Mvstikerkreuzen verhältnismäßig ärmer als der
Westen. Zumindest wenn man die plastischen Bei-
spiele allein ins Auge fußt: in Nonnberg ist der 'l'ypus
zweimal vorhanden, in Friesach bringt das Domini-
kanerkloster (Abb. 9) Christus am Astkreuz, dessen
Grün als Zeichen der Neugeburt schon im 9. jahr-
hundert unter den Karolingern diesen symbolischen
Charakter aufwies 14). Wir dürfen erinnern, daß
Friesach eine Stadt der Salzburger Erzbischöfe war,
die diesen Typus wohl auch Admont bekanntgemacht
haben (Meister der Admonter Maria), zwei weitere
befinden sich in Graz, Joanneum (aus Mühlau),
ferner ist noch ein Beispiel in Klosterneuburg bekannt
und das aus dem nördlichen Vfaldviertel (Zwettl?)
an das Oberösterreichische Landesmuseum nach Linz
gekommene. Gerade dieses aber gehört jedoch zum
„lyrischen Typus" (Sudetenländer).
Nun noch einige Worte zum Christus des (iothard
Neidhart Grünewald in seinem Kolmarer Altar von
1515, der allzu leichtfertig mit dieser Gruppe ver-
bunden wird. Beide Typen berühren sich nur in der
unmittelbaren Todesnähe und lösen einen ähnlichen
Schrecken des Herzens in uns aus. Grünewalrls
riesenhafter Christus hängt - ähnlich der lloche
Stickerei im Oberüsterreichischen Landesmuseum in
Linz (Abb. 10) 4 auf einem schlecht abgerindeten
Baumstamm, nicht an einem dünnen, grünen
Runenkreuz. Seine Körperlichkeit ist anatomisch ge-
festigt, die Beine sind nicht nach der mystischen
Vision hochgezogen. Auch ist die Christrigur des
schwarzen Todes viel stärker abstrahiert 4 eben
nicht realistisch, erdnah -, sondern für die Einsam-
keit der Zwiesprache der Betenden entrückt, für die
„entwerdcnde" Seele, wie Meister Eckehart sagt.
Um 1300 wird noch in keiner Weise erzählt, alles ist
„auf das Sichlassen", auf die Versenkung, auf das
„Aufgehen in Gott" hingewendet.
Vergleicht man das ungeheure Material, das sich hier
anbietet 15), so findet man nur eine Herkunfts-
mtiglichkeit und einen Meister, eben den, der in
Köln diesen Christus schuf. Es kommt zu einer
Verwandtschaft unter den Völkern, wo unter dem
religiösen Gesichtswinkel Deutsche und Spanier an-
einanderrücken, wie Italiener und Franzosen, die ihre
antike Grundhaltung verbindet. Deutsche und Spanier
wachsen aus einem anderen Mutterboden auf, näm-
lich einer heftigcren Religiosität. Ihr „ldealismus"
läßt sie so leicht auf den Realismus der Renaissance
verzichten, der ihnen für ihre arteigene Vorstellungs-
welt nichts Wesentliches bedeutet. Wie weit nun auch
der mystische Christus verbreitet ist, nirgends wieder
finden wir eine solch fanatische Opferbereitschaft
dargestellt wie am Rhein (Köln) und in Perpignan.
Sie liegen 7 1304 und 1307 fnur wenige Jahre aus-
einander. Für den, der die dichte Verbindung über
die mittelalterliche XVallfahrerstraße mit der be-
rühmtesten Wallfahrt Europas in Santiagu de
Compostela kennt, und wer von der Glaubenstiefe
der Spanier wie Deutschen überzeugt ist, hat die
Wahl eines deutschen Künstlers (von führendem
Format) viel an Überraschung verloren. Man mag
dann in diesem Auftrag vielleicht nur den ersten
einer über Jahrhunderte nicht abreißenden Verbin-
dung, die sich nicht nur im Dom zu Burgos auf das
eindringlichste erweist, sehen. Eine Verbindung, die
sich ebenso schwäbischer, kölnischer wie Handrischer
Künstler auf Jahrhunderte bediente.
Von Thoby erfahren wir, daß man eine kleine
silberne, niedergenagelte Platte im Rücken der
Plastik 16) vorfand, die eine Ößinung verschloll. Bei
ihrer Abhebung findet man eine Reliquie vom
30
9 Fricsach. Domin
10 Astkreuz, Iktail aus
„Vraie Croix", die durch ein beiliegendes Pergament
bestätigt wird, das 1307 datiert ist. Durch diese
Kreuzpartikel kommt dem Perpignaner Kreuz auch
ein ganz besonderer religiöser Wert zu. Wir dürfen
an ähnliche Beispiele in Österreich erinnern. Das
Kloster Heiligenkreuz erhält von solch einer Kreuzes-
reliquie seinen Namemoder das „Melker Kreuz", das
ein besonderer Schatz des Donauklosters ist 17).
