
den Massenverteilung erwies er sich doch als 
ein Kind seiner Zeit, dem es mehr auf die 
leichte Lesbarkeit eines Bildes als auf die 
esoterische Wirkung verschlüsselter Problem- 
kreise ankam. 
ma- 
ANMERKUNGEN B? 13 
5 Sich: L. Goldscheider: Michelangelo, Köln 1959, Abb. 104 
und 105. 
q Siehe E. von der Bercken: j. Tintorutto, München 1942, 
Abb. 181. 
W Auch im romischen Bereich der Barockzeit (auch! jenes 
Motiv bei G. mm (Rom, s. Gregorio al Cello, Cappella di 
S. Andrea, Detail aus "Der h]. Andreas wird zur Rjchlstätte 
geführt") und bei Gucrcino auf (Rom, Casino Ludovisi 
"Die Nacht"). 
1' Siehe E. von der Bercken, a, a. 0., Abb. 28. 29. 124 und 177. 
11 Siehe R. Meeraus, a. a. O., S. 146. 
13 Sich: E. Arslan: l Bassano, Mailand 1960, S. 265 und Abb, 309.
	        
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