Diese Argumente fanden bei den Zeitgenossen
wenig Achtung, sondern erregten die törich-
testen Angriife.
„Alles ist so schön und gut, wie es sich für
seinen Zweck eignet, und so schlecht und
häßlich, wie es sich für seinen Zweck schlecht
eignet" , lehrte Sokrates und Loos folgerte:
„Wir sehen also, daß die Schönheit eines
Gebrauchsgegenstandes nur in bezug auf
seinen Zweck vorhanden ist. Für den Ge-
brauchsgegenstand gibt es keine absolute
Schönheit."
So könnte auch Sokrates' Dialog mit dem
Panzerschmied Pistias mit gleichem Wortlaut
bei Loos stehen, denn dort Endet sich die
Forderung nach zweckgerechter anthropomor-
pher Proportion und die Erklärung der Wert-
freiheit des Ornaments an sich.
Deshalb fand Loos die griechischen Vasen
schön, „so schön wie eine Maschine, so schön
wie ein Bicycle". Im gleichen Sinne stellte
auch der amerikanische Bildhauer Horatio
Greenough die Behauptung auf, das amerika-
nische SegelschiH und der Plachenwagen der
nach Westen ziehenden Kolonisten seien am
meisten und nächsten mit dem ursprünglichen
Athen verbunden, und in diesem Sinne der
Synthese von Nützlichkeit und Schönheit be-
zeichnete auch Goethe einen von ihm be-
nutzten einfachen böhmischen Korb als anti-
kisch.
Wie aber Loos die Meinung nicht teilte, daß
das Praktische die Schönheit ausschließe, so
unbarmherzig bekämpfte er auch die übliche
Auffassung von angewandter Kunst: „Kunst
an den Gebrauchsgegenstand zu verschwenden
ist Unkultur." Zur Bekräftigung zitierte er
Goethe, den er einen modernen Menschen
nannte: „Die Kunst, die dem Alten seine
Fußböden bereitete und dem Christen seine
Kirchenhimrnel wölbte, wird jetzt auf Dosen
und Armbänder verkrümelt. Diese Zeiten sind
schlechter, als man denkt."
„Erst wenn das große Mißverständnis, daß
die Kunst etwas ist, was einem Zweck an-
gepaßt werden kann, überwunden sein wird,
erst wenn das lügnerische Schlagwort ,an-
gewandte Kunst" aus dem Sprachschatz der
Völker verschwunden sein wird, erst dann
werden wir die Architektur unserer Zeit
haben." So predigte Loos, und auf Grund
ihrer Zweckgebundenheit war daher auch die
Architektur aus dem Bereiche der Kunst
auszuscheiden. Loos zeigte die Unterschiede
zwischen beiden auf:
„Das Kunstwerk ist eine Privatangelegcnheit
des Künstlers.
Das Haus ist es nicht.
Das Kunstwerk wird in die Welt gesetzt, ohne
daß ein Bedürfnis dafür vorhanden wäre.
Das Haus deckt ein Bedürfnis.
Das Kunstwerk ist niemandem verantwortlich,
das Haus einem jeden.
Das Kunstwerk will die Menschen aus ihrer
Bequemlichkeit reißen.
Das Haus hat der Bequemlichkeit zu dienen.
Das Kunstwerk ist revolutionär,
das Haus konservativ. .
Das Kunstwerk weist der Menschheit neue
Wege.
Das Haus denkt an die Gegenwart.
10
Der Mensch liebt alles, was seiner Bequemlich-
keit dient.
Er haßt alles, was ihn aus seiner gewonnenen
und gesicherten Position reißen will und
belästigt.
Und so liebt er das Haus und haßt die Kunst.
S0 hätte also das Haus nichts mit Kunst zu
tun und wäre die Architektur nicht unter die
Künste einzureihen?
Es ist so."
Mit der Feststellung, der Künstler habe nur
sich selbst, der Architekt aber der Allgemein-
heit zu dienen, bekräftigte Loos erneut die
sozialen Bindungen der Architektur. Wie
Sokrates sagte, es gäbe „kein Ebenmaß an
sich, sondern nur in bezug auf den, der sich
einer Sache bedient", so griff Loos auch die
ästhetische Autonomie des Architekten an und
verpflichtete ihn auf den Konsumenten. Ja, in
Wohnungsfragen ging er noch einen Schritt
weiter und verfocht die Autarkie des Kon-
sumenten (die ja auch ein entscheidendes
Kriterium griechischer Staatsvorstellung war):
„Die Zeitungsschreiber haben es im Laufe der
letzten Jahre versucht, uns Mut zu den
Geschmacklosigkeiten der modernen Künstler
zu machen. Ich will versuchen, euch zu euren
eigenen Geschmacklosigkeiten Mut zu ma-
chen." Denn „Wohnungseinrichten hat mit
Architektur nichts zu tun".
