Heinrich Kulka
BEKENNTNIS
ZU ADOLF LOOS
Am 10. Dezember wird der hundertste Ge-
burtstag von Adolf Loos gefeiert, dem großen
Geist und bahnbrechenden Architekten. Wer
mit ihm in Berührung kam, verließ ihn berei-
chert fürs Leben. Ich hatte das Glück, mit ihm
in Paris und Wien jahrelang zusammenzu-
arbeiten. Ich war vertraut mit seiner Persön-
lichkeit und Arbeitsweise und wußte, was ihn
bewegte. Ich kannte den strengen Maßstab
seiner Kritik, aber auch seine Freude, wenn er
gute Leistungen anerkannte. Dem pflegte er
dann in rührender Weise Ausdruck zu geben.
Ich bin stolz darauf, daß er mich gegen Ende
seines Lebens als Partner anerkannt hat und in
mir einen seiner Nachfolger gefunden hat.
Ich habe mit ihm gemeinsam unter anderem
das Haus Khuner am Kreuzberg entworfen,
dessen Bau ich auch beaufsichtigte.
Meine lange Erfahrung als Architekt in frem-
den Ländern hat mich progressiv davon über-
zeugt, daß man auch heute auf Loos zurück-
gehen muß, um festen Grund unter den Füßen
zu haben. Er ist seiner Zeit mit Riesenschritten
vorausgceilt. In mancher Hinsicht haben wir
ihn noch immer nicht eingeholt. Die Ideen von
Loos in ihren fundamentalen Erkenntnissen
und Einsichten sind universal anwendbar, 0b
man im Zentrum der Kultur oder auf einer
pazifischen Insel wirkt. Auf den Kreuzwegen
meiner Arbeit haben mir seine Lehren immer
den rechten Weg gewiesen, so daß ich sinn-
gemäß weiterschaffen konnte.
Die technische Entwicklung im Bauwesen,
die nach dem Tode von Loos erfolgt ist, hat
seine Werke nicht veralten lassen. Er hätte
zwar diese neuen Mittel verwendet, sich aber
nicht von ihnen überwältigen lassen.
Alle seine Bauten und Projekte waren revolu-
tionäre Erstlösungen, beispielgebende Modelle
für die Zukunft. Das Haus Scheu (1912) war
das erste Terrassenhaus in Mitteleuropa und
hat deshalb eine entscheidende Rolle in der
Entwicklung der Architektur gespielt. Eine
weitere Ausbildung dieser Idee ist das Loos-
sche Projekt des Grand Hotel Babylon, das
Sauvage und andere Architekten inspiriert hat.
In Voraussicht künftiger Übervölkerung ent-
warf er eine Gruppe von 20 Villen, die auf
beschränkter Grundfläche ein Wohnen mit
Terrassen und Gärten ermöglicht, eine städte-
bauliche Entwicklung der Jetztzeit.
Was Loos die einzigartige Sonderstellung
unter den Architekten seiner Zeit gab, ist die
Tatsache, daß ihm vor allem die Mensch-
bezogenheit, das Wohlwollen dem Menschen
gegenüber, das menschenwürdige Wohnen
am Herzen lagen, mehr als ästhetische Er-
wägungen. Hier möchte ich Loos selbst
zitieren: „Hüte dich vor dem ()riginellsein.
Das Zeichnen verleitet dazu. Es macht oft die
größte Mühe, während des Zeichnens alle
,originellen' Ideen fernzuhalten. Aber dieser
Verführung Herr zu werden, hilft ein Gedanke:
wie werden die Menschen, für die ich arbeite,
in 50 Jahren in diesem Hause oder in diesen
Räumen wohnen? Dieser Gedanke hat es ver-
hindert, daß ich ie unmodern geworden bin."
Loos hat unsere Augen für das Echte geöffnet,
er ließ dem Ornament keinen Platz im moder-
nen Leben und zeigte uns die Schönheit des
glatten unverzierten Materials, das die Sinnes-
freude erhöht. Loos sagte: „Der moderne
Mensch, der das Ornament als Zeichen der
künstlerischen Überschüssigkeit vergangener
Epochen heilig hält, wird das Gequälte, müh-
selig Abgerungene und Krankhafte der moder-
nen Ornamente sofort erkennen. Kein Orna-
ment kann heute mehr geschaffen werden von
einem, der auf unserer Kulturstufe lebt."
Das erste Anliegen von Loos war die Archi-
tektur, nicht die Dekoration, damit stellt er
sich in Gegensatz zu Rokoko, zur Secession.
Er hat also die vom ästhetischen Formalismus
ausgehenden Stilrichtungen als Hindernis für
den Fortschritt abgelehnt.