Die äußere Erscheinung des Mascot war
keineswegs immer gleich. In der Erstphase des
Rolls-Royce-Iwlodells „Silver Ghost" war die
Kühlerfront mit der ursprünglich roten „RIV-
Marke (ab 1933 schwarz aus Pietät gegen den
in diesem Jahre verstorbenen Sir Henry Royce)
aus polierter Bronze, wobei das Mascot mit
dieser Oberllächenbehandlung übereinstimmte
(Abb. 7). Dann bestand die Kühlcrfront aus
poliertem Nickel und entsprechend war dies
auch beim Mascot der Fall. Wohl auf einen
jeweiligen besonderen Wunsch des Käufers
Rücksicht nehmend, wurde die KühlerFigur
gelegentlich, wenn auch selten, auch feuer-
vergoldet oder versilbert hergestellt. In der
dritten Phase endlich wurde in [ilberein-
stimmung mit der Kühlerfront aus „stainless
steel" auch das in Bronze gegossene Mascot
verchromt, so bei dem Nachfolgetyp des
„Silver Ghost", dem (New) „Phantom I",
einem zwischen denJahren 1925 und 1929 her-
gestellten Sechszylinder. Inzwischen wurde der
Besitz eines Rolls-Roycc immer mehr zum
Status-Symbol. Bereits 1913 kaufte sich der
Maharajah of Alwar einen Rolls-Royce, und
Charles Sykes schuf dafür ein „persönliches"
Mascot, eine geflügelte Viktoria, die auf einer
Kugel- balanciert und zwei Lorbcerkränze in
den Händen trägt. Im Jahre 1915 erwarb
der belgische König Albert I. einen „Silver
Ghost"; ihm folgten nach dem ersten Welt-
krieg dann der Prinz of Wales, der König
von Rumänien sowie das japanische Kaiser-
haus, wobei man verschiedene Luxuskaros-
serien verwendete. Die Kundschaft von Rolls-
Royce war schließlich von so hohem Rang,
daß jemand seherzhafterweise vorschlug, zu
den zwei RR der Wagenmarke noch ein
drittes Rdavorzusetzen: „Royal Rolls-Royce".
Nach dem ersten Weltkrieg erhielt das Mascot
eine besondere Ehrung. Anläßlich eines von
der Zeitschrift „L'Auto" ausgeschriebenen
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Wettbewerbes und seinen „Concours des
Bouchons des Radiateurs" erhielt es in Paris
außer dem ersten Preis die goldene Medaille
(Abb. 8). Unter Beibehaltung des ursprüng-
lichen Modells blieb das Nlascot bis zum
Jahre 1934 unverändert. Damals schuf Sykes
ein neues Modell. Die weibliche Figur stand
nun nicht mehr, sondern sie kniete (Abb. 9).
Das genaue Datum ist auch hier überliefert.
Die Annahme des neuen Modells durch Rolls-
Royce erfolgte am 25.1.1934. Es war we-
sentlich kleiner als das erste und nur noch
31,42" (e ca. 8,9 cm) hoch. Es wurde aus-
schließlich verchromt hergestellt. Die kleinere,
ebenfalls sockelsignierte Version trägt dem
Umstand Rechnung, daß in der Zwischenzeit
die Autos wesentlich niedriger gebaut wur-
den und dementsprechend auch das Mascot
kleinformatiger werden mußte. Verwendet
wurde die „Knceling Lady" bei den Typen-
namen „Phantom III" bis zu „Silver Wraith",
der ab 1946 hergestellt wurde. Dieses Maseot
war über 20 Jahre, und zwar bis 1955, in
Gebrauch. Es entspricht in gleicher Weise
dem im positiven Sinne konservativen Denken
der Wcrkleitung von Rolls-Royce wie der
unveränderten stilistischen Einstellung des
damals fast sechzigjährigen Bildhauers, daß
das Mascot II, 24 Jahre jünger als das Erst-
modell, überraschenderweise ebenfalls noch
ganz dem Stilideal des Art Nouveau ver-
pflichtet war, ein Vorgang, der im übrigen
Europa in dieser Zeit stilistisch ganz vereinzelt
dasteht. Wie sehr die Stilkriterien des Art
Nouveau mit der Grundkonzeption des Stil-
denkens von Charles Sykes in jenen Jahren
noch identisch sind, zeigt ein Blick auf die
zahlreichen von ihm geschaffenen Trophäen.
Unter ihnen sind hier vor allem zu nennen
außer einer etwa gleichzeitig mit dem Rolls-
Royce-Mascot entstandenen und im Jahre 1911
von S. F. Edge bei dem 24-Stunden-Test des
Brooklands-Rennen auf einem Napier-Wagen
gewonnenen Silbermedaille ein um 1929 in
Silber ausgeführtcs Werk, bei dem das Motiv
der geflügelten Viktoria, auf das noch zurück-
zukommen sein wird, ebenso wie bei der
soeben erwähnten Medaille eine zentrale Rolle
spielt (Abb. 10). Diese zuletzt genannte
Trophäe gewann der damals sehr berühmte
Rennfahrer Henry Segrave (Abb. 11). Trotz
aller formalen Durchdachtheit erreicht jedoch
das zweite Mascot-Motiell bei weitem nicht
die wirklich einzigartige bildhauerische Ge-
schlosscnheit der Erstausführung. Seit der
Einführung des „Silver Cloud" im Jahre 1955
wurde an Stelle der „Kneeling Lady" wieder
eine nun formatmäßig entsprechend reduzierte,
verchromt ausgeführte Version des „The
Spirit of Ecstasy" in Höhe von 5" (: 12,7 cm)
verwendet, so wie sie jetzt noch im Gebrauch
istll. Dem aufmerksamen Betrachter wird es
nicht entgangen sein, daß sowohl bei dem
Vergleich der Erstausführung des großen
Mascot von 1911 und dem später serienmäßig
hergestellten kleinformatigeren Modell wie
zwischen diesem und der Reduktion von
1955 ein jeweils deutlich wahrnebrnbarer Ver-
lust der Feinheit der Oberfliichenwirkung spür-
bar ist. Rolls-Royce kommt jedenfalls das
Verdienst zu, die erste serienmäßig hergestellte
Autokühleriigur der Welt in Auftrag gegeben