ÖSTERREICHISCHES MUSEUM
FÜR ANGEWANDTE KUNST
Metallplastiken des Bildhauers Josef Schagerl
SÄULENHOF, 30. JULI BIS 13. SEPTEMBER 1970 n
Josef Schagerl, 1923 in Peutenburg bei Scheibbs (N0.) geboren, war in
einer künstlerischen Atmosphäre aufgewachsen. Schon sein Vater war Bild-
hauer, und viele Kirchenausstattungen und große Weihnachtskrippen gingen
aus dessen Werkstatt hervor. Josef Schagerl studierte, nachdem er erst ein
Handwerk erlernen mußte, in Wien an der Akademie der bildenden Künste und
erhielt 1951 das Diplom. Seit diesem Jahr arbeitet er als freischaffender Bild-
hauer, und etliche große Arbeiten von ihm begegnen uns an öffentlichen Plätzen
in Wien, in Niederösterreich und auch im Ausland. Es sei hier nur auf die 240 cm
hohe „Figuration" aus Chromnickelstahl in Wien XX, Adalbert Stifter-Straße,
auf die 170 cm hohe Brunnenplastik in Mistelbach und an die 280cm hohe
Marmorskulptur „Homoment", die in Arandelovac in Jugoslawien zur Aus-
stellung kam, hingewiesen. Schon in der „Kubischen Form" (240 crn, Beton)
des Jahres 1958159 wird das Bestreben des Bildhauers ersichtlich: die Er-
oberung des Raumes. Dieses Moment finden wir auch später in allen Werken
Schagerls. Besonders deutlich wird es in den hochstrebenden, stelenartigen
Gebilden, die mit einer „Vierergruppe" (180 cm) aus Holz 1959160 einsetzen.
Bereits 1961, im Symposion Kapfenberg, wird die Idee in Chromnickelstahl
weiterverfolgt. Metall ist seit jener Zeit auch das Material, das dieser Künstler
am meisten verwendet In vielen Ausstellungen im ln- und Ausland konnte
man immer neue Variationen seiner vertikalen Gestaltungen sehen. Trotz eines
technisch zeitnahen Vokabulars haben diese Figuren immer einen humanen
Duktus bewahrt. Daneben suchte Schagerl aber auch jene gleich einem Atom-
kern aus einem Zentrum wirkenden Kräfte anschaulich werden zu lassen.
Kupfer- und Messingreliefs und -plastiken, „Neue Sonnen", entstehen. Ahn-
Iiche Kräfte sind es auch, die seine neuen großen Chromnickelarbeiten symboli-
sieren, sei es die hier gezeigte Plastik oder die, an denen der Bildhauer eben
arbeitet. In sauberen, ausgewogenen Aufbauten werden die von der Industrie
vorgeformten Rohelemente eingesetzt und zu einem neuen ausdrucksreichen
Sprachschatz verdichtet. Alois Vogel
Mode 71 s Boutique Annabelle
SAULENHOF, 16. UND 17, SEPTEMBER 1970
Vorführung von 60 Modellen für die junge Mode 1970l71, vom Sportmantel
bis zum Abendkleid, aus dem bekannten Modenhaus für die junge Dame.
Austellung "Freie Graphik" von Hans Thomas __
AUSSTELLUNGSRAUM DER BIBLIOTHEK UND KUNSTBLATTERSAMM-
LUNG, 24. SEPTEMBER BIS 29. NOVEMBER 1970
Hans Thomas, 1903 geboren, Schüler der Professoren Steiner, Klinger und
Sterrer in Wien, wirkte durch sechzehn Jahre als Professor an der Graphischen
Lehr- und Versuchsanstalt in Wien. Die künstlerische Voraussetzung in seinen
Bildern ist die Betrachtung der Natur, und seine Absicht ist, die natürlichen
Dinge natürlich wiederzugeben. Und doch ist er kein Naturalist im Sinne des
späten 19. Jahrhunderts oder gar ein lllusionist im Sinne der Photographie.
