idamals die goldene Medaille. Die gleichen
Statuetten gibt es in gleicher Größe auch in
Bronzeguß und in einer bisher unveröffent-
lichten Sonderanfertigung in Silber, wobei
Köpfe und Hände partiell aus Elfenbein ge-
schnitzt sind (im Besitz des ehem. Königs
von Italien). Bisher völlig unbekannt war,
daß es von den in Bronze ausgeführten „Le
jeu de l'e'charpe"-Statuetten Exemplare gibt,
-die, elektrifiziert, genau wie die von Raoul
Larche stammenden Loie-Fuller-Figuren als
Tischlampen verwendet werden können. Ab-
gesehen von ihrer ins Auge springenden
ikonographischen Verwandtschaft bietet sich
lcin Vergleich zwischen ihnen schon deshalb
an, weil diese genannten Statuetten jeweils
über eine geschickt montierte, indirekte Be-
leuchtung verfügen, wodurch der damit ver-
bundene illusionistische Effekt der Wieder-
gabe der Vorführung einer bestimmten Tanz-
szene bedeutend gesteigert wird. Es bedarf
keines besonderen Hinweises, daß diese Lam-
pen-Statuetten ohne das verpflichtende Vor-
bild des Tanzes der Loie Fuller nicht denkbar
sind. justus Brinckmann, der das in Sevres-
Biskuit ausgeformte, vollständige Exemplar
des fünfzehnngurigen Tafelaufsatzes für das
Hamburger Museum erwarb, schrieb darüber:
„Die Gewandmotive der in den mannig-
fachsten Stellungen sich bewegenden Mädchen
sind nicht der antiken Frauentracht entlehnt,
sondern freie Umbildung moderner Tracht
und erinnern, wie insbesondere die Schleier-
schwingerinnen, an Bühnen- und Gesellschafts-
tänze unserer Zeit, wie sie durch Walter
Cranes Anregung in England zuerst in Auf-
nahme gekommen und seither durch die Loie
Fuller und anderer Aufführungen überall be-
kannt geworden sind"15. Damit ist auch das
Kleid unserer „The Spirit of Ecstasy"-Figur
mit seinem zeitlosen Charakter ikonographisch
hinreichend erklärt, ein Gewand, wie es die
Tänzerinnen jener Zeit trugen. Von diesem
französischen Vorbild des „Le jeu de Pecharpe"
unmittelbar inspiriert, zeigt sich eine wenige
Jahre später von der Londoner Bildhauerin
Ruth Canton geschaffene „Skirt Dancer"-
Silberstatuette, die in „The Studio" (1906)
mit diesen Worten charakterisiert ist: (she) „is
admirable in rnovement, grace of line, and
elegant in pose" Z6.
Wir müssen uns an dieser Stelle noch einmal
mit Loie Fuller beschäftigen. Auf der Höhe
ihres Ruhmes stehend, hatte sie sich 7 nicht
weit von dem Pavillon A. Rodins entfernt -
auf der Pariser Weltausstellung 1900 ein
eigenes Gebäude errichten lassen. Dieser Pa-
villon (Abb. 29) wurde von dem sehr be-
deutenden Art Nouveau-Architekten Henri
Sauvage (1873-1932) erbaut. Wie das nicht
erhaltene Atelier „Elvira" (1896 von August
Endell in München errichtet) 17 war es ein
Hauptbeispiel der europäischen Art Nouveau-
Architektur. Der Loie-Fuller-Pavillon ist im
gleichen Maße wichtig für die Gattung der
Bildhauerarchitektur wie für die der „archi-
tecture parlante", wobei zu beachten ist, in
welchem Maße bei seiner Dekoration abstra-
hierende Tendenzen vorhanden waren. Von
der Idee des Gesamtkunstwerkes ausgehend,
ist der Gedanke zu verstehen, daß nach den
zeitgenössischen Berichten farbige Glasfenster
28
einzelne Phasen des Fuller'schen Tanzes zeig-
ten. Die langgestreckte Wand der als Hoch-
relief stuckierten Vorderfront des Pavillons
rief die Illusion rhythmisch auf- und ab-
schwingender, wellenförmiger Schleier hervor.
