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Volltext: Alte und Moderne Kunst XV (1970 / Heft 111)

überlieferten Begebenheit. sondern sie ist rein 
aus der theologischen Spekulation gewonnen. 
Ihre Anfänge, die Wohl im 4. und 5. Jahr- 
hundert liegcn müssen, gehen auf das früh- 
christliche, auf kaiserliche Ikonographie auf- 
gebaute Adorationsbild zurück und haben 
repräsentativen Charakter Z3. Bogyay 14 will 
das Thema aus dem Kult der Gottesmutter 
und Johannes des Täufcrs spätestens aus dem 
6. Jahrhundert ableiten. Wcitzmann und So- 
tiriou 25 finden eine Vorform des Deesisbildes 
in dem Triumphbogenmosaik des Katharinen- 
klostcrs auf dem Sinai, in dem Medaillonköpfe 
Mariens und des Täufers neben dem apokalyp- 
tischen Lamm abgebildet sind. Hiebei handelt 
es sich um eine reine Repräsentation. Die erste 
literarische Quelle dieses Bildes ist wohl in 
der Legendenbeschreibung der alexandrini- 
nischen Heiligen Cyrus und Johannes bei 
Sophronius von Damaskus (610--623) zu 
finden 16. Dadurch wäre die rein geistige, über- 
legungsmäßige Bildentstehung belegt. Das 
Deesisbild tritt in gewisser Weise an die Stelle 
des früheren Bildes der „traditio legis", das Wie- 
derum auf Vorbilder der Kaiserzeit zurück- 
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geht. Dieses Thema, das zu den frühesten 
Christusdarstellungen der Spätantike gehört, 
stellt auch keine Illustration einer überlieferten 
Szene dar, sondern ist der bildliche Nieder- 
schlag einer Überlegung, in dem der gleichsam 
„kaiserliche" Akt der Übergabe des Gesetzes an 
Petrus und Paulus gemeint ist. Diese Szene 
tritt im Mittelalter nur in Resten und Andeu- 
tungen auf. Ihr eigentlicher Inhalt aber ist die 
Vermittlung der Gnade. Dieser Vorgang wird 
in spätantik-kaiserzeitlieher Sicht, im gesetz- 
gebenden Gnadenakt dargestellt. Später aber 
wird der Vorgang vergeistigt, von der irdisch 
gebundenen Vorstellung des Kaisers losgelöst 
und in die Sphäre des Jüngsten Gerichts über- 
tragen. Die einzig „Gerechten": die unbe- 
fleckte Gottcsmutter und der engelsgleiche 
Vorläufer werden neben Christus gestellt, um 
die Gnade für die Welt zu erflehen. Die theo- 
logischen Verschiebungen von der ersten Stufe 
religiöser Spekulation der befreiten Kirche des 
4. Jahrhunderts zur allesbeherrschenden Kirche 
des 6. Jahrhunderts werden in diesem Bild- 
übergang deutlich. Deshalb wird das Bild der 
„Deesis" vorerst auch keinem Bilderzyklus 
eingeordnet und es erhält keinen festen Platz 
im Kirchenraum. Wir Enden es in Verbindung 
mit dem Gerichtsbild in Apsiden kleinerer 
Kirchen, als Tympanonbild über dem Eingang 
wie auch in Nebenräumen ohne besonderen 
Zusammenhang, zum Beispiel auf der Süd- 
galerie der I-lagia Sophia Z7. Erst in k0mneni- 
scher Zeit scheint das Bild seinen hervor- 
ragenden Platz als Ikone in der Mitte der 
Ikonostasis erhalten zu haben. 
Neben dem Pantokratorbild wird in der Deesis 
die Erscheinung und Funktion Christi in der 
Welt am deutlichsten ausgedrückt. Geht es in 
dem einen um die unumschränkte Herrschaft 
Christi über das All, so in diesem um die 
völlig unabhängige Spendung der Gnade. In 
beiden aber um den Ausdruck der reinen 
Göttlichkeit. Die beiden Bilder sind losgelöst 
vom Szenisch-Illustrativen, rein spekulativ und 
doch körperlich faßbare Gestalt. Deswegen 
drücken sie „H0 On", das Sein, in begriifs- 
bildender Weise für die Ikonenmalerie aus, da 
in diesen beiden Bildtypen der unsichtbare 
Gott in Christus in reinster Weise sichtbar und 
faßbar wird.
	        
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