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Volltext: Alte und Moderne Kunst XV (1970 / Heft 108)

Die äußere Erscheinung des Mascot war 
keineswegs immer gleich. In der Erstphase des 
Rolls-Royce-Iwlodells „Silver Ghost" war die 
Kühlerfront mit der ursprünglich roten „RIV- 
Marke (ab 1933 schwarz aus Pietät gegen den 
in diesem Jahre verstorbenen Sir Henry Royce) 
aus polierter Bronze, wobei das Mascot mit 
dieser Oberllächenbehandlung übereinstimmte 
(Abb. 7). Dann bestand die Kühlcrfront aus 
poliertem Nickel und entsprechend war dies 
auch beim Mascot der Fall. Wohl auf einen 
jeweiligen besonderen Wunsch des Käufers 
Rücksicht nehmend, wurde die KühlerFigur 
gelegentlich, wenn auch selten, auch feuer- 
vergoldet oder versilbert hergestellt. In der 
dritten Phase endlich wurde in [ilberein- 
stimmung mit der Kühlerfront aus „stainless 
steel" auch das in Bronze gegossene Mascot 
verchromt, so bei dem Nachfolgetyp des 
„Silver Ghost", dem (New) „Phantom I", 
einem zwischen denJahren 1925 und 1929 her- 
gestellten Sechszylinder. Inzwischen wurde der 
Besitz eines Rolls-Roycc immer mehr zum 
Status-Symbol. Bereits 1913 kaufte sich der 
Maharajah of Alwar einen Rolls-Royce, und 
Charles Sykes schuf dafür ein „persönliches" 
Mascot, eine geflügelte Viktoria, die auf einer 
Kugel- balanciert und zwei Lorbcerkränze in 
den Händen trägt. Im Jahre 1915 erwarb 
der belgische König Albert I. einen „Silver 
Ghost"; ihm folgten nach dem ersten Welt- 
krieg dann der Prinz of Wales, der König 
von Rumänien sowie das japanische Kaiser- 
haus, wobei man verschiedene Luxuskaros- 
serien verwendete. Die Kundschaft von Rolls- 
Royce war schließlich von so hohem Rang, 
daß jemand seherzhafterweise vorschlug, zu 
den zwei RR der Wagenmarke noch ein 
drittes Rdavorzusetzen: „Royal Rolls-Royce". 
Nach dem ersten Weltkrieg erhielt das Mascot 
eine besondere Ehrung. Anläßlich eines von 
der Zeitschrift „L'Auto" ausgeschriebenen 
16 
Wettbewerbes und seinen „Concours des 
Bouchons des Radiateurs" erhielt es in Paris 
außer dem ersten Preis die goldene Medaille 
(Abb. 8). Unter Beibehaltung des ursprüng- 
lichen Modells blieb das Nlascot bis zum 
Jahre 1934 unverändert. Damals schuf Sykes 
ein neues Modell. Die weibliche Figur stand 
nun nicht mehr, sondern sie kniete (Abb. 9). 
Das genaue Datum ist auch hier überliefert. 
Die Annahme des neuen Modells durch Rolls- 
Royce erfolgte am 25.1.1934. Es war we- 
sentlich kleiner als das erste und nur noch 
31,42" (e ca. 8,9 cm) hoch. Es wurde aus- 
schließlich verchromt hergestellt. Die kleinere, 
ebenfalls sockelsignierte Version trägt dem 
Umstand Rechnung, daß in der Zwischenzeit 
die Autos wesentlich niedriger gebaut wur- 
den und dementsprechend auch das Mascot 
kleinformatiger werden mußte. Verwendet 
wurde die „Knceling Lady" bei den Typen- 
namen „Phantom III" bis zu „Silver Wraith", 
der ab 1946 hergestellt wurde. Dieses Maseot 
war über 20 Jahre, und zwar bis 1955, in 
Gebrauch. Es entspricht in gleicher Weise 
dem im positiven Sinne konservativen Denken 
der Wcrkleitung von Rolls-Royce wie der 
unveränderten stilistischen Einstellung des 
damals fast sechzigjährigen Bildhauers, daß 
das Mascot II, 24 Jahre jünger als das Erst- 
modell, überraschenderweise ebenfalls noch 
ganz dem Stilideal des Art Nouveau ver- 
pflichtet war, ein Vorgang, der im übrigen 
Europa in dieser Zeit stilistisch ganz vereinzelt 
dasteht. Wie sehr die Stilkriterien des Art 
Nouveau mit der Grundkonzeption des Stil- 
denkens von Charles Sykes in jenen Jahren 
noch identisch sind, zeigt ein Blick auf die 
zahlreichen von ihm geschaffenen Trophäen. 
Unter ihnen sind hier vor allem zu nennen 
außer einer etwa gleichzeitig mit dem Rolls- 
Royce-Mascot entstandenen und im Jahre 1911 
von S. F. Edge bei dem 24-Stunden-Test des 
Brooklands-Rennen auf einem Napier-Wagen 
gewonnenen Silbermedaille ein um 1929 in 
Silber ausgeführtcs Werk, bei dem das Motiv 
der geflügelten Viktoria, auf das noch zurück- 
zukommen sein wird, ebenso wie bei der 
soeben erwähnten Medaille eine zentrale Rolle 
spielt (Abb. 10). Diese zuletzt genannte 
Trophäe gewann der damals sehr berühmte 
Rennfahrer Henry Segrave (Abb. 11). Trotz 
aller formalen Durchdachtheit erreicht jedoch 
das zweite Mascot-Motiell bei weitem nicht 
die wirklich einzigartige bildhauerische Ge- 
schlosscnheit der Erstausführung. Seit der 
Einführung des „Silver Cloud" im Jahre 1955 
wurde an Stelle der „Kneeling Lady" wieder 
eine nun formatmäßig entsprechend reduzierte, 
verchromt ausgeführte Version des „The 
Spirit of Ecstasy" in Höhe von 5" (: 12,7 cm) 
verwendet, so wie sie jetzt noch im Gebrauch 
istll. Dem aufmerksamen Betrachter wird es 
nicht entgangen sein, daß sowohl bei dem 
Vergleich der Erstausführung des großen 
Mascot von 1911 und dem später serienmäßig 
hergestellten kleinformatigeren Modell wie 
zwischen diesem und der Reduktion von 
1955 ein jeweils deutlich wahrnebrnbarer Ver- 
lust der Feinheit der Oberfliichenwirkung spür- 
bar ist. Rolls-Royce kommt jedenfalls das 
Verdienst zu, die erste serienmäßig hergestellte 
Autokühleriigur der Welt in Auftrag gegeben
	        
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