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Volltext: Alte und Moderne Kunst XV (1970 / Heft 113)

Heinrich Kulka 
BEKENNTNIS 
ZU ADOLF LOOS 
Am 10. Dezember wird der hundertste Ge- 
burtstag von Adolf Loos gefeiert, dem großen 
Geist und bahnbrechenden Architekten. Wer 
mit ihm in Berührung kam, verließ ihn berei- 
chert fürs Leben. Ich hatte das Glück, mit ihm 
in Paris und Wien jahrelang zusammenzu- 
arbeiten. Ich war vertraut mit seiner Persön- 
lichkeit und Arbeitsweise und wußte, was ihn 
bewegte. Ich kannte den strengen Maßstab 
seiner Kritik, aber auch seine Freude, wenn er 
gute Leistungen anerkannte. Dem pflegte er 
dann in rührender Weise Ausdruck zu geben. 
Ich bin stolz darauf, daß er mich gegen Ende 
seines Lebens als Partner anerkannt hat und in 
mir einen seiner Nachfolger gefunden hat. 
Ich habe mit ihm gemeinsam unter anderem 
das Haus Khuner am Kreuzberg entworfen, 
dessen Bau ich auch beaufsichtigte. 
Meine lange Erfahrung als Architekt in frem- 
den Ländern hat mich progressiv davon über- 
zeugt, daß man auch heute auf Loos zurück- 
gehen muß, um festen Grund unter den Füßen 
zu haben. Er ist seiner Zeit mit Riesenschritten 
vorausgceilt. In mancher Hinsicht haben wir 
ihn noch immer nicht eingeholt. Die Ideen von 
Loos in ihren fundamentalen Erkenntnissen 
und Einsichten sind universal anwendbar, 0b 
man im Zentrum der Kultur oder auf einer 
pazifischen Insel wirkt. Auf den Kreuzwegen 
meiner Arbeit haben mir seine Lehren immer 
den rechten Weg gewiesen, so daß ich sinn- 
gemäß weiterschaffen konnte. 
Die technische Entwicklung im Bauwesen, 
die nach dem Tode von Loos erfolgt ist, hat 
seine Werke nicht veralten lassen. Er hätte 
zwar diese neuen Mittel verwendet, sich aber 
nicht von ihnen überwältigen lassen. 
Alle seine Bauten und Projekte waren revolu- 
tionäre Erstlösungen, beispielgebende Modelle 
für die Zukunft. Das Haus Scheu (1912) war 
das erste Terrassenhaus in Mitteleuropa und 
hat deshalb eine entscheidende Rolle in der 
Entwicklung der Architektur gespielt. Eine 
weitere Ausbildung dieser Idee ist das Loos- 
sche Projekt des Grand Hotel Babylon, das 
Sauvage und andere Architekten inspiriert hat. 
In Voraussicht künftiger Übervölkerung ent- 
warf er eine Gruppe von 20 Villen, die auf 
beschränkter Grundfläche ein Wohnen mit 
Terrassen und Gärten ermöglicht, eine städte- 
bauliche Entwicklung der Jetztzeit. 
Was Loos die einzigartige Sonderstellung 
unter den Architekten seiner Zeit gab, ist die 
Tatsache, daß ihm vor allem die Mensch- 
bezogenheit, das Wohlwollen dem Menschen 
gegenüber, das menschenwürdige Wohnen 
am Herzen lagen, mehr als ästhetische Er- 
wägungen. Hier möchte ich Loos selbst 
zitieren: „Hüte dich vor dem ()riginellsein. 
Das Zeichnen verleitet dazu. Es macht oft die 
größte Mühe, während des Zeichnens alle 
,originellen' Ideen fernzuhalten. Aber dieser 
Verführung Herr zu werden, hilft ein Gedanke: 
wie werden die Menschen, für die ich arbeite, 
in 50 Jahren in diesem Hause oder in diesen 
Räumen wohnen? Dieser Gedanke hat es ver- 
hindert, daß ich ie unmodern geworden bin." 
Loos hat unsere Augen für das Echte geöffnet, 
er ließ dem Ornament keinen Platz im moder- 
nen Leben und zeigte uns die Schönheit des 
glatten unverzierten Materials, das die Sinnes- 
freude erhöht. Loos sagte: „Der moderne 
Mensch, der das Ornament als Zeichen der 
künstlerischen Überschüssigkeit vergangener 
Epochen heilig hält, wird das Gequälte, müh- 
selig Abgerungene und Krankhafte der moder- 
nen Ornamente sofort erkennen. Kein Orna- 
ment kann heute mehr geschaffen werden von 
einem, der auf unserer Kulturstufe lebt." 
Das erste Anliegen von Loos war die Archi- 
tektur, nicht die Dekoration, damit stellt er 
sich in Gegensatz zu Rokoko, zur Secession. 
Er hat also die vom ästhetischen Formalismus 
ausgehenden Stilrichtungen als Hindernis für 
den Fortschritt abgelehnt. 

	        
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