Auch seine Absicht ist die Erfassung der Realität des Gegenstandes, ohne
dabei aber - und das ist sicher seine besondere Eigenart s symbolisch oder
allegorisch sein zu wollen. Die Voraussetzung seines Realismus ist nicht die
Spekulation oder vorgefaßte Meinung, sondern die Verdichtung des Gesehenen.
Deswegen steigert er und abstrahiert er zugleich. Er steigert wohl einige Details,
ohne den Gesamteindruck des gesehenen Objektes zu zerstören, und er ab-
strahiert oft so weit als nur irgend möglich, oft bis zur Kontur durch eine einzige
Linie, und doch wird die ganze Form nicht in einige Stücke aufgelöst. Er ge-
langt dabei nicht zum Schema einer innewohnenden Grundform, sondern zum
Sucus, dem unbedingt Notwendigen der äußeren Erscheinung des Objektes,
das er dabei von der Individualisierung loslöst und in die Generalisierung
überführt. Darum gibt es wohl auch von ihm zwar viele Darstellungen des
Menschen, aber kein Porträt. Nicht nur die einfache äußere Form des einzelnen
Gegenstandes aber unterliegt bei ihm der Absicht der Abstraktion, sondern
auch der Raum und vor allem die Bewegung. In letzterer geht er am weitesten
über den Begriff des Naturalismus hinaus, wenn er s wie etwa in dem Blatt
„Erwachen" - mehrere Phasen einer Bewegung statisch und bewegungslos
übereinanderzeichnet. In alldem liegt ein eigener Weg und eine eigenartige
Kraft. Das intensive Schauen und eine große Beherrschung sowie Maßhalten
sind dafür sicherlich notwendig. Das Positive daran, abgesehen von der
künstlerischen und ästhetischen Qualität der einzelnen Blätter, ist vor allern
im Vermeiden von Extremen gelegen. Muß die uns umgebende Natur denn
zerschlagen werden, um ihr Wesen zu zeigen?
Thomas zeigt eine Möglichkeit, die Natur im Bild wiederzugeben und doch den
Betrachter zur Betrachtung des Wesens hinzuführen. Gerhart Egger
Literarische Vernissage
SAULENHOF, 24. SEPTEMBER 1970
Nur knapp zwanzig Minuten benötigte Hans Staudacher, der bekannte Kärntner
Maler und Graphiker, für dieses viereinhalb mal drei Meter große Spontan-
gemälde, das er vor kurzem in Verbindung zu Filmprojektionen während einer
„Literarischen Vernissage" (Lesungen von Friedrich Achleitner und Hermann
Jandl) im Museum für angewandte Kunst in Wien herstellte. Die von rund
dreihundert Personen mit großer Aufmerksamkeit verfolgte Aktion fand im
Rahmen der von den Firmen W. Hamburger und A. Mosburger initiierten
Reihe „Tangenten 70" statt, die der Konfrontation zwischen Künstlern und
Repräsentanten der Wirtschaft gilt und mit dem ersten in Österreich veranstal-
teten Wettbewerb für Multiples (Auflagenobjekte) fortgesetzt wurde.
Peter Baum
"Plötzenseer Totentanz" von Alfred Hrdlicka
NEUES HAUS, AUSSTELLUNGSHALLE, 30. SEPTEMBER BIS 11. OKTOBER
1970
Alfred Hrdlickas neuestes zeichnerisches Monumentalwerk, der „Plötzenseer
Totentanz", dieser erst knapp vor Beginn der Ausstellung fertiggestellte Zyklus
aus zwölf grundierten Holztafeln, jede 3,5 m hoch und 1 m breit, ist im Auf-
trag der evangelischen Kirchengemeinde entstanden.
Ein Schuppen auf dem ehemaligen Zuchthausgelände Berlin-Plötzensee, das
war die Stätte, an der in den Jahren des Hitler-Regimes nicht weniger als 1800
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Gegner der Nationalsozialisten hingerichtet worden sind: zuerst durch
Handbeil, dann durch die Guillotine und schließlich, an Fleischerhaken
gezogen, durch den Strick.
