erhalten blieb, anhand einer „Historisd-ien Er-
klärung und einer Nachzeichnung in der Mähri-
schen Galerie Brünn (Abb. 12) aber in großen
Zügen rekonstruiert werden kann 7. K. Garas
bezieht außerdem eine Detailskizze in der Pra-
ger Nationalgalerie, von der noch die Rede sein
wird, auf das Fresko von Klosterbruck. Die
prächtigen Büchergestelle der Bibliothek in Klo-
sterbrud-t waren nach der Aufhebung des Prä-
monstraterisersriftes 1791 von Wenzel Joseph
Mayer, dem Abt des böhmisdien Bruderklosters
Strahov bei Prag, erworben worden. Die neue
Stiftsbibliothek, die zu diesem Zweck erhöht
werden mußte, sollte auf Wunsch des Abtes je-
doch niclit nur die Büchergestelle des aufgeho-
benen Klosters aufnehmen, sondern auch Dek-
kengemälde nadi dem Muster der dortigen
Fresken erhalten. Nach längeren Verhandlun-
gen erklärte sich Maulbertsch selbst, der sdion
Klosterbrudt ausgemalt hatte, zur Ausführung
bereit. Die enge Beziehung zwisd1en beiden
Bibliotheksfresken zwingt dazu, zur Beschrei-
bung und Entschlüsselung unseres Bildes beide
Werkkomplexe, Strahov wie Klosterbrudt, her-
anzuziehen.
Auf dem Augsburger Bild verteilen sich ober-
halb eines schmalen, umlaufenden und in den
Edten konsolenartig vorkragenden Gesimses
zahlreiche Gruppen und Einzelfiguren längs
ier vier Seiten, so daß das Gemälde vier Haupt-
Jnsichten aufweist. Eine fünfte Gruppe in der
Mitte des Bildes ist zur red-iten Längsseite hin
orientiert. Das Bildprogramm beginnt in der
rechten unteren Edte, führt bis zur oberen
Edte und setzt sich auf der gegenüberliegenden
Seite, wieder von unten nach oben, fort. In
Strahov ebenso wie in Klosterbrudt liegt der
Haupteingang zur Bibliothek in der Scl1mal-
wand zwischen diesen beiden Anfangspunkten,
so daß der Besucher beim Betreten des Raumes
beiderseits vom Ablauf der Bilderfolge beglei-
tet wurde. Die Darstellungen auf beiden
Schmalseiten (über dem Haupteingang und die-
sem gegenüber) schließen sidi thematisch an.
Den Beschluß bildet die Mittelgruppe. Sowohl
die Fresken als audi die Gesamtskizzen in Prag
und Augsburg sind also nicht in kontinuierlicher
Folge, etwa im Uhrzeigersinn, abzulesen. Sie
setzen ein ständiges Hin- und Herwandern im
Raum oder ein wiederholtes Drehen der Bilder
voraus. Der Betrachter ist gezwungen, die ein-
zelnen Partien und Gruppen gegeneinanderzu-
halten, untereinander zu verbinden und auf-
einander zu beziehen. Andernfalls entgeht ihm
der Sinn des Programms.
Den Anfang der Augsburger Darstellung bil-
den - im Halbdunkel kaum zu erkennen -
zwei verschleierte Gestalten, die Steine auflesen,
um sie hinter sich zu werfen: Deukalion, der
Sohn des Prometheus, und seine Frau Pyrrha.
Zeus hatte ihnen, die in einem hölzernen Ka-
sten vor der Sintflut gerettet worden waren,
den Auftrag erteilt, „die Gebeine ihrer Mutter"
hinter sich zu werfen und dadurch die Erde
wieder zu bevölkern. Die Steine, dieses Gebein
der Mutter Erde, verwandelten sich in Männer
und Frauen, aus denen das Gesd1ledit der
Hellenen hervorging. Auf dem Bild sind sie, in
schwad1en Umrissen, als drei Kinder dargestellt.
