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Volltext: Alte und Moderne Kunst XV (1970 / Heft 112)

standen, über den Künstlern hochgehalten 
wurde. Zum Teil reagierten die Putten in 
Gestik und Mimik auf die unter ihnen stehen- 
den Künstler: zwei Putten mit dem Blick auf 
Schnorr von Carolsfeld, der sich frühzeitig in 
einem Zeitungsartikel polemisierend über 
Kaulbachs Malereien an der Neuen Pinakothek 
geäußert hat, iiüsterten miteinander; die 
Puttenpaare über Kaulbach selbst rangen ent- 
setzt die Hände. Schilder bezeichneten die 
dargestellten Künstler. 
Die zwölf übrigen größeren Bildtlächen waren 
mit einer Serie von Historienbildern gefüllt, 
die sich zum Ziel setzte, die Entwicklung der 
zeitgenössischen Kunst unter Ludwig I. und 
deren wichtigste Vertreter, die Verdienste 
Ludwigs um einzelne Kunstgebiete und schließ- 
lich dem König dafür dargebrachte Huldi- 
gungen der Künstler und des Volkes zu 
schildern (Abb. 16-27). „Kunstschöpfungen 
König Ludwigs" überschrieb das erste „Ver- 
zeichnis der Gemälde in der Neuen König- 
lichen Pinakothek" von 1855 den Zyklus. A 
Alle Bilder enthielten Szenen, die in sich die 
Einheit von Ort und Zeit zu wahren schienen. 
- Die Handlungen der ersten sieben Bilder 
auf der Südseite waren erfunden, um histori- 
sche Vorgänge abgekürzt zu symbolisieren; 
Akteure, Requisiten und Hintergründe, die 
nie zusammen erschienen sind oder hätten er- 
scheinen können, in der ersten Szene sogar 
Phantasiegestalten und mythologische Figuren, 
waren in ihnen kombiniert. - Die drei Bilder 
der Westseite zeigten Szenen im Innern 
bayerischer Kunstanstalten, die glaubhaft rea- 
listisch inszeniert waren, jedoch ebenfalls nicht 
mögliche Figurenkombinationen enthielten. - 
Zwei Bilder an der Nordseite mit Huldigungs- 
szenen machten gleichfalls den Eindruck 
möglicher Realität. Sie vereinten jedoch ver- 
schiedene historische Begebenheiten und füg- 
ten frei erfundene Personen hinzu. 
Die sieben Bilder an der Südfassade, der 
Hauptfront des Gebäudes, sollten von rechts 
nach links gelesen werden (Abb. 16722). Sie 
waren jedoch in eine etwa symmetrische 
Ordnung gestellt. Die drei Bilder mit Dar- 
stellungen zur zeitgenössischen Kunst- 
geschichte auf der rechten Hälfte gehörten 
zusammen; sie waren historisch aufeinander- 
folgend gemeint. Die drei Bilder der linken 
Hälfte, Darstellungen der unter Ludwig 
tätigen Maler, Architekten und Bildhauer, 
ließen sich zusammenfassen; sie mußten als 
historisch gleichzeitig erscheinen. Das Mittel- 
bild, Ludwig als Museumsgründer, Kunst- 
sammler und Denkmalpiieger, stellte Ludwig 
vor den Giebel der Glyptothek in die Mitte, 
so daß seine Gestalt und der Glyptotheks- 
giebel die gesamte bemalte Fassade beherrsch- 
ten. 