Der Kirchenrat der evangelischen Gemeinde Berlin-Charlottenburg VI
durch den an Hrdlicka gegebenen Auftrag an diese Zeit der Schande unc
Grauens erinnern s zum Gedenken der Opfer, zur Mahnung für die Mens
von heute und kommender Generationen. Die Darstellung des entsetzli
Geschehens sollte nach dem Willen der Auftraggeber ebenso wie des Kün
verbunden werden mit Szenen aus der Heiligen Schrift und der unmittell
Gegenwart. Auch wurde Hrdlicka anempfohlen, das Totentanzthema w
aufzunehmen. Dies sollte die Lehre der Bilderfolge sein: der Mensch ist
Menschen nicht nur ein Wolf, er ist des Menschen Tod geworden.
Welches ist der Inhalt der alten Totentänze, zu deren berühmtesten und
testen der von Holbein gehörte? Der Tod führt den Reigen an, Er tanz
jung und alt, hoch und niedrig, mit dem Kind, mit dern Manne, dem Jüng
dem Greis, mit dem Hungrigen, dem Satten, dern Bürger, dem Bauern,
Geistlichen und dem Edelmann. Die Szene bedeutet: Vergiß nicht, da
sterben mußt! Der Totentanz des Mittelalters war allegorisch aufzufasser
Der Tanz, den Hrdlicka schuf, ist in einer anderen Zeit entstanden. Er n
konkret und unmittelbar auf Ereignisse und Eigenheiten dieser Epoche B4
In der Ausstellung waren Entwurfszeichnungen zu sehen, welche der KÜI
eingereicht hatte, darunter ein Blatt, das die Verbrechen geißelt, welche
Arzten in der Hitlerzeit unter dem Namen „Euthanasie" begangen wu
Das Verhör, der Transport, die Hinrichtung, der Häftlingsselbstmord un:
Guillotine sind andere Themen. Der ebenso sensible wie unglaublich
sichere Strich Hrdlickas weiß hier zu höhnen und dort die Tragik, den le
Jammer der Menschenkreatur fühlen zu lassen.
Der große Erzählstil der ebenfalls ausgestellten Radierungen „Karfreitag"
„Das allerneueste Testament" aus dem Zyklus „RoIl over Mondrian" in s
Mischung von biblischem und modernem Geschehen hat Hrdlicka
eigentlich den Auftrag gebracht. Als die Repräsentanten des Kirchenrats
Blätter in einer Ausstellung in Berlin-Steglitz sahen, wußten sie, daß ihm
ein Künstler begegnete, der fähig sein würde, die Aufgabe, welche ihne
Augen schwebte, zu lösen. Das Motiv des Blatts vom Gummitod aus dem Z
„Randolectil", mit dem die Repräsentanten des Kirchenrats gleichfalls
frontiert wurden, ging später nahezu direkt in einen der Teile von Hrdl
Totentanz ein. Details von Marterungen und Züge der Gemarterten aus
.,Karfreitag"-Blatt und dem „Allerneuesten Testament" kehren in kolo:
Vergrößerung und neuer Verarbeitung auf anderen Tafeln wieder.
Im „Plötzenseer Totentanz" spielt der Künstler mit großer Konsequenz
Thema des Todes in der modernen Welt durch. Er scheut keine Kraßheit,
alles daran, Wirklichkeit von der grausamsten Art in die Kirche zu bfll
unterstützt auf diese Weise seine Auftraggeber, denen gerade daran lag
Raum der Andacht als eine Stätte zu konstitutieren, welche in dem, d:
betritt, das Bewußtsein erweckt, sich nicht außerhalb der Welt, sondern
immer mitten in ihr zu befinden.
Die Leiden, von denen die Schrift spricht, ereignen sich bei dem Kii
inmitten von Leid und Schändung des Menschen in der heutigen Zeit
zwölf Tafeln von Hrdlickas Totentanz beginnen mit der Ausrottung
Minderheit, dem Tod durch Gleichgültigkeit, exempliziert an dem Nieder
der Indios, jener brasilianischen Indianer, welche vor dem Angesicht
ungerührt bleibenden und eher das Romantische an dem Geschehen gt
renden Welt (derTod von lndianernl), seit Jahrhunderten langsam dahinste
Sie wurden mit Zangen gezwickt, ein Volk, eine Rasse, welche man auch
noch martert und massakriert.