„Wenn Sokrates von den Häusern sagte, daß
bei ihnen Schönheit und Zweckmäßigkeit
zusammenfallen müsse, so finde ich darin
einen lehrreichen Wink, wie man Häuser bauen
solle", berichtete Xenophon und beschließt die
Wiedergabe von Sokrates' präzisen Anweisun-
gen zu Detailfragen des Hausbaues: „Mit
einem Wort, die angenehmste und schönste
Behausung dürfte die sein, in der man zu
jeder Jahreszeit für sich die angenehmste
Zuflucht und für seine Habe den sichersten
Ort findet. Malereien und Verzierungen da-
gegen rauben mehr Genuß, als sie geben."
S. Giedion wies darauf hin, daß im alten Athen
sogar ein Gesetz bestand, „wonach ein Bürger,
der ein zu luxuriöses Privathaus baute, aus der
Stadt verbannt wurde". So nimmt es eigentlich
nicht wunder, wenn auch Loos verlangte, daß
das Haus unauffällig sein müsse. Er faßt seine
Forderungen in den Lehrsatz zusammen: „Das
Haus sei nach außen verschwiegen, im Inneren
offenbare es seinen ganzen Reichtum." Loos
fordert weiter: „Ein Haus gleiche dem anderen!
Wiederholen wir uns unaufhörlich selbst!"
„Man befürchtet die Einförmigkeit? Ja waren
die alten Bauten innerhalb einer Epoche und
innerhalb eines Landes nicht auch einförrnig?
S0 einförmig, daß es uns möglich ist, sie dank
ihrer Einförmigkeit nach Stilen und Ländern,
nach Völkern und Städten zu sichten? Eine
gemeinsame Kultur - und es gibt nur eine
solche - schafft gemeinsame Formen." Wie
Adolf Loos, so argumentierte auch Le Cor-
busier, der Loos viele Anregungen verdankte,
in seinem Buche „Vers une Architecture", das
manche Gegenüberstellung von Antike und
Gegenwart bringt: „Baukunst ist Typen-
bildung. Der Parthenon ist ein an einem Typ
entwickeltes Ausleseprodukt." Loos wies auf
die Unfähigkeit des einzelnen hin, eine Form
zu schaffen. „Der Architekt versucht dieses
Unmögliche immer und immer wieder - und
immer mit negativem Erfolg. Form
Ornament sind das Resultat unbew
Gesamtarbeit der Menschen eines g
Kulturkreises. Alles andere ist Kunst. l
ist der Eigenwille des Genius. Gott gal
den Auftrag dazu."
Aus Achtung der Kunst wies Loos
19. Jahrhundert ein großes Kapitel ii
Geschichte der Menschheit zu: „Ihm
danken wir eine Großtat, die reinliche
dung von Kunst und Gewerbe herbeigi
zu haben."
Zuletzt sei darauf hingewiesen, daß Loo:
sein kritisches Verhalten, das ihm im
gehend kritiklosen Österreich der Jahrhu
wende viel Feindschaft einbrachte, in der
geprägt hat. Schon das Lehrer-Schüle:
hältnis in den Vereinigten Staaten, das ja
dem Verhalten der sokratischcn Gen
entspricht, beruht auf freier Diskussioi
weitgehender Kritik, und das Recht, „
sagen zu dürfen, gilt in den USA als L.
grundlage der Demokratie. James
Brestead betonte: „Ablehnung ist eine l
wichtige Kraftquelle allen Fortschritts"
folgte damit der antiken griechischen
fassung. Ein weiterer dynamischer C
begrilf des amerikanischen politischen I
ist Solons Forderung nach Parteinahme.
für Goethe bedeutete ja Neutralität ii
scheidenden Fragen der Gemeinschaft
heblichkeit und demnach versteckte Tyr
Aber Solons Prinzip war für Goethe nich
verstandesgemäß begründet, sondern
tätigen Mannes Behagen sei Parteilicl
Adolf Loos übte sie geradezu lustvol
bekam es auch zu spüren.
„Jedesmal, wenn sich die Baukunst immi
immer wieder durch die Kleinen, durt
Ornamentiker, von ihrem großen Vc
entfernt, ist der große Baukünstler nah
sie wieder zur Antike zurückführt. A
Schwelle des 19. Jahrhunderts stand Scl
wir haben ihn vergessen. Möge das
dieser überragenden Gestalt auf unsere
mende Baukünstlergeneration fallenl"
schrieb der Reformator Adolf Loos, r
der Schwelle des 20. Jahrhunderts stanr
war es gelungen, fast nur ihm, durch
innige Verbundenheit mit dem Vergan
vorauszufühlen - zu früh 7, was ko
würde. Dies macht ihn zum Repräsen
einer Gesellschaft und einer Kultur, d
noch nicht haben. Wir haben ihn nicl'
gessen, aber seine künstlerischen Gegner
sein Beispiel in eine falsche Lehre umger
Möge das Licht dieser überragenden (
auf unsere kommenden Architekten fallt
LITERATUR
Adolf Loos, Sämtliche Schriften, Wien 1962.
xChOphOD, Memorahilien. uberlragen von v. M, La
München 1950.
H. o. F. 10m, Die Griechen, Von der Wirklichkeit
schichtlichen Vorbllds, Fmiknin a. M. 1960.
s. GlEdlOn, Architektur und oemeiiisciim, Hamburg 19
JOHIHDCS Urzidil, Amerika und die Antike, ziiiini 1964.