Die nächste Gruppe zeigt zwei Kenrauren,
den einen in die dunkle Bildtiefe galoppierend,
den anderen aus einer bauchigen Flasche trin-
20
kend. Am Boden liegen ein leerer Weinkrug
und ein Stab, aus dem Hintergrund taucht eine
weitere Gestalt auf. Diesen Tiermenschen stellt
sich Bukephalos, das Lieblingsroß Alexanders
des Großen, entgegen. Vom hellen Licht um-
flutet, bäumt es sich in edler Haltung empor.
Sein Herr, die Hauptfigur dieser Bildseite,
trägt kostbare Rüstung und einen wallenden
Feldherrnmantel in leuchtendem Rot, den ein
Mohrenpage hält (Abb. 5). Erwartungsgemäß
sitzt ihm gegenüber Diogenes in der Höhlung
des Fasses. Halbnackt, mit abwehrender Ge-
bärde, nichts wünschend, als daß der Mächtige
ihm aus der Sonne gehe, deren Strahlen sein
Buch treffen, bildet er den schärfsten Kontrast
zur Alexandergruppe. Ihm gesellen sich der
Spötter Phanias zu, der sich belustigt über das
Faß zurücklehnt und den Fuß auf den Globus
aufsetzt, Heraklit von Ephesus, wegen des
Tiefsinns seiner Lehre und seines tragischen
Ernstes der „weinende Philosoph" genannt, der
sidi über die Erdkugel beugt und die Tränen
abwischt, schließlich in Rüd-tenansicht der Zy-
niker Krates von Theben, der aus einem Gefäß
Gold ins Meer schüttet. Wen die Orientalen im
Hintergrund darstellen, ist sowenig auszuma-
chen wie die Namen der drei am Ufer sitzen-
den Männer redits. Der eine lehnt sich nach
vorn, der andere blidtt zur Mittelgruppe, der
dritte schaut abgewandten Gesichts in die Ferne
zur Hauptgruppe der ansdiließenden Schmal-
seite mit der Predigt des hl. Paulus. Ein weiter,
kahler und dämmernder Felsenhintergrund
verbindet die Gruppen miteinander.