Dem Tod des Boxers im Ring gilt die nächste Tafel. Der Tod im Showbu:
hat den Boxer ereilt. Der Tod als Puppe mit aufgemaltem Skelett ist der E
partner des vierschrötigen Sprit-tease-Girls, das Hrdlicka in Soho sah
das ihn schon zu dem Blatt im „Randolectil"-Zyklus inspirierte. Der T
Soho bedeutet die zweite Szene vom Tod im Show-Geschäft. Sie ist gew
maßen auch die moderne Fassung des alten Motivs vom Tod und dem Mäd
Der Tod des Demonstranten folgt auf der vierten und fünften Tafel, der ll
der erschlagen wird inmitten der Menschenmenge. Drei weitere Tafeln t
der Kreuzigung, gelten Christus, gelten dem rechten und dem linken Schi
Ihnen allen hat man die Fleischerhaken durch die Handgelenke getri
daran hängen sie nun, gequält und bedroht von den Schergen. Die Szen-
Golgatha ist in eine auf grauenhafte Weise moderne Gegend verlegt.
Jede der Szenen, welche der Künstler darstellt, spielt gleichsam auf
Bühne, die an die Hinrichtungsstätte von Plötzensee erinnert. In einem ki
Gleichnis macht Hrdlicka Christus selber zum Plötzenseer Opfer, Er ist
gekreuzigt, er hängt an den Haken und wird mit dem Bajonett bedroh
Häscher werden ihm mit dem Beil den Kopf abschlagen oder ihn mit den
erwürgen. Auch die Enthauptung des Johannes läßt Hrdlicka unter der Tre
(mit den Haken daran) vor sich gehen, die wie die beiden hochbogigen Fr
vom Plötzenseer Schuppen, welcher aus Ziegeln gebaut ist, sich auf jede
Tafeln findet und so das Ganze zur einheitlichen Komposition zusamme
Das Gegenstück zum Johannes, dessen mit dem Beil abgeschlagenen
der hüllenlose Scherge in der erhobenen Hand hält, ist der Leib des M.
auf der anderen Seite: die Guillotine hat ihm das Haupt vom Körper get
Und zwischen diesen beiden Tafeln finden sich zwei andere, auf dener
Massenhinrichtung vor sich geht. Menschenleiber hängen an den Balke
Hälse in Schlingen, welche, je über einen Haken hinweg, zusammenge:
wurden. Die Zunge quillt aus dem Mund. Eines der Opfer wird von den He
eben (das Stockerl, auf das man es stellte, ist bereits umgestoßen) erdrr
Mit nichts als einem gewöhnlichen Graphitstift und mit Zeichenkohle a
rüstet, schuf Hrdlicka seine Monumentalbilder. Nur hie und da kame
wenig Tusche und Deckweiß hinzu. Der Künstler hat das Schwarz des
und der Kohle als Farben behandelt. Er stuft die Tafeln im Ganzen und die
der Tafeln auf diese Weise gegeneinander ab: dort ganz schwarz, hier wr
schwarz, dort ein Grau, das in ein Violett hinüberzuspielen scheint, hier s:
dort trockenere Töne, besonders eindrucksvoll ist das Hell-Dunkel, wr
dem von Rembrandt verwandt scheint. Klassische Kompositionselel
werden verwendet. Maß und Fülle und Wucht des Vortrags können an
Caravaggvio, einen Tintoretto gemahnen.
Was an Uberlegungen, was an Figur in diesem Zyklus erscheint, ist gan
dem Künstler selber erschaut, hat bei keinem der Meister ein direktes V1
Das Engagement Hrdlickas und die Suggestivität seines Vortrags sind i
groß. Der „Plötzenseer Totentanz" ist eine außerordentliche Leistung, eil
persönliches, eigenwilliges Werk moderner realistischer Kunst. Johann M1