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Volltext: Alte und Moderne Kunst XV (1970 / Heft 108)

 
 
Das Motiv ist ganz eindeutig von den Galions- 
Gguren inspiriert und von der überlieferten 
Schiffsikonographie abzuleiten. In der Ge- 
schichte des Automobilbaues war es zu diesem 
Zeitpunkt ein absolutes Novum, den Auto- 
kühler mit einem serienmäßig hergestellten 
plastischen Schmuck zu versehen. Gleichzeitig 
tritt hier ein neuer Aufgabenbereich der bil- 
denden Kunst in Erscheinung, wie ihn die 
fortschreitende Technik mit sich brachte. Ein 
solcher Auftrag stellte selbstverständlich auch 
in ikonographischer Hinsicht eine völlig neue 
Aufgabe. Wir werden im einzelnen noch 
darauf zurückkommen. Rolls-Royce vergab 
diesen Auftrag über Claude Johnson an 
Charles Sykes (1875e1950) (Abb. 4). Es 
war dies ein auf vielerlei Gebieten tätiger 
Künstler, der durch sein plastisches Erstlings- 
werk, eine 1911 in der Royal Academy in 
London und im gleichen Jahre im Pariser 
Salon ausgestellte Bronzestatuette einer Bac- 
chantin, gerade damals bekannt geworden 
war J. Gönner und Freund von Charles Sykes 
war John, 2nd Lord Montagu of Beaulieu, 
ein Pionier des Motorsports in England. Et 
gab eine Zeitschrift „The Car Illustrated" 
heraus, für die Sykes4 regelmäßig Weihnachts- 
titelblätter entwarf, die farbig reproduziert 
wurden. Die Beziehungen von Lord Montagu 
zu Sykes bestanden bereits seit dem Jahre 
1903, wo der letztere für die Zisterzienser- 
kirchc Beaulieu, Wo Lord Montagu Laienabt 
war, ein Triptychon (eine Kreuzabnahme 
Christi) malte sowie eine Muttergottesstatue 
in Lebensgröße aus Bronze für das „Palace 
House" schuf. Es ist daher durchaus denkbar, 
daß der von Rolls-Royce an Sykes vergebene 
Auftrag direkt auf den Rat von Lord Montagu 
hin erfolgte. 
Dies ist um so wahrscheinlicher, als der 
Künstler um die gleiche Zeit, in der die Kühler- 
i-igur konzipiert wurde, für Lord Montagu 
ein „persönliches" Mascot für dessen Rolls- 
Royce schuf. Unverkennbar ist die Ähnlichkeit 
dieses Stückes, wenn man von der differen- 
zierten Fußstellung absieht, mit dem serien- 
mäßig hergestellten Rolls-Roycc-Mascot. Zwei- 
fellos nimmt das Montagu-Mascot eine Schlüs- 
sclposition auf dem Weg der endgültigen 
Klärung der Komposition der Rolls-Royce- 
KühlerFigur ein. Sehr charakteristisch ist bei 
dem Montagu-Mascot die Geste der vor den 
Mund gehaltenen linken Hand, wovon sich 
der Name „The Whisper" ableitet, der den 
leisen Lauf des Rolls-Royce-Motors sym- 
bolisieren soll. 
Durch die Tochter des Künstlers, Joe Phillips- 
Sykcs, der wir ganz besonders zu Dank ver- 
pHichtet sind, ist der Inhalt der gemeinsamen 
Gespräche überliefert, die der Bildhauer mit 
Lord Montagu führte, als er sich mit dem 
Entwurf für das Rolls-Royce-Mascot beschäf- 
tigte. Sykes sagte nämlich: „The car travelled 
so smoothly in spite of the specd that (he) 
imagined that even so delicate a crcaturc as a 
fairy eould ride on the bonnet and not lose 
balance." Es ist, wie man sieht, die typisch 
englische Märchenwelt mitihren „fairy stories", 
wie sie dem bildhaften Denken von Charles 
Sykes damals vorschwebte und wie sie, um 
nur diese Künstler zu nennen, durch Jessie 
M. King, W. Heath Robinson, Andrew Lang 
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