Wie lange noch in Oberösterreich in einer der oft
so rätselhaften Strömungen arteigener Renaissance
das Visionäre Bild Christi am Astkreuz nachwirkt,
wird durch ein Meßgewand gezeigt. Diese Hoch-
stickerei des Oberösterreichischen Landesmuseums
in Linz zeigt nun wirklich einen renaissancehaften,
durchgearbeiteten Körper Christi an einem Kreuz
mit Aststummeln hängen (Abb. 10). Im Sinne der
Lebensbaumsymbnlik ist der Baum grün gehalten 18),
seine frischen Astnarben sind rot gefarbt und unter-
streichen so farbensyrnbolisch den Opfertod des
Erlösers. Noch einmal hat man lieber auf das Bild
der Altvorderen zurückgegriffen, als daß man sich
italienischer Renaissanceformcn und -v0rstellungen
bedient hätte. Die Strahlen des Heiligenscheines
um das Haupt des Erlösers werden so von Lilien
gebildet, die seit undenklichen Zeiten das Bild der
Macht und Herrlichkeit verkörpern, und zwar sowohl
in der heraldischen Versinnbildlichung wie an alten
heimischen Türbeschlägen unserer gotischen Kir-
chenlß). Die Vorstellung des Lignum vitae hat also
eine zähe Lebenskraft erwiesen, die sich in der
Volkskunst fast bis in die Gegenwart verfolgen
läßt.
Erst wieder in unseren Tagen gemahnt mancher
Christus an jene Tage der Gotik und ihre mystische
Schau, in der unser Christus nur eines von vielen
Leitbildern war, die aus beispielloser Glaubenskraft
aufbrachen. Doch scheint es, die Zukunft gehört
erst dem gekrönten, nicht dem „devoten" Christus,
wie ihn Deutschland Europa geschenkt hat.
p]
ANMERKUNGEN:
l) W. Finder. Die deutsche Plastik. WrPOKSÖIITI 1942. S. 95. 96.
1) 1.. Walk. LebensbaumwKreuzcsstanim. in: Kirchcnkxinsr. 114.9. 213, Wien-Baden 1931,
S. 35842, 53-57.
3) Picaso. Dali, Mixe.
4) Aussrcllungskalalog "Große Kunst du: Mittelalters", Köln, Schnürgen-Muscum. Dort ein
Pariser Myxrikerkreuz mit Engeln zu Häuprcu. die weinen, und einem. der das Blut zu
Füßcn mit einem Kelch anfängt V also schon wcscnrlich erweitert!
5) H. ReinerS. Burgundisch-alemannisrhe Plastik. Straßburg 1943. Abb. 65 und 66.
ß) H. Bachmann, Gctische Plastik in den Sudetcnländcm vor Peter Parler, llrünnyMünchenr
Wien 1943. 5.93, Abb. 61.
v) E. Srhalkhauser. Bayrische Frömmigkeit, Ausstvllungskatnlng, München 11:60, N 206, s. a9,
und N 203, S. 47.
i) O. Kastner und B. Ulm, Mittelalterliche Bildwcrkc, Linz 1958, Abb. 6, 7, S. 26.
o) W. Pindcr, a. a. O., S. wie oben.
W) W. v. Steinen. Das Wott der frühchristlichen: Kunst in Antaios I, S. 142l3. Der byzan-
tinischen Smik erwächst ein Gegensatz 7um alten G: tnhcntuin wie zum Abendland.
1') H. Keller, Giovauni Pisano. Wien 1942, 5.83.84. Er weicht dem Expressionismus rhein-
lfulqliseher An weitgehendst aus."
I1) K. Öttinger, Bildende Kunst in Ostcrrt-iclilGotischc Bnchmalerci in Österreich, Baden bei
Wien 1938, Abb. 63 (Codex 9).
U) sich: Anm. 7.
I4) Kl. LiptTert, Symbolnbel, S. 81: Grün bedeutet "Ncugcbnrt". Die Farbe des Kreuzes ist
schon m: dem 9.111. bei dieser Farbsymbolik.
I5) P. Thoby. Le CrucitiX. Nanres 1959. S. 179, Ahh. Tafel CXLV. bei etwa 400 Beispielen.
w) Iskgzlläc, dazu auch H. Wilm. Die gotische Holzfigur. Stuttgart 1942. Ein altes Dokument,
n) H. Fillitz. Der mittelalterliche Schatz des Stiftes Mulk im Katalog der Melker Barock-
ausstellung, Wien 1960.
I!) O. Kzsmer. Eisenkunst im Lande 0b der Enns, Linz 1954, Abb. 6, 17-23.
LITERATUR:
H. Bültnet. Meister Eckeharls Schriften und Predigten. 1mm 1921.
j. K. Huyslnaxxs, Matthias Gxünewnld, Die Cvernäldc, Köln 1959.
P. jahzn, De devot Christ, Paris 1934, mit der Dulicrung von 152
R. Kohlhach. Steirisehe Bildhauer, Graz 1956 (Letmerkreuz in St. Lambrcclzr, dar. 1346).
Michelin Führer, Pyrzinäes. 5.149, mit der Datierung 15.]h.
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