Auf der Langseite gegenüber beginnt die Hi-
storie mit dem Ausblick auf ein baumreiches
Gebirgsland. Nach Aussage beider Programm-
texte ist darunter Ägypten zu verstehen, das
Vaterland so vieler Künste, „welches ihren
eigenen Boden benützet und die Früdtte seines
Fleißes anderen bedürftigen Völkern mitthei-
1er". Bei näherer Betrachtung läßt sich vor
der Silhouette des höchsten Berges eine Sphinx
erkennen. In der Hauptgruppe (Abb. 4) fällt
die bärtige Gestalt eines halbnackten Greises
mit Laubkranz im Haar auf: Äskulap, der Gott
der Heilkunde, erkennbar an seinem Schlangen-
stab. Unsicher ist die Benennung der übrigen
Figuren. Der majestätische Alte in der Mitte,
ausgezeichnet mit Sdiriftrolle, Ehrenkette und
schimmerndem Gewand, könnte der Philosoph
Aristoteles sein, dem beide Programme präch-
tige Kleidung attestieren. Auch „Solon, der be-
liebte Gesätzgeber einer freyen Republik in
Athen", mag angesichts des zeusähnlichen
Hauptes in Betracht gezogen werden. Vielleicht
darf man in dem sitzenden kahlköpfigen Alten,
der mit der Feder in ein großes Buch schreibt,
Sokrates erblidten, zumal vor ihm auf dem
Boden ein großes Glas, vielleicht der Sd-iier-
lingsbedier, steht. Auf der Brünner Nadizeich-
nung des Freskos in Klosterbruck (Abb. 12) da-
gegen gibt er sich, durch Kubus und Konus
charakterisiert, als Pythagoras von Samos zu
erkennen. Nicht identifizieren lassen sich die im
Dunkel rechts und die vom Rücken gesehene
Männerfigur im Vordergrund. Aus den Pro-
grammen stehen zur Wahl: Hypokrates, Ga-
lenus, Solon, Lykurg, Kleobolus, Kleoboline,
Anaxagoras, Pythagoras. Der kniende Mann,
der mit dem Zirkel auf Papier am Erdboden
zeichnet, stellt den Mathematiker Archimedes
ANMERKUNGEN
1 F. A. Maulbertsdi, Die Offenbarun der gariiidien wen.
heit (vor der Restaurierung). Augs urg. Deutsch: Barodt-
galerie _
z r. A. Maulbertsdi, Dir orirniiarung der göttlichen weir-
heir. Prag, Nariunaigairrie
1 Martin Johann Sdirnidr, enai-ini Krerurersdiiiiidr (1718-1201)
Susanna im iiade, Jnerpii und Potiphats Weib. o1 auf Lein-
wand, je 59x78; ein, gerahmt von aufgcpttßten vergol
deren Studttanken auf grünem Grund. Vom Pztamenteti-
sdirank der ehem. Kartausc Aggsbach (Niederösterreich), 1760
Vgl. F. Dworschak, R. Feuditmüller, K. Garzarolli-Thurn-
iadrh, J. zyiraii, Der Maler Martin johann sdiinidr. Wirt
1955, S. 148, 247, T1. 25, sowie G. P. wriedtel, Zur Eröifnun;
der Deursrhen Barotkgalerie in Augsburg ain z. Mai 1970
Kunsidirrinik, 23, 1970, s. 31316.. besonders S. 319.
l Franz Anton Maulbcrtsd1, geraufi am 7. Juni 1724 in Lan
genargen am Bodensee, gestorben arn 7. August 179a in wien
Der Bayerisdien Hypothekcn- und Wcdiscl-Bank sei audr at
dieser Stelle nodimals für ihre verständnisvolle Unterstiitzuni
der Deutschen Barockgaleric gedankt.
' Christie, Manson ßt Woods, Catalogue of lmportant Picture-
iiy oid Masten (Auktion 1o. A ri1 1970). s. 49, Nr. 117 mll
Abb. Die dort angegebenen Malir (1417 x am Cm) sind er
beridirigeii in 151 x 71,5 cm.
Um den Ankauf des Bildes hat sidi Dr. Kurt Rossadier
Salzburg, verdient gninadir.
IK. Garas, Frau-i Anton Maulbertsch, Wicnvßudapest 19m
S. 230, Nr. 3x2. - G. P. Vlneultel, a. a. 0., S. 319 f.
Nach Absdiluß des Manuskripts wurde mir die Arbeit vor
P. Prciss bekannt: Frcska F. A. Maulbertsdie v: Filosofiltärr
seile Strahovske knihovny (Das Fresko von F. A. Maulbertsd
im Philosophisdien Saal der Strahover Bibliothek zu Prag)
in: srraiinvrira knihovna, ii, Prag 1967, s. 217 ff. (niii deut-
sdier Zusammenfassun ). Der Verfasser bezieht darin dir
damals in London b: indlidii: Au sbutger Ulskizze bereit:
auf das zerstörte Fresko in Kloster rudt, anstatt, bis bisht-i
angenommen, auf Straliov. Audi hinsichtlidi der Einordnung
der Detailskizze in der Prager Nationalgalerie kommt ei
zu denselben Ergebnissen, ährend er die jmeph Winterhalm
zuzusdireibende DCKlllSlUllE in Budapest als eigenhandigr
Teilstudie Maulbertsdis iur die Augsburger Gesamtskizle be-
rraditet.
'K. Garas. a. a. 0.. S. 157, Nr. 1110, 311i.
' „Historische Beschreibung der von Anton Maulbertsch k. k.
Karnmermahler, Mitglied: der Wiener und Berliner Akademit
am Bibliotheksgewölhe der käniglidien Prämonstratenst-r-
ordens-Kanonic ain Berge Sinn zu Prag, im Jahre 1794 in
einem einzigen zusammenhängenden Platfond in Fresko dar-
gestellten Kalkmahletcy. Unter Wcnzel Joseph Mayer, im
itzsnigreidi Böhmen Priiiaii-n. Prag 1797" (K. Garas. a. a 0
s. 271219). Von dierer gedrudrirn Ausgabe weidit ein 14 . -
ten starkes Manuskript im llrsiti. der Stiftsbihliotliek Strahov
in inriireren Punkten ab. Aus drin 1x Seiten langen „Vor-
iieridir- geht hervor, iiaß das Manuskript nndi zu Lebzeiten
Maulbertsizhs angrirriigi wurde und dein Imprimaturvetmetk
zufolge als Grundlage für die Budnusgabe von 1797 diente.
oer Votberidit fehlt in drr Budiausgabe. iin Manuskript
fehlt der Hinweis auf Kaiser Franz ll. und dessen Kampf
gegen die ,Witheiiden Ncufranltcn". (Vgl. auch P. Preiis.
a. a. 0., s. 212. Für die Anfertigung einer Fotokopie des
Manuskripts danke idi Frau Dr. Elisa Fucikova und dem
Institut de Uiforie et d'Histoire de l'Art in Prag.
l J-Iisrorisdie Erklärung der Kaldtmahlerey in Freßko, welche
in dein iriinigiidien Stift Bruck an der Taja der regulirten
Chorherren von Pramonstrat, auf dem Gewölbe des dasicgen
Eiid-iersnals, dessen Durchmesser in der Länge 19. in dt-t
Breite s. Klaftcr enthält, in einen einzigen ruearnhangendnn
Platfond Anton Maulpertsdi k. k. Kammetmahler, Mitgliedc,
und Rarh der Wiener Akademie der Künsten im ahrc 1778.
Herbstmonates verfettigt hat. . . . Ziiaym, gcdru t bey An-
ton Johann Preyß privil. Budidrudter". Auf dem Exemplar
in der Stiftsbibliorhek Siraliov ist handsdiriftlidi ,.P. Nor-
bert Korber. t. tur- als Verfasser angegeben. Für die An-
fcrtigung einer Fotokopie audi dieses Exemplars danke idi
wiederum Frau Dr. Elisa Fueikova. Prag.
Zum Fresko in Klosxerbrudt vgl. K. Garas, a. a. 0., S. ll6ff.,
221 (Nr. 102, 103), 257 ü. Fig. 11, Abb. 246, sowie P. Preiss,
a. a. 0., S. 231 ff.
Die Nadieeidinung Joseph Wintcthaltcrs in der Miilirisdien
Galerie Btiinn aus dem jahrc 1792 (Feder laviert, Papier.
lnv.-Nt. B46, YJX 48,3 cm) enthält auf der Vordet- und
Rüdtseite raiiireidie eigenhändige Notizen über Maulbettsdix
Fresko, z. 11.. Rundstab . . ., blaue lufr, Vorhang, engl mit
Mosytafel, gebäude; auf drr iwdreeiie Farbangaben zu den
Gewändern; ferner die wohl von Ct-rtoni angebrachte Auf-
sdirift: Junge Winterhaldcr _ winrerhaidrr Jnniur.
Für Foto und Angaben danke ich Dr. Helena Kusäkorc-
Kuozovä und der Mährisdit-ii Galerie in Brünn.
i Historisdie Erklärung. . . a. a. 0.. 177a. Nr. 7a.
'Für die eingehende redinningirdie unrerrueiiung danke idi
Herrn Restaurator Bodo Beier. Städt. Kunstsammlungen
Augsburg, ferner Dr. n. Kühn und den Mitarbeitern des
Donner-Institutes Mündiui. Bodo Beier übernahm audi die
Reinigung und Restaurierung der Im oanaen wohlerhaltenen
Bildes. Für weitere maltedinisdic Auskünfte bin ich den Her-
ren Dr. Haiir Aurenhairirner und Erieii ßlaiui in wien und
Dr. Pzvel Preis: in Prag zu uanir verpflichtet.