Das erste Bild stellte die „Bekämpfung des 
Zopfes" dar (Abb. 16). Die drei Grazien waren 
in ein Verlies gesperrt, auf dem ein drei- 
köpfiges perückentragendes Ungetüm mit 
scharfen Krallen sie bewachte. Von links 
schwebte Minerva mit Schild und Speer und 
einer Eule hinter sich heran. Sie schickte drei 
Kämpfer gegen den Zopf vor: Winckelmarin, 
der ein Tintenfaß schleuderte, Thorvaldsen, 
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der einen Hammer schwang, und Asmus 
Carstens mit den wiedergefundenen Walfen 
des Griechentutns. Hinter ihr stieg Schinkel 
mit geschultertem Winkelmaß aus dem Spree- 
sumpf (eine deutlich gegen Berlin-Preußen 
gerichtete Polemik). Von rechts ritten Cor- 
nclius mit einem zweibändigen Schwert, 
Overbeck mit der Glaubensfahne und Philipp 
Veit, der einen Vierten nach sich zog, auf dem 
Pegasus gegen den Zopf an. Ein Vertreter 
des akademischen Klassizismus um 1700 mit 
Kunsttraktat und Gliederpuppe, Geratd de 
Lairesse, wurde von ihnen überrannt. 
Das zweite Bild zeigte das Studium der 
deutschen Künstler in Rom (Abb. 17). Vor 
der Porta del Popolo, durch die ein junger 
Künstler mit dem Ranzen auf dem Rücken 
einzog, saßen ein Eremit und eine junge Mut- 
ter mit Kindern. Friedrich Overbeck war vor 
ihnen niedergekniet. Christoph Nilson (der an 
der Ausführung der Fresken mitgearbeitet 
hat) saß und malte die Gruppe; das „Kunst- 
blatt" diente ihm als Unterlage der Farbtuben. 
Georg Hiltensperger stand neben ihm und 
zeichnete die Gruppe in ein Skizzenbuch. 
Von rechts kam ein Zug mit Früchten be- 
ladener junger Bauern und zwei tanzende 
Paare. Michael Echter (der an der Ausführung 
der Fresken mitgearbeitet hat) und Julius 
Muhr standen und zeichneten ihn. Auf der 
Mauer saß Adam Eberle, dahinter erschien 
Kaulbach, und beide skizzierten ebenfalls den 
Zug. 
Im dritten Bild war die Berufung der Künstler 
aus Rom nach München dargestellt (Abb. 18). 
Rechts standen die Meisterwerke Roms, der 
„Kapitolinische Zeus", die bronzene Petrus- 
statue aus St. Peter, Michelangelos Moses, 
Raffaels Teppiche „Paulus in Lystra" und 
„Berufung Petri". Links erschienen die zu- 
künftigen Meisterwerke in Bayern, die Ruh- 
meshalle, die Bavaria und die Walhalla. Ein 
Herold trat zwischen den Säulen der Wal- 
halla hervor und hielt eine Liste der späteren 
Vorhaben Ludwigs I. empor: „Walhalla, 
B. Ruhmeshalle, Feldherrnhalle, Siegesthor, 
H. Bonifatiuskirche, Mariahilfkirche, H. Lud- 
wigkirche, Allerheiligen-Cappelle, Pinakothek, 
N. Pinakothek, Bibliothek, Kriegsministerium, 
., Glyptothek, Kunstausstellungsgebäude, 
Universität, Königsbau, Saalbau, Odeon, Lud- 
wigshof, . . .". Vor dieser Liste kniete Gärtner, 
Heinrich von Hess beugte sich zu ihr herab, 
Klenze und Cornelius, eine Mappe mit seinen 
Illustrationen unter dem Arm, standen davor, 
Schnorr von Carolsfeld trat herzu. Hinter 
ihnen saß Schwanthaler und drehte sich zu 
ihnen um. Alle wandten sich damit der Wal- 
halla zu, in der später ihre Büsten aufgestellt 
werden sollten. Vier andere Gestalten ver- 
körperten die Unberufenen, weniger Erfolg- 
reichen, ein Kniender mit Skizzenbuch, ein 
Kunstgelehrter mit Romführer, ein ewig 
Kopierender und ein Verzweifelnder, der 
seine Zeichnung zerknüllte (in dem man 
vielleicht den unglücklichen Victor Emil 
Janssen sehen kann). Inschriften mit Kreuzen 
in der Mauer rechts erinnerten an die früh 
verstorbenen Künstler Carstens, Eberle und 
Fohr. Rechts musizierten unbekümmert zwei 
Ziegenhirten. 