Es sind dieselben Schleier, mit denen die
Künstlerin bei der Vorführung ihrer Tänze
im Inneren des Gebäudes sich drapierte, sie,
die selbst eine bedeutende Attraktion der
Pariser Weltausstellung 1900 war. In ver-
gänglichem Material, das die Ausstellung nicht
überdauertc, wurde von einem Schüler von
A. Rodin, von dem bereits oben genannten
Bildhauer Pierre Roche17, eine - den alten
Abbildungen nach zu schließen - impo-
nierende Dachplastik auf dem Pavillon an-
gebracht, das „Couronnernent" (Abb. 30), wie
es zeitgenössisch heißt. Es war direkt über
dem Eingang angebracht, der beiderseits von
zwei ebenfalls von P. Roche modellierten
Karyatiden flankiert war, ein Motiv, das
offensichtlich auf Goujon zurückgeht. Sie
stellten gleichfalls Tänzerinnen dar. Das
„Couronnement" zeigte die Tänzerin Loie
Fuller in wehendem Gewand, in einer für sie
äußerst charakteristischen Tanzpose (Abb. 31).
Wenn man einmal von den unterschiedlichen
Größendimensionen, dem andersartigen Ma-
terial sowie von dem divergierenden Ver-
wendungszweck absieht, so ist hier eine direkt
in die Augen springende, verblüffende Ähn-
lichkeit der Situation gegeben, so wie sie für
Charles Sykes entstand, als er den Auftrag
erhielt, das Mascot für die Kühlerfront des
Rolls-Royce zu modellieren (Abb. 32734).
Entsprechend ihrer jeweiligen Verwendung
stimmt die Komposition der beiden miteinan-
der verglichenen Skulpturen auch insofern
typusmäßig völlig damit überein, als sie beide
auf drei Ansichtsseiten hin gerichtet sind.
Wir möchten so vermessen sein und glauben,
daß wir hier wider Erwarten das bisher un-
bekannte, unmittelbare Vorbild für das von
Charles Sykes modellierte Werk gefunden
haben. Vorauszuschicken ist dabei noch, daß
sowohl ihm wie seinem Berater Lord Montagu
diese an zentraler Stelle der Pariser Welt-
ausstellung zu besichtigende Loie-Fuller-Skulp-
tur aus persönlicher Anschauung zweifelsohne
bekannt warlß. Von R. Marx wurde diese
für die Weltausstellung modellierte Plastik
mit folgenden Worten beschrieben: „Quelle
comprehension de Padmirable modele s'atteste
encore dans cette statue qui domine l'entre'e
et dont Yelan est si entrainant qu'on dirait
d'elle un grand oiseau battant l'air de ses
ailes et prenant son vol. j'aime cette plastique
expressive du corps et de la draperie unis
dans le rythme du geste; les Grecs n'y eussent
pas contredit, 21 en juger d'apres la Victoire
de Samothrace, et Patticisme affine de M. Pierre
Roche a1 point se verifie." Um das geistige
Ambiente dieser Kunstlandschaft des Art
Nouveau richtig zu charakterisieren, in dem
das Mascot von Rolls-Royce beheimatet ist,
bleiben uns nur noch einige ergänzende Worte
zu zitieren. Sie stammen von der großen
Konkurrentin der Loie Fuller, der ebenfalls
aus Amerika gebürtigen, weltberühmten Tän-
zerin Isadora Duncan (1878-1927). Sie
kam 1899 nach Europa und machte im Jahre
2a 1mm 11111111, Die Tänzerin Loie 11111101 iii der 111,11: der
Salome, 11101. 11101111, H ss C111. P1111, Musee des Art
13210111111 (lHV. Nr. 27955)
21 11.111111 Lerche (1860-1912), Die Sclilcicrtänzcrin 1.016
P1111" iii a" Rolle 11:1 51101111. 1901. 131111111, fentrvügüldti,
345x111 cm. Wien. Slg. Ing: 1111111110111
211 111111111 Larchc, 1111.- Schltißriänlviin Loie um" i11 sei 111111:
aei Salome, 1901. Bronze, feuervcrgoldcr. 45x27 C111. -
Glßßerlnarktl Siol-Dccauville. Kassel. Staatliche 11111111-
Silmmlllng (11111. Nr. 1968129)
211 1-111111" Sanvage (1013-1932), 111-1- ,Loie-Fuller-Pavillon"',
1900, 0111101311111". Ehemals P1111, WClKlllSStCllllng 1900
30 Pierre Rache, m1 "l-oie-Fuller-Pavillon". 1900 7 "Couron-
1121111111". 12111-111111 111111, Weltausstellung 1900
ANMERKUNGEN 2' 7 30
15 j. Brinckmann, Die Ankäufe auf der Weltausstellung, Pnrix
1900, Hamburg, 2. AuiL, 1901, S. 36.
