Auch sonst steht im Werk dieses Künstlers selten
eine Arbeit für sich allein; fast immer lassen sich
übergeordnete gemeinsame Gedanken und wie-
derum zyklische Gedankengänge erkennen. So
gehören die beiden abgebildeten Radierungen ..Au
pres ma blonde" und ,Soldaten, Kameraden" zu
einem 1961 entstandenen Zyklus von Soldaten-
liedern; die Sicherheit in der Komposition, das
strenge, aber nie zum Selbstzweck werdende Strich-
bild und die Knappheit der verwendeten Mittel
bei gewollter ,.Einfachheit" sind kennzeichnende
Stilcharakteristika.
Auch die abgebildeten neueren Federzeichnungen
lassen ihrejeweilige thematische Zusammengehörig-
keit gut erkennen. Da sind einmal drei von einer
ganzen Reihe von Arbeiten zum Thema Groß-
stadt, die den Verhaltenszwang unserer Umwelt
geißeln. Die unpersönliche und gleichgültige .mo-
derne" Massengesellschaft spiegelt sich hier in
einer „Stehweinhalle", dem "Kaffeehaus" und einer
"Unfallstation". Die lsoliertheit des einzelnen in
der Masse, das ist der Leitgedanke dieser Arbeiten,
die ganz vom Umriß her bestimmt sind und wo
vorn Zeichnerischen her durch den fast gänzlichen
Verzicht auf die Binnenzeichnung das Neben-
einander der Menschen noch verstärkt wird. Man
könnte fast auf den Gedanken kommen, daß hier
als Gegenstück zu Flaubens Wörterbuch der Ge-
meinplätze eine Motivsammlung über menschliche
Scheingemeinschaften im Entstehen ist.
Zwei weitere Blätter gehören zu einer Serie „Zei-
tungsleser", bei denen jeweils von bestimmten
Aufmachern der Tageszeitungen ausgegangen wur-
de; das Original der die Reaktion auslösenden
Zeitung erscheint dabei als Collageelement selbst
in der Darstellung. In einer Phasendarstellung, die
das Erlebnis - und zwar das heute so beliebte
Schlagzeilenerlebnis - des Lesenden sichtbar macht,
wird ein bürgerlicher Kretinismus geschildert, wie
er uns allenthalben täglich umgibt. Durch die
Zeichnung der Phasen haben diese Arbeiten zu-
gleich ein Bewegungsmoment erhalten, das den
Betrachtungsvorgang steuert und zum bildlichen
wie inhaltlichen Höhepunkt hinführt.
Aus einer Folge von "Todsünden" entstammen die
„Eitelkeit" - eine vielschichtige Metamorphose
unter Zugrundeiegung eines Pfaus - und die
,.Völlerei", ein Blatt, das uns einen Wohlstands-
spießer zeigt, der sich aus lauter Überfluß vor
unseren Augen in ein grunzendes Schwein ver-
wandelt. Unwillkürlich wird man an den umge-
kehrten Verwandlungsvorgang in Orwells .,Animal
Farm" erinnert. Charakteristisch sind auch hier die
körperschaffenden Umrißschraffuren und die un-
gewöhnliche Bildkompositicn.
In allen diesen Zeichnungen zeigt sich die be-
sondere Eigenart dieses Mannes, den man zu
Recht einen der letzten „Aufklärer und Enzyklopä-
disten" nennen könnte.
5 Hans Escher, Eitelkeit, 1965. Federzeichnung
6 Hans Escher, Vollerei, 1969. Federzeichnung
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