Das vierte, mittlere Bild pries Ludwig als 
Museumsgründer, Kunstsammler und Denk- 
malpl-leger (Abb. 19). In der Mitte stand der 
König in der Tracht des Hubertusordens 
vor dem mit Löwen verzierten bayrischen 
Thron. Hinter ihm sah man den Portikus der 
Glyptothek, die Südfassade der Alten Pinako- 
thek und die Hauptfront der Staatsbibliothek. 
Links wurden ägyptische und klassisch-antike 
Kunstwerke gezeigt, eine Statue vom Zeus- 
tempel in Aegina, der „Barberinische Faun", 
die „Barberinische Muse", eine Statue der 
Minerva, ein römischer Kandelaber und einige 
Fragmente. Winckelmann stand zwischen die- 
sen Skulpturen und erklärte sie. Rechts er- 
schienen Sammler und Museumsbeamte Lud- 
wigs: Sulpiz Boisseree mit einem mittelalter- 
lichen Glasgemälde, Galeriedirektor von Dillis 
mit einem mittelalterlichen Triptychon, der 
Kunstbeauftragte Martin von Wagner mit 
neuergrabenen antiken Vasen, Franz Brulliot, 
der Inspektor der Kupferstichsammlung, mit 
einer Graphikmappe. Aufschriften der Rollen 
vor dem Thron erinnerten an die Restauratio- 
nen des Bamberger Doms, des Speyerer Doms 
und der Glasfenster des Kölner Doms. 
Das fünfte Bild zeigte die unter Ludwig 
tätigen Maler (Abb. 20). Im Hintergrund sah 
man links Heinrich von Hess mit einem Fresko 
der Allerheiligen-Hofkapelle, rechts Cornelius 
und seinen Mitarbeiter Karl Hermann mit 
einem Fresko der Ludwigskirche. Im Vorder- 
grund links stand Karl Rottmann vor einer 
Ölskizze seines Griechenlandzyklus (der in 
einem eigens dafür angelegten Saal in der 
Neuen Pinakothek gezeigt wurde) und dis- 
kutierte mit den Malern Heinrich Bürkel 
(vorn), Peter von Hess (dahinter), Dietrich 
Monten und Albert Adam. Hinter ihnen lehnte 
ein Karton zu den Nibelungenfresken in der 
Residenz, ohne daß deren Urheber, Schnorr 
von Carolsfeld, dargestellt wäre. Dahinter er- 
schien der Kunsthistoriker Athanasius von 
Raczynski, der einen Band seiner in den 
Jahren 183671841 erschienenen „Geschichte 
der neueren deutschen Kunst" Kaulbach ge- 
widmet hatte. In der Mitte des Bildes arbeitete 
Johann Schraudolph an einem Madonnenbild; 
Clemens Zimmermann und der Stecher Sa- 
muel Amsler sahen ihm zu. Das vor ihm 
sitzende Modell sollte sicherlich an die berühmte 
Vittoria Caldoni erinnern, ein italienisches 
Mädchen, das vielen deutschen Malern in Rom 
Modell gesessen hatte. Von rechts kamen ein 
Herold und ein Schatzmeister mit Orden. 
Das sechste Bild stellte den Baubetrieb und 
die unter Ludwig tätigen Architekten dar 
(Abb. 21). Der bedeutendste von ihnen, Leo 
von Klenze, saß etwas abgesondert links in 
einer Bauhütte am Zeichentisch. Vor der 
Hütte standen August von Voit (Erbauer der 
Neuen Pinakothek), Ziebland und Ohlmüller; 
Gärtner, als offener Gegner Klenzes, hatte 
sich abgewandt und sah den Steinmetzen und 
Maurern zu, die an dem von ihm entworfenen 
Siegestor arbeiteten. Im Hintergrund standen 
Klenzes Walhalla und Befreiungshalle. 
Das siebente Bild schildert die Tätigkeit der 
Bildhauer unter Ludwig (Abb. 22). In der 
Mitte waren die eigentlichen bayerischen 
Bildhauer am Werk: Schwanthaler saß vor 
seinem Walhalla-Giebel und blickte zu seinem
	        
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