16 The Studio, Vol. Vlll, 1906. S. 169 mit den Abb. aufS. 168. -
Th. B. V, S. 528.
17 Th. . XXVlll. S 448. 7 Eine Tcrrakoltastatuetle der
Tänzerin Laie Full angeblich im Milscinn in TourS. isi
dort unbekannt, wie mir freundlicherweise brieflich H11!-
geleilt wurde. 1'. Koche schuf bcrnerkeniwerterweise die
Illustrationen zu dein Werk von R. Marx. Une Renovalritv
de la Dansr: Mill Loie Fuller, Paris 1904. 7 P. Rochc, U11
Artisie Dücortitenr, la Loie Fuller, in: L'Art Decoralif, 10.
1908, S. 167. 7 Lit. nach Ch. Thon. a.a. 0., 5.35 (vgl.
unsere Anmerkung 19). - Leider 1111-111 ziigangiit-ii wiimi
mit die Memoiren der Loie Fuller (mit einem Vnrworl
von Anatolc Franco. Librairie Felix juvcn. Paris 1908), in
denen sie über 15 Iahrc ihres Lebens berichtet. Vgl. dazu:
A. M. Haminaclier, Die Welt Henry van de Veldcs. Kbln
1967 (dr. Ausg.). S. 5911. mit Abb. 66. M. Rhcims.
Kunst um 1900, Wim-München 1 a. S. 32 (mit Abb. 11)
bzw. S. 35 (mit Abb. 39), S. 189 (mit Ahh. 5), S. 537 (inii
Abb. 537). 7 M. HaircrSbY. "The Divine Loie", The World
01' Art Nouveau, London 1968. S. 1.59 173, 7 Exposition
Art Nouveau 4.-23.11.1968, Grand Maguin Seibu de
Shibuya Tokyo, Nr. 55, 140, 141, 144. 7 R. Barilli. Art
Nouveau, London-New York-Sydncy-Toronio 1969, S. 145
(mit Abb. 67).
15 l . Marx, Lii Dücorulion cl les Industrie: d'Art i! Plixpnsition
Universelle de 1900, Paris 1901, p. 20 23 mit den Abb.
1 und 23
. Cnig, Towrirds a new tlieatrc. Forty designs for singe
S nes with rriiicul notcs, London-Toronto 1913, S. 41! mit
Abb. (iregnr, Edward Grirdoli Craigs Hamlet, in:
Phaidros, l, 1947, S. 1537176. 7 G. Nash. Edward Gordon
Craig 187271966 (Largc Picturc Book Nr. 35. Victorizi und
Albert Museum). London 1967. S. 12.
39 The Dante of rhe Future. Eint Vorlesung. Ubersctzt und
eingeleitet von Kai] Federn. Leipzig 1903 (2. A011. 1929).
5.44145