Oskar Kokoschka
MEIN LEBEN --
ERINNERUNGEN
AN ADOLF LOOS
Die Redaktinn dankt dem Brurkmanri
Verlag in Münrllen für die Überlauung
de: folgenden Beilrager, der Puuugen
varahdrurkl, die der in Kürze rrulreinen-
den Autobiographie Orlzar Kokaulrlea,
[WEIN LEBEN, Verlag Bruekmann
Afünrllen, erxlnammerl Jind.
Das Interesse eines besonderen Kreises der
Gesellschaft in Wien für meine Malerei ist aber
erst richtig durch die schöpferisch und kritisch
als erstrangig zu verstehende Persönlichkeit
Adolf Loos' geweckt worden. Ihn in der
Kunstschau 1908 kennengelernt zu haben
war nicht nur für meine Laufbahn, sondern
auch für mein Leben entscheidend. Ich will
nichtunbescheiden sein, aber was Dante über
Virgil sagte, möchte ich von Loos für mich
sagen. Er führte mich durch Himmel und
Hölle des Lebens als treuer Begleiter. Er ist
der bedeutendste Architekt der Moderne ge-
wesen. Corbusier, Gropius, Mies van der
Rohe zollten ihm als Anreger und Vorläufer
ihren schuldigen Tribut. Doch er hat nie
offizielle Aufträge erhalten, die meist an die
Oberbauräte und Staatsarchitekten vergeben
worden sind, bevor ein Preisausschreiben über
die Qualität der eingelangten Entwürfe ent-
scheiden konnte. Adolf Loos hatte so Zeit,
auch mir zu helfen. „Du mußt malen!" Er
hatte einen großen Anhänger- und Bekannten-
kreis und verstand diese Freunde für meine
Arbeit zu interessieren. Es war ein Erlebnis,
ihn zu malen, einem bedeutenden Menschen
und großen Künstler so nahezukommcn. Er
hatte das Steinmetz- und Maurerhandwerk
gelernt, hat aber das Steinmetzgeschäft seines
Vaters nach dessen Tode nicht übernommen.
Trotz seines Baumeisterdiploms liebte er von
sich zu sagen, er sei Maurer und nicht so einer
wie die Architekten, die von Blueprints ar-
beiten. In Amerika hat er als Gelegenheits-
arbeiter, mittellos in Nachtquartieren der Wohl-
fahrtskomitees, ein hartes Leben kennenge-
lernt und die Augen offen gehalten für das,
was die neue Welt ihn in der Baukunst zu
lchren hatte. Der moderne Mensch schafft
seine Umwelt. Weit entfernt von dem Indi-
vidualisten Frank Lloyd Wright, zuchtvoll
blieb er auch als radikaler Neuerer nach seiner
Rückkehr nach Wien, wo er dem Jugendstil
einen erbitterten Kampf ansagte. In seinen
Entwürfen, Schriften und immer überfüllten
öffentlichen Vorträgen über Gehen, Stehen,
Sitzen, Liegen, Kochen opponierte er der
rückständigen Gesellschaft, die zum Teil noch
in den Lebensformen des achtzehnten Jahr-
hundert verharrte. Er opponierte selbst Otto
Wagner und dessen Schule, obwohl dieser
bereits als Haupt der Secession in Amerika
anerkannt worden war. Adolf Loos, als ein-
ziger und erster, beschäftigte sich auch mit
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der sozialen Erziehungsarbeit, die heute noch
schlecht und recht von staatlichen Organi-
sationen, zum Beispiel in England, versucht
wird. Er sagte: „Das Siedlungsproblem bleibt
in der Zeit der Überbevölkerung das drin-
gendste für die Menschheit zu lösen."
ßk
Im Gegensatz zur Pseudorenaissancearchitek-
tur der Viktorianischen Zeit mit ihren falschen
Stuckfassaden, jedoch im Gegensatz auch zur
japanisierenden Ornamentik des Jugendstils,
zeigte er in seinen Entwürfen und den leider
seltenen Bauten, wie aus den klaren Formen
der Tradition der Gebrauchsformen des Hand-
werks, mittels moderner Herstellungsmetho-
den, eine organische Baukunst weiterent-
wickelt werden könnte, die den zeitgemäßen
Lebensbedingungen entspräche. Als Steinmetz
hatte er ein lebendiges Verhältnis zur Schönheit
des Materials, während ihn der Jugendstil, als
bloße „Verschönerung" ungenügend und
noch dazu auf schlechtes Baumaterial appli-
ziert, zum heftigen Widerspruch reizte. Die
sachgemäße Nutzung des Materials selber
sowie die Verwendung der Bauglieder in einer
Formsprache, deren Sinn die Funktionalität
im Raum, wie in der Antike, bleiben muß,
war sein Alpha und Omega. Seine Bibel war
Vitruvius, mit Stolz zeigte er mir eine alte
italienische Ausgabe, die er besaß. Loos ist der
bedeutendste Baumeister der Neuzeit gewesen,
aber man ließ ihn nicht bauen. „Ins Leere
gesprochen" ist der Titel einer seiner letzten
Schriften. Ich hatte ihn in seiner Wohnung
gemalt, wo am Tor des Hauses, in welchem
er fast vierzig Jahre gelebt hat, nicht einmal
eine Gedenktafel an ihn erinnert. Sein Porträt
befindet sich in der staatlichen Sammlung in
West-Berlin. Ihn und Karl Kraus habe ich
ungefähr zur selben Zeit gemalt. Dieses erste
Bild von Karl Kraus, der Geißel Wiens, eines
anderen Abraham a Sancta Clara, ist zu meinem
großen Leidwesen noch immer unauffindbar,
obwohl behauptet worden ist, daß dieses und
das von Bessie Loos von einem russischen Offi-
zier in Berlin kurz nach dem Krieg in der
zerstörten Stadt angeboten wurde. Vielleicht,
daß ein gnädiges Schicksal diese beiden wich-
tigen Bilder in Ost-Berlin oder irgendwo sonst
noch versteckt hält?
als
Der Jugendstil hat eigentlich das Porträt
ignoriert, das Pflanzen- und geometrische
Ornament wurde bevorzugt. Seltsamerweise
hatte man auch einen Grund dafür, sicher
unbewußt, dem Menschenbild auszuweichen,
wie in Übergangszeiten der Vergangenheit
es anderer Gründe bedurft hatte. Ich vermute,
daß Darwins Abstammungslehre unsere Di-
stanz von der verwandten Art der Primaten
zu überraschend verringert hat. Die Vertrau-
lichkeit mit sich selber war einem befremden-
den Gefühl gewichen, als ob man sich bisher
nicht selber richtig gekannt hätte. Auch ich
war davon mehr beeindruckt, als ich zugeben
wollte, weshalb ich eigensinnig gerade mit
Porträtmalen begonnen habe, um den Men-
schen genau auf die Finger sehen zu können,
sie in ihren Eigenschaften kennenzulernen,
um mit dieser Gesellschaft, in der ich nun zu
leben hatte, vertraut zu werden. Was immer
man von meinem Humanismus behauptet, ich
liebe die Menschheit eigentlich nicht, sehe sie
vielmehr als ein Phänomen, wie einen Blitz
aus dem heiteren Himmel, eine Schlange im
Gras. Die Bocksprünge der Menschcnseele,
die Tragik, das Sublimc, aber auch das Triviale
und Lächerliche der Menschenkreatur zogen
mich an, wie es den Besucher zum Zoologi-
schen Garten zieht, um das Dasein seiner
Ahnen zu beobachten oder, anders gesagt,
wie der Naturforschcr Steine, Pflanzen und
Fossilien untersucht, um Daten zu sammeln.
Jedem meiner Modelle jener Zeit hätte ich
auch ein Schicksal voraussagen können, wie
für die Soziologen die Umweltbedingungen
den angeborenen Charakter verändern, wie
Boden und Klima das Wachstum sogar einer
Topfpflanze bedingen.
Doch, um mit den Menschen darüber zu reden,
was ich in ihnen sah, dafür gab es keine ge-
meinsame Sprache, für mich selber wußte ich
meine Einsichten nicht anders als im Malen
auszudrücken. Die Form der offiziellen Por-
trätkunst war natürlich verschieden, entweder
auf glatte Schönheit gerichtet oder mit Hinsicht
auf die gesellschaftliche Bedeutung des Dar-
gestellten orientiert. Selbst „L'art pour Part"
als Programm hätte mich damals nicht be-
friedigt. Natürlich hatte ich die gesamte
Presse, das Urteil der Gesellschaft gegen mich,
sehr zu meinem Glückl Und glücklicherweise
entkam ich auch dem Einfluß der irnpressio-
nistischen Mode, die ein potentielles wissen-
schaftliches Element im trächtigen Schoß zu
halten schien, das in der nächsten, desillusi0-
nierten Epoche abgestoßen wurde wie ein
unfruchtbares Gewächs.
Ich hätte nicht jedermann als Modell annehmen
können, der willig war, sich malen zu lassen.
Noch heute fühle ich vor einer neuen Lein-
wand eine Art von Horror vacui so lange, bis
ich hinter deren präparierter Fläche, wie ab-
sichtslos, die Vision, dem inneren Gesicht
erst sichtbar, halb noch unentzifferbar, zum
Erscheinen bringen kann.
Daß Loos in meinen Bildern Kunstwerke sah,
habe ich kaum verstanden und faßte cs als
Schmeichelei auf. Er bestärkte mich eher, in
meiner Ansicht zu beharren, daß ich nicht
Routine oder Theorien zu verfolgen hätte,
sondern daß ich mit meiner Malerei eine Basis
finden sollte zum Verständnis meiner Rolle in
der Umwelt, Selbsterkenntnis. Im Wesent-
lichen möchte ich vom Expressionismus sagen,
daß er in dieser Weise von jedem schöpfe-
rischen jungen Menschen damals verstanden
worden ist. Die heutigen Aussagen über Exa-
pressionismus sind vollkommen irreführend,
weil sie am Kern vorbeigehen. Es gibt keinen
deutschen, keinen französischen, keinen ameri-
kanisch-englischen Expressionismus, es gibt
nur den der Jugend, die sich in der Umwelt
zurechtzufinden sucht.
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Adolf Loos war ein Mensch voller Wider-
sprüche. Trotz aller Empörung über das Un-
verständnis seiner Zeitgenossen, „ins Leere