Das Problem Farbe, das sich für Decleva mehr und
mehr stellte, ist in einem engen Zusammenhang mit
dem immer deutlicher werdenden Zurückgreifen
auf Einsichten zu sehen, die sowohl aus der Symbol-
kunst als auch aus den Absichten der Romantiker
oder der Farbe als Ausdruckswert hervorstechend
zur Wirkung bringenden Expressionisten abgeleitet
werden können. Den dunklen Tonabstufungen gilt
dabei Declevas Vorliebe, vor allem auch dem
Schwarz. Odilon Redon nannte es „la lumiere de
la spiritualite" und „die wichtigste Farbe...
Schwarz muß man bewundern. Nichts kann es
zuschanden machen. Es ist dem Auge nicht ge-
fällig, erweckt nicht die Sinnlichkeit. Es ist ein
Bote des Geistes, mehr als die schönste Farbe auf
der Palette oder im Prisma".
Die häufig sehr kühnen Spannungen und Kon-
traste, die Decleva aus dem Zusammenspiel von
hart oder auch reich nuanciert gegeneinander-
gesetzten Farben im Verein mit mehr und mehr
determinierten Formen gewinnt, lassen in ihm
freilich denMalervon heuteerkennemWermitseinen
Bildern zum erstenmal konfrontiert wird oder deren
logisches Herauswachsen aus vielen Übungen nicht
gleich zu übersehen vermag, wird in ihnen das
Neue unter Umständen nicht gleich erkennen.
Auch deswegen, weil derartige Malerei derzeit
schwer das Interesse jener findet, deren Augen ein
differenziertes Vorgehen und das, was in diesen
Bildern an peinture steckt, nicht mehr aufnehmen.
In Wahrheit läßt Declevas Malerei und Graphik die
Mitte zwischen dem erkennen, was als zeitgenös-
sisch zu erkennen ist und andererseits auf Wurzeln
hindeutet, die klar auf weiter zurückreichende
Zusammenhänge hinweisen. Denn so sehr Decleva
den Wertkategorien und Normen künstlerischen
Schaffens in diesem Jahrhundert von Anfang an
verbunden war, so sehr entfernt er sich in entschei-
denden Phasen seines künstlerischen Denkens auch
wieder in Zonen, die als Separatwelt aufzufassen
aber wohl nur dem einfallen kann, der die Mühe
scheut. den Beweggründen eines Zeitgenossen
auch dort nachzugehen, wo sie ihn zunächst
fremdartig anmuten mögen.
In seinen letzten Bildern ist Decleva die Synthese
nicht nur zwischen den alten und stets gleich-
bleibenden Aufgaben der Malerei mit neuen Ziel-
setzungen gelungen, er fand auch die Möglichkeit,
Kontraste zugleich zu fixieren wie aufzulösen, Ver-
bindungen und ein ineinander der vielfältig zu er-
fahrenden Figur mit dem sie umgebenden Raum
sichtbar zu machen, ohne der Mitwirkung einer
betrachtenden Phantasie einen einengenden Riegel
vorzuschieben. In gewisser Hinsicht verselbständigt
sich die Entwicklung der aus Landschafts- und
Detaileindrücken gewonnenen Erscheinung in
schweren, rumpfartigen, sich ineinander verschie-
benden Teilen zur wohlproportionierten Ganzheit,
die nicht primär den Menschen darzustellen ver-
sucht, wohl aber einen Einklang von Mensch und
Natur herstellt, Verbindungsströme aufzeigt, für
deren Darstellung die Figur als Metapher gewählt
wird, sichtbares Zeichen des Einverständnisses.
Marie Deßleva, ..Cucugnaz", 1569. Radierung (Werk-
KSI. Schiffer 1970 91)
Maria Decleva, „Oluda ll", 1969. Radierung (Werk-Kai. 83)
Mario Decleva, „Figuvale Erscheinung", 1969. Radierung
Aquatima (Werk-Kat. 90)