„]edesmal, wenn sich die Baukunst immer und
immer wieder durch die Kleinen, durch die
Ornamentiker, von ihrem großen Vorbilde
entfernt, ist der große Baukünstler nahe, der
sie wieder zur Antike zurückführt," schrieb
Adolf Loos 1910, und wie Schinkcl war auch
er ein „Über-Architekt, der große Geist, der
die Baukunst von den fremden Zutaten befreite
und uns die reine klassische Bauweise wieder-
gab." Er war der große Reformator, der den
strengsten Maßstab anlegte und nur gelten
ließ, was als wahrhaftig und echt erkenntlich
war. Aber er mußte es erleben, daß sein Beispiel
und seine Lehre von seinen künstlerischen
Gegnern in eine falsche Lehre umgemünzt
wurden.
Obwohl er ausdrücklich sagte, daß er Revolu-
tionen vermeiden wolle, da er Evolutionist sei,
wurde er zum Revolutionär abgestempelt.
„Ist es nicht auffallend, daß die kühnsten
Neuerer, also die tüchtigsten Menschen, auch
die tiefste Verehmng für die Werke ihrer
Vorfahren bekunden?" fragte Loos 1898 und
bekannte: „Eigentlich nicht, denn die Tüchtig-
keit kann nur wieder von der Tüchtigkeit
gewürdigt werden." Trotzdem gibt es immer
wieder Menschen, die dafür kein Verständnis
haben und denen der vermeintliche Zwiespalt
im Schaffen Adolf Loos" geistiges Unbehagen
bereitet. Für Loos aber war „Kultur jene
Ausgeglichenheit des inneren und äußeren
Menschen, die allein ein vernünftiges Denken
und Handeln verbürgt."
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Er formulierte seine Reformideen sehr deutlich:
„An die Stelle der auf unseren Hochschulen
gelehrten Bauweise, die teils aus der Adap-
tierung vergangener Baustile auf unsere Le-
bensbedürfnisse besteht, teils auf das Suchen
nach einem neuen Stil gerichtet ist, will ich
meine Lehre setzen: die Tradition.
Das Heute baue sich auf das Gestern auf, so
wie sich das Gestern auf das Vorgestern auf-
gebaut hat. Nie war es anders - nie wird es
anders sein. Es ist die Wahrheit, die ich lehre.
Fürchte nicht, unmodern gescholten zu werden!
Denn die Wahrheit, und sei sie Hunderte von
Jahren alt, hat mit uns mehr inneren Zu-
sammenhang als die Lüge, die neben uns
schreitet."
Es ist also nicht jene Tradition mit Gänse-
füßchen aufgerufen, die Karl Kraus mit
Schlamperei gleichgesetzt hatte. Inmitten all-
gemeiner Zeitverleugnung und Fin-de-siecle-
Stimmung war der Loos'sche Traditionalismus
ausgezeichnet durch völlige Übereinstimmung
mit seiner eigenen Zeit. Rückwättsgewandtheit
und Trauer nach einer guten alten Zeit waren
ihm so fremd wie utopische Visionen: „Unsere
Zeit ist schön, so schön, daß ich in keiner
anderen leben wollte. Unsere Zeit kleidet sich
schön, so schön, daß ich, wenn ich die Wahl
hätte, mir das Gewand irgendeiner Zeit an-
zuziehen, freudig nach meinem eigenen Ge-
wand griffe. Es ist eine Lust zu leben!"
Unwillkürlich erinnert man sich der Über-
Zeugung Leibnizens, daß die Welt die voll-
kommenste aller möglichen Welten sei,
wesentlichen Grundlage für die selbstsii
starke und harmonische Kultur des l
barocks.
Ganz offenbar bedeutete für Loos Tra
mehr als bloß die Übernahme obcrfläch
Formen und Formeln. Er suchte den W
grund, zu dem er durchdringen wollt:
daraus neue Kraft zu schöpfen. Nur in d
Sinne war Loos radikal, und revolutionä
er nur, weil er inmitten allgemeiner Aufl-
Sammlung predigte und im allgemeinen
sturz Evolution erstrebte.
In der beginnenden technischen Revo
versuchte Loos „die gräko-romanischen l
gründe dem Bewußtsein jener Vielzu
nahe zu bringen, die in dem Wahne li
ihrer nicht mehr zu benötigen und
getrost vergessen zu dürfen, daß sie
Aristoteles, Pythagoras, Archimedes, Eul
ja auch nur ohne einen einzigen von
keine Autobahn, keinen Wolkenkratzer,
Brücke und keinen Staudamm bauen köi
Keinen Meter davon, keinen Zenti
(Urzidil)".
Loos vermerkte befremdet, daß 1924
gerechnet der Dekan der philosophi
Fakultät in Paris, Brunot, den Wert des
sischen Geistes verneint und der Modern
Wort geredet hatte, „das modernste Lanc
Amerika, hat durch seinen Präsidenten 1
Coolidge die klassische Bildung in einer l
Rede verteidigt". Loos fand darin seine z