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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVI (1971 / Heft 115)

erhalten blieb, anhand einer „Historisd-ien Er- 
klärung und einer Nachzeichnung in der Mähri- 
schen Galerie Brünn (Abb. 12) aber in großen 
Zügen rekonstruiert werden kann 7. K. Garas 
bezieht außerdem eine Detailskizze in der Pra- 
ger Nationalgalerie, von der noch die Rede sein 
wird, auf das Fresko von Klosterbruck. Die 
prächtigen Büchergestelle der Bibliothek in Klo- 
sterbrud-t waren nach der Aufhebung des Prä- 
monstraterisersriftes 1791 von Wenzel Joseph 
Mayer, dem Abt des böhmisdien Bruderklosters 
Strahov bei Prag, erworben worden. Die neue 
Stiftsbibliothek, die zu diesem Zweck erhöht 
werden mußte, sollte auf Wunsch des Abtes je- 
doch niclit nur die Büchergestelle des aufgeho- 
benen Klosters aufnehmen, sondern auch Dek- 
kengemälde nadi dem Muster der dortigen 
Fresken erhalten. Nach längeren Verhandlun- 
gen erklärte sich Maulbertsch selbst, der sdion 
Klosterbrudt ausgemalt hatte, zur Ausführung 
bereit. Die enge Beziehung zwisd1en beiden 
Bibliotheksfresken zwingt dazu, zur Beschrei- 
bung und Entschlüsselung unseres Bildes beide 
Werkkomplexe, Strahov wie Klosterbrudt, her- 
anzuziehen. 
Auf dem Augsburger Bild verteilen sich ober- 
halb eines schmalen, umlaufenden und in den 
Edten konsolenartig vorkragenden Gesimses 
zahlreiche Gruppen und Einzelfiguren längs 
ier vier Seiten, so daß das Gemälde vier Haupt- 
Jnsichten aufweist. Eine fünfte Gruppe in der 
Mitte des Bildes ist zur red-iten Längsseite hin 
orientiert. Das Bildprogramm beginnt in der 
rechten unteren Edte, führt bis zur oberen 
Edte und setzt sich auf der gegenüberliegenden 
Seite, wieder von unten nach oben, fort. In 
Strahov ebenso wie in Klosterbrudt liegt der 
Haupteingang zur Bibliothek in der Scl1mal- 
wand zwischen diesen beiden Anfangspunkten, 
so daß der Besucher beim Betreten des Raumes 
beiderseits vom Ablauf der Bilderfolge beglei- 
tet wurde. Die Darstellungen auf beiden 
Schmalseiten (über dem Haupteingang und die- 
sem gegenüber) schließen sidi thematisch an. 
Den Beschluß bildet die Mittelgruppe. Sowohl 
die Fresken als audi die Gesamtskizzen in Prag 
und Augsburg sind also nicht in kontinuierlicher 
Folge, etwa im Uhrzeigersinn, abzulesen. Sie 
setzen ein ständiges Hin- und Herwandern im 
Raum oder ein wiederholtes Drehen der Bilder 
voraus. Der Betrachter ist gezwungen, die ein- 
zelnen Partien und Gruppen gegeneinanderzu- 
halten, untereinander zu verbinden und auf- 
einander zu beziehen. Andernfalls entgeht ihm 
der Sinn des Programms. 
Den Anfang der Augsburger Darstellung bil- 
den - im Halbdunkel kaum zu erkennen - 
zwei verschleierte Gestalten, die Steine auflesen, 
um sie hinter sich zu werfen: Deukalion, der 
Sohn des Prometheus, und seine Frau Pyrrha. 
Zeus hatte ihnen, die in einem hölzernen Ka- 
sten vor der Sintflut gerettet worden waren, 
den Auftrag erteilt, „die Gebeine ihrer Mutter" 
hinter sich zu werfen und dadurch die Erde 
wieder zu bevölkern. Die Steine, dieses Gebein 
der Mutter Erde, verwandelten sich in Männer 
und Frauen, aus denen das Gesd1ledit der 
Hellenen hervorging. Auf dem Bild sind sie, in 
schwad1en Umrissen, als drei Kinder dargestellt. 
Die nächste Gruppe zeigt zwei Kenrauren, 
den einen in die dunkle Bildtiefe galoppierend, 
den anderen aus einer bauchigen Flasche trin- 
20 
kend. Am Boden liegen ein leerer Weinkrug 
und ein Stab, aus dem Hintergrund taucht eine 
weitere Gestalt auf. Diesen Tiermenschen stellt 
sich Bukephalos, das Lieblingsroß Alexanders 
des Großen, entgegen. Vom hellen Licht um- 
flutet, bäumt es sich in edler Haltung empor. 
Sein Herr, die Hauptfigur dieser Bildseite, 
trägt kostbare Rüstung und einen wallenden 
Feldherrnmantel in leuchtendem Rot, den ein 
Mohrenpage hält (Abb. 5). Erwartungsgemäß 
sitzt ihm gegenüber Diogenes in der Höhlung 
des Fasses. Halbnackt, mit abwehrender Ge- 
bärde, nichts wünschend, als daß der Mächtige 
ihm aus der Sonne gehe, deren Strahlen sein 
Buch treffen, bildet er den schärfsten Kontrast 
zur Alexandergruppe. Ihm gesellen sich der 
Spötter Phanias zu, der sich belustigt über das 
Faß zurücklehnt und den Fuß auf den Globus 
aufsetzt, Heraklit von Ephesus, wegen des 
Tiefsinns seiner Lehre und seines tragischen 
Ernstes der „weinende Philosoph" genannt, der 
sidi über die Erdkugel beugt und die Tränen 
abwischt, schließlich in Rüd-tenansicht der Zy- 
niker Krates von Theben, der aus einem Gefäß 
Gold ins Meer schüttet. Wen die Orientalen im 
Hintergrund darstellen, ist sowenig auszuma- 
chen wie die Namen der drei am Ufer sitzen- 
den Männer redits. Der eine lehnt sich nach 
vorn, der andere blidtt zur Mittelgruppe, der 
dritte schaut abgewandten Gesichts in die Ferne 
zur Hauptgruppe der ansdiließenden Schmal- 
seite mit der Predigt des hl. Paulus. Ein weiter, 
kahler und dämmernder Felsenhintergrund 
verbindet die Gruppen miteinander. 
Auf der Langseite gegenüber beginnt die Hi- 
storie mit dem Ausblick auf ein baumreiches 
Gebirgsland. Nach Aussage beider Programm- 
texte ist darunter Ägypten zu verstehen, das 
Vaterland so vieler Künste, „welches ihren 
eigenen Boden benützet und die Früdtte seines 
Fleißes anderen bedürftigen Völkern mitthei- 
1er". Bei näherer Betrachtung läßt sich vor 
der Silhouette des höchsten Berges eine Sphinx 
erkennen. In der Hauptgruppe (Abb. 4) fällt 
die bärtige Gestalt eines halbnackten Greises 
mit Laubkranz im Haar auf: Äskulap, der Gott 
der Heilkunde, erkennbar an seinem Schlangen- 
stab. Unsicher ist die Benennung der übrigen 
Figuren. Der majestätische Alte in der Mitte, 
ausgezeichnet mit Sdiriftrolle, Ehrenkette und 
schimmerndem Gewand, könnte der Philosoph 
Aristoteles sein, dem beide Programme präch- 
tige Kleidung attestieren. Auch „Solon, der be- 
liebte Gesätzgeber einer freyen Republik in 
Athen", mag angesichts des zeusähnlichen 
Hauptes in Betracht gezogen werden. Vielleicht 
darf man in dem sitzenden kahlköpfigen Alten, 
der mit der Feder in ein großes Buch schreibt, 
Sokrates erblidten, zumal vor ihm auf dem 
Boden ein großes Glas, vielleicht der Sd-iier- 
lingsbedier, steht. Auf der Brünner Nadizeich- 
nung des Freskos in Klosterbruck (Abb. 12) da- 
gegen gibt er sich, durch Kubus und Konus 
charakterisiert, als Pythagoras von Samos zu 
erkennen. Nicht identifizieren lassen sich die im 
Dunkel rechts und die vom Rücken gesehene 
Männerfigur im Vordergrund. Aus den Pro- 
grammen stehen zur Wahl: Hypokrates, Ga- 
lenus, Solon, Lykurg, Kleobolus, Kleoboline, 
Anaxagoras, Pythagoras. Der kniende Mann, 
der mit dem Zirkel auf Papier am Erdboden 
zeichnet, stellt den Mathematiker Archimedes 
ANMERKUNGEN  
1 F. A. Maulbertsdi, Die Offenbarun der gariiidien wen. 
heit (vor der Restaurierung). Augs urg. Deutsch: Barodt- 
galerie _ 
z r. A. Maulbertsdi, Dir orirniiarung der göttlichen weir- 
heir. Prag, Nariunaigairrie 
1 Martin Johann Sdirnidr, enai-ini Krerurersdiiiiidr (1718-1201) 
Susanna im iiade, Jnerpii und Potiphats Weib. o1 auf Lein- 
wand, je 59x78; ein, gerahmt von aufgcpttßten vergol 
deren Studttanken auf grünem Grund. Vom Pztamenteti- 
sdirank der ehem. Kartausc Aggsbach (Niederösterreich), 1760 
Vgl. F. Dworschak, R. Feuditmüller, K. Garzarolli-Thurn- 
iadrh, J. zyiraii, Der Maler Martin johann sdiinidr. Wirt 
1955, S. 148, 247, T1. 25, sowie G. P. wriedtel, Zur Eröifnun; 
der Deursrhen Barotkgalerie in Augsburg ain z. Mai 1970 
Kunsidirrinik, 23, 1970, s. 31316.. besonders S. 319. 
l Franz Anton Maulbcrtsd1, geraufi am 7. Juni 1724 in Lan 
genargen am Bodensee, gestorben arn 7. August 179a in wien 
Der Bayerisdien Hypothekcn- und Wcdiscl-Bank sei audr at 
dieser Stelle nodimals für ihre verständnisvolle Unterstiitzuni 
der Deutschen Barockgaleric gedankt. 
' Christie, Manson ßt Woods, Catalogue of lmportant Picture- 
iiy oid Masten (Auktion 1o. A ri1 1970). s. 49, Nr. 117 mll 
Abb. Die dort angegebenen Malir (1417 x am Cm) sind er 
beridirigeii in 151 x 71,5 cm. 
Um den Ankauf des Bildes hat sidi Dr. Kurt Rossadier 
Salzburg, verdient gninadir. 
IK. Garas, Frau-i Anton Maulbertsch, Wicnvßudapest 19m 
S. 230, Nr. 3x2. - G. P. Vlneultel, a. a. 0., S. 319 f. 
Nach Absdiluß des Manuskripts wurde mir die Arbeit vor 
P. Prciss bekannt: Frcska F. A. Maulbertsdie v: Filosofiltärr 
seile Strahovske knihovny (Das Fresko von F. A. Maulbertsd 
im Philosophisdien Saal der Strahover Bibliothek zu Prag) 
in: srraiinvrira knihovna, ii, Prag 1967, s. 217 ff. (niii deut- 
sdier Zusammenfassun ). Der Verfasser bezieht darin dir 
damals in London b: indlidii: Au sbutger Ulskizze bereit: 
auf das zerstörte Fresko in Kloster rudt, anstatt, bis bisht-i 
angenommen, auf Straliov. Audi hinsichtlidi der Einordnung 
der Detailskizze in der Prager Nationalgalerie kommt ei 
zu denselben Ergebnissen, ährend er die jmeph Winterhalm 
zuzusdireibende DCKlllSlUllE in Budapest als eigenhandigr 
Teilstudie Maulbertsdis iur die Augsburger Gesamtskizle be- 
rraditet. 
'K. Garas. a. a. 0.. S. 157, Nr. 1110, 311i. 
' „Historische Beschreibung der von Anton Maulbertsch k. k. 
Karnmermahler, Mitglied: der Wiener und Berliner Akademit 
am Bibliotheksgewölhe der käniglidien Prämonstratenst-r- 
ordens-Kanonic ain Berge Sinn zu Prag, im Jahre 1794 in 
einem einzigen zusammenhängenden Platfond in Fresko dar- 
gestellten Kalkmahletcy. Unter Wcnzel Joseph Mayer, im 
itzsnigreidi Böhmen Priiiaii-n. Prag 1797" (K. Garas. a. a 0 
s. 271219). Von dierer gedrudrirn Ausgabe weidit ein 14 . - 
ten starkes Manuskript im llrsiti. der Stiftsbihliotliek Strahov 
in inriireren Punkten ab. Aus drin 1x Seiten langen „Vor- 
iieridir- geht hervor, iiaß das Manuskript nndi zu Lebzeiten 
Maulbertsizhs angrirriigi wurde und dein Imprimaturvetmetk 
zufolge als Grundlage für die Budnusgabe von 1797 diente. 
oer Votberidit fehlt in drr Budiausgabe. iin Manuskript 
fehlt der Hinweis auf Kaiser Franz ll. und dessen Kampf 
gegen die ,Witheiiden Ncufranltcn". (Vgl. auch P. Preiis. 
a. a. 0., s. 212. Für die Anfertigung einer Fotokopie des 
Manuskripts danke idi Frau Dr. Elisa Fucikova und dem 
Institut de Uiforie et d'Histoire de l'Art in Prag. 
l J-Iisrorisdie Erklärung der Kaldtmahlerey in Freßko, welche 
in dein iriinigiidien Stift Bruck an der Taja der regulirten 
Chorherren von Pramonstrat, auf dem Gewölbe des dasicgen 
Eiid-iersnals, dessen Durchmesser in der Länge 19. in dt-t 
Breite s. Klaftcr enthält, in einen einzigen ruearnhangendnn 
Platfond Anton Maulpertsdi k. k. Kammetmahler, Mitgliedc, 
und Rarh der Wiener Akademie der Künsten im ahrc 1778. 
Herbstmonates verfettigt hat. . . . Ziiaym, gcdru t bey An- 
ton Johann Preyß privil. Budidrudter". Auf dem Exemplar 
in der Stiftsbibliorhek Siraliov ist handsdiriftlidi ,.P. Nor- 
bert Korber. t. tur- als Verfasser angegeben. Für die An- 
fcrtigung einer Fotokopie audi dieses Exemplars danke idi 
wiederum Frau Dr. Elisa Fueikova. Prag. 
Zum Fresko in Klosxerbrudt vgl. K. Garas, a. a. 0., S. ll6ff., 
221 (Nr. 102, 103), 257 ü. Fig. 11, Abb. 246, sowie P. Preiss, 
a. a. 0., S. 231 ff. 
Die Nadieeidinung Joseph Wintcthaltcrs in der Miilirisdien 
Galerie Btiinn aus dem jahrc 1792 (Feder laviert, Papier. 
lnv.-Nt. B46, YJX 48,3 cm) enthält auf der Vordet- und 
Rüdtseite raiiireidie eigenhändige Notizen über Maulbettsdix 
Fresko, z. 11.. Rundstab . . ., blaue lufr, Vorhang, engl mit 
Mosytafel, gebäude; auf drr iwdreeiie Farbangaben zu den 
Gewändern; ferner die wohl von Ct-rtoni angebrachte Auf- 
sdirift: Junge Winterhaldcr _ winrerhaidrr Jnniur. 
Für Foto und Angaben danke ich Dr. Helena Kusäkorc- 
Kuozovä und der Mährisdit-ii Galerie in Brünn. 
i Historisdie Erklärung. . . a. a. 0.. 177a. Nr. 7a. 
'Für die eingehende redinningirdie unrerrueiiung danke idi 
Herrn Restaurator Bodo Beier. Städt. Kunstsammlungen 
Augsburg, ferner Dr. n. Kühn und den Mitarbeitern des 
Donner-Institutes Mündiui. Bodo Beier übernahm audi die 
Reinigung und Restaurierung der Im oanaen wohlerhaltenen 
Bildes. Für weitere maltedinisdic Auskünfte bin ich den Her- 
ren Dr. Haiir Aurenhairirner und Erieii ßlaiui in wien und 
Dr. Pzvel Preis: in Prag zu uanir verpflichtet